Angriff auf Israeli in Berlin "Das hätte nicht sein sollen, aber er hat meine Mutter beschimpft!"

Angeklagter vor Gericht
Foto: Paul Zinken/ dpaJanina L. saß am Abend des 17. April gerade bei einem Inder im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, als ihr zwei junge Männer auffielen. Als "süße Jungs" habe sie die beiden wahrgenommen. Sie wolle niemanden beleidigen, aber angesichts der gehäkelten Kopfbedeckungen habe sie damals gedacht: "Was tragen die beiden für hässliche Kippot!"
Die 44-Jährige, eine Deutsche israelischer Herkunft, sitzt als Zeugin im Amtsgericht Berlin-Tiergarten und soll schildern, was sie am 17. April weiter beobachtete: Wie Adam A., einer der beiden "süßen Jungs", von einem jungen Mann beschimpft und mit einem Gürtel geschlagen wurde; angeklagt ist Knaan Al S., ein 19-jähriger Palästinenser aus Syrien, der jetzt nur wenige Meter von Janina L. entfernt sitzt.
Die Zeugin erinnert sich: Nachdem sie die beiden Kippa-Träger gesehen hatte, fiel ihr Blick auf eine Gruppe junger Araber mit Taschen und Rollkoffern. Sie vertiefte sich wieder in ihre Zeitungen, bis sie ein Wort vernahm, das sie aufhorchen ließ: "Sharmuta", das arabische Wort für "Schlampe".
Es sei ein Tumult entstanden, sie sei sofort hingelaufen und habe gerufen: "Stop, Stop! I call the police!" Man sei in Deutschland, habe sie Knaan Al S. belehrt. Der 19-Jährige, der seinen Gürtel noch in der Hand gehalten habe, antwortete demnach: "Ich bin Palästinenser!" Vor Gericht soll die Zeugin diesen Satz interpretieren: "Mir kam es so vor, als ob er sagen will, ich hab das Recht, das so zu tun", sagt Janina L.
Es ist die große weltpolitische Lage, die in der juristischen Aufarbeitung der kurzen Auseinandersetzung immer wieder durchscheint. Aber wenn man dem Angeklagten glauben mag, war alles nur ein großes Missverständnis.
Daran, dass S. mit dem Gürtel zugeschlagen hat, besteht kein Zweifel. Nur warum er zuschlug und was in den Sekunden vorher gesagt wurde - darüber gehen die Schilderungen der Beteiligten an diesem ersten Prozesstag auseinander.
Zwei Gruppen, zwei Umzüge, eine unheilvolle Begegnung
Am jenem Abend des 17. April waren in dem gutbürgerlichen Berliner Bezirk zwei Gruppen junger Männer unterwegs. Beide wollten Sachen in eine neue Wohnung tragen: Die Dreier-Gruppe um Knaan Al S. organisierte einen Umzug von einem Flüchtlingsheim in eine Wohnung. Der 19-Jährige, sein Cousin und dessen Freund zogen und trugen etliche Taschen durch die Straßen.
Knaan Al S. fand dies beschwerlich - vielleicht auch deshalb, weil er zuvor gekifft hatte. Auch Ecstasy will er genommen haben. Er war eigenen Angaben zufolge jedenfalls genervt und erkundigte sich bei seinem Cousin, wie lange die Schlepperei noch dauern würde. Seinen Unmut habe er mit etlichen arabischen Schimpfwörtern ausgedrückt. Das sei aber nur ein Spaß gewesen.
Der 21-jährige arabischstämmige Israeli Adam A. und sein Freund hatten an diesem Abend gerade die Hälfte eines Sofas abgeholt und in ihre Wohnung gebracht. Zwei Tage zuvor war der Tiermedizin-Student aus Israel zurückgekommen. Er hatte dort den israelischen Holocaust-Gedenktag erlebt und eine Kippa geschenkt bekommen. Die lag nun bei ihm zu Hause auf dem Tisch. "Ich wollte Solidarität zeigen, und ich finde die Kippa auch sehr schön", begründet Adam A. den gemeinsamen Entschluss, nun mit dieser Kopfbedeckung vor die Tür zu treten, um die zweite Sofa-Hälfte zu holen.
Er habe gerade eine Nachricht auf seinem Handy geschrieben, als sie von der gegenüberliegenden Straßenseite Schimpfwörter gehört hätten. Adam A. habe hochgeblickt und registriert, dass die Beleidigungen aus der Gruppe der Palästinenser gekommen seien und nach seiner Wahrnehmung ihnen galten. Sein Freund habe zurückgerufen: "Lasst uns in Ruhe!" und "Haut ab!"
Dann sei jener Angriff gefolgt, den Adam A. mit seinem Handy filmte. Vor Gericht wird die Sequenz ein halbes Dutzend Mal abgespielt. Man sieht den Angeklagten, in seiner Hand hält er seinen Ledergürtel, den er am weicheren Leder-Ende ergriffen hat. Er ruft: "Warum beleidigt ihr uns?" Mehrmals schlägt er mit seinem Gürtel zu und beschimpft Adam A. mit "Yahudi", dem arabischen Wort für "Jude".
Mindestens dreimal wurde Adam A. von der Gürtelschnalle getroffen, an der Lippe hatte er einen Riss, tagelang hätten ihn die linke Hüfte und sein Unterschenkel geschmerzt. Als schlimmer jedoch empfindet er die psychischen Folgen. "Berlin war immer eine Traumstadt für mich, wo alle in Frieden leben", sagt er vor Gericht. Nun aber finde er es schwierig, die Straße, in der er wohnt, entlangzugehen. "Ich fühle mich sehr unsicher."
"Er hat meine Mutter beschimpft"
S. ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Er bittet zwar um Entschuldigung, sagt aber auch: "Nur für mein Schlagen entschuldige ich mich. Das hätte nicht sein sollen, aber er hat meine Mutter beschimpft!"
An dieser Stelle widersprechen sich die Aussagen: Adam A. hatte stets gesagt, er und sein Freund hätten nichts Beleidigendes erwidert. Möglicherweise, darauf will Verteidigerin Ria Halbritter hinaus, seien die deutschen Worte "Lasst uns in Ruhe!" und "Haut ab!" bei ihrem berauschten Mandanten als Beleidigungen angekommen.
Die Kippa seines Opfers will A. erst gesehen haben, als er zum dritten Schlag ausgeholt habe. Erst dann habe er auch das Wort "Jude!" gerufen. Er habe nichts gegen Juden: "Für mich ist alles normal, ob das Juden, Muslime oder Christen sind." Beim Fußballspiel befänden sich auf den Trikots seiner Mannschaft sogar israelische Embleme.
Zum Schluss geht es dann um ein weiteres mutmaßliches Missverständnis: Die Verteidigerin will wissen, ob es zutreffe, dass das Tragen der Kippa für Adam A. ein Experiment gewesen sei. "Nein", antwortet A. Es handele sich um ein Missverständnis, das bei einem Interview entstanden sei. "Das war genau vor meiner Wohnung, da macht man keine Experimente."
Video: "Du Jude!" als Schimpfwort