SPIEGEL ONLINE

Terrorprozess Zschäpe entschuldigt sich bei NSU-Opfern - ihre Aussagen im Überblick

Sie will an den Morden nicht beteiligt gewesen sein, entschuldigt sich aber bei den Angehörigen der Opfer: Beate Zschäpe hat sich erstmals im NSU-Prozess geäußert. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Rund anderthalb Stunden dauerte die Aussage von Beate Zschäpe vor dem Münchner Oberlandesgericht an diesem Mittwoch (Minutenprotokoll hier). Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess sprach nicht selbst, sondern ließ ihren Wahlverteidiger Mathias Grasel eine 53 Seiten umfassende Erklärung verlesen. Darin äußert sie sich zu folgenden Themen:

  • Kindheit und Jugend

Zu Beginn der Erklärung geht es um die Kindheit der Hauptangeklagten in der DDR: Zschäpe, die 1975 in Jena zur Welt kam, erwähnt Alkoholprobleme ihrer Mutter und Streitigkeiten mit dieser. Von der Mutter, die zur Wendezeit arbeitslos geworden sei, habe sie so gut wie kein Geld bekommen, so dass sie sich an kleineren Diebstählen habe beteiligen müssen.

  • Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt

An ihrem 19. Geburtstag habe sie Uwe Böhnhardt kennengelernt, einen der späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen. Sie habe sich in ihn verliebt, sei aber noch mit dem dritten Mitglied des Trios, Uwe Mundlos, zusammen gewesen. Kurz nach dessen Wehrdienst hätten sie sich getrennt. Anschließend sei sie eine Beziehung mit Böhnhardt eingegangen. So sei sie stärker in Kontakt mit dessen Freunden gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als die von Mundlos. Der Name "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) sei allein eine Erfindung von Mundlos gewesen, allenfalls könne noch Böhnhardt der Gruppe zugeordnet werden.

Fotostrecke

NSU-Prozess: Anwalt verliest Zschäpes Aussage

Foto: MICHAEL DALDER/ REUTERS

  • Zschäpes Rolle im NSU

"Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass ich ein Gründungsmitglied einer Vereinigung namens NSU gewesen sein soll", so Zschäpe. "Eine solche Gründung hat nie stattgefunden." Sie habe sich deshalb weder damals noch heute als Mitglied in einer solchen Vereinigung gesehen: "Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück."

Dennoch enthält ihre Erklärung eine Entschuldigung: "Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und allen Angehörigen der Opfer der von Mundlos und Böhnhardt begangenen Straftaten", heißt es in der Erklärung. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte."

Sie sei unfähig gewesen, sich von Böhnhardt und Mundlos zu trennen und den Behörden zu stellen. "Die Kraft, mich zu trennen", heißt es in der Erklärung, "und mich der Justiz zu stellen, hatte ich jedoch nicht." Sie habe damals resigniert und keine Chance mehr gesehen, ins bürgerliche Leben zurückzukehren: "Die beiden brauchten mich nicht. Ich brauchte sie."

  • Banküberfälle seit 1998

Zschäpe gesteht, vom ersten Überfall des NSU auf eine Bank in Chemnitz gewusst zu haben - sie sei aber weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung beteiligt gewesen. Demnach hatte das Trio nach dem Untertauchen Ende 1998 in ständiger Angst gelebt, entdeckt zu werden. Das Geld sei ihnen ausgegangen. Böhnhardt habe daher vorgeschlagen, einen Bankraub in Chemnitz zu begehen. Zschäpe hatte nach eigenen Angaben zu viel Angst, sich daran zu beteiligen. "Sie wollten mich ganz bewusst nicht dabei haben." Mundlos und Böhnhardt hätten ihr zuvor auch nichts von Rohrbomben und Sprengstoff erzählt, mit denen sie hantierten.

  • Mord an Enver Simsek in Nürnberg (9. September 2000)

Vom ersten Mord, der dem NSU vorgeworfen wird, will Zschäpe vorher nichts gewusst haben. Mundlos und Böhnhardt hätten im September 2000 in Nürnberg den türkischen Blumenhändler Enver Simsek erschossen. Sie habe erst Mitte Dezember davon erfahren und sei schockiert gewesen. Bis heute kenne sie das Motiv für den Mord nicht. Sie habe den beiden erklärt, dass sie sich der Polizei stellen wolle. Daraufhin hätten ihre beiden Freunde mit Selbstmord gedroht. Sie habe zudem Angst gehabt, Böhnhardt zu verlieren.

  • Morde im Jahr 2001 in Nürnberg, Hamburg und München

Auch in die Morde an Abdurrahim Özüdogru in Nürnberg, Süleyman Tasköprü in Hamburg und Habil Kilic in München will Zschäpe nicht verwickelt gewesen sein. Böhnhardt und Mundlos hätten sie über diese Taten im Jahr 2001 nicht vorab informiert. Als sie hinterher davon erfahren habe, sei sie sprachlos und fassungslos gewesen.

  • Anschlag in der Kölner Probsteigasse (19. Januar 2001)

Zschäpe bestreitet, am ersten Kölner Bombenanschlag im Januar 2001 beteiligt gewesen zu sein. Ihr Freund Böhnhardt habe in einem iranischen Lebensmittelgeschäft einen Korb mit dem Sprengsatz deponiert. Bei der Explosion wurde die 19-jährige Tochter des Inhabers schwer verletzt. Vom Bau der Bombe habe Zschäpe nichts mitbekommen, heißt es in der Erklärung. Böhnhardt habe die Bombe gebaut, Mundlos habe vor dem Geschäft gewartet.

  • Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn (25. April 2007)

Bei dem Anschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn, bei dem die Beamtin Michèle Kiesewetter getötet wurde, sei es darum gegangen, an die Dienstwaffen der Polizisten zu gelangen. Für die Tat seien Mundlos und Böhnhardt verantwortlich. Die beiden seien mit ihren Pistolen unzufrieden gewesen und hätten Kiesewetter und auch ihren Kollegen deshalb töten wollen. Als sie im Nachhinein davon erfahren habe, sei sie fassungslos gewesen und habe auf die beiden Männer eingeschlagen.

Böhnhardt und Mundlos seien davon ausgegangen, dass sie auch Kiesewetters Kollegen getötet hätten. Dieser überlebte aber schwer verletzt. Bisher war das Motiv für den Polizistenmord in Heilbronn unklar geblieben. Zwischenzeitlich hatte es Spekulationen darüber gegeben, Kiesewetters Herkunft aus Thüringen habe mit der Tat zu tun.

  • Weitere Mordanschläge

Zschäpe bestreitet grundsätzlich, an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen zu sein, die dem NSU vorgeworfen werden. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt", ließ sie ihren Verteidiger erklären. Aus ihrer Sicht habe es sich bei einem der Bombenanschläge in Köln um eine "brutale und willkürliche Aktion gehandelt".

Unter den Taten sind neun offenbar rassistisch motivierte Morde an Geschäftsleuten mit ausländischem Hintergrund und der Mord an der Polizistin Kiesewetter. Hinzu kommen zwei Bombenanschläge in Köln mit zusammen mehr als 20 Verletzten. Mundlos und Böhnhardt, die laut Zschäpe für alle Taten verantwortlich sind, starben 2011.

  • Brandstiftung in Zwickau

Zschäpe gesteht, die letzte Fluchtwohnung des NSU in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Vor der Brandstiftung sei sie durchs Haus gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr darin befinde. Anlass für die Tat war demnach offenbar die Nachricht vom Tod Böhnhardts und Mundlos': Im Radio habe sie im November 2011 erfahren, dass ein Wohnmobil mit zwei Leichen entdeckt worden war. Sie sei sich sofort sicher gewesen, dass es sich um ihre beiden Freunde gehandelt habe.

mxw/dpa/AFP/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten