BGH-Urteil So wurde Raserei zu Mord

In Berlin starb ein Autofahrer, weil zwei junge Männer sich ein Rennen lieferten. Einer von beiden ist nun als Mörder rechtskräftig verurteilt, der andere nicht. Wie die Entscheidung zu verstehen ist.
Von Wiebke Ramm, Karlsruhe
Unfallstelle 2016 in Berlin: Zwei junge Männer rasten über den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße

Unfallstelle 2016 in Berlin: Zwei junge Männer rasten über den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Die Botschaft des Bundesgerichtshofs (BGH) ist deutlich: Es war Mord. Wer mit seinem Auto durch die Innenstadt rast und einen Menschen tötet, kann wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Einerseits. Andererseits zeigt die Entscheidung aus Karlsruhe auch: Eine Mordverurteilung wegen eines tödlichen Unfalls ist nur in Ausnahmefällen möglich. Der Fall der sogenannten Ku´damm-Raser ist ein solcher, das hat der vierte BGH-Senat festgestellt und das Urteil des Landgerichts Berlin damit teilweise bestätigt.

Es geht um eine Nacht in Berlin im Februar 2016. Hamdi H. und Marvin N. hatten sich nachts gegen halb eins ein Autorennen in der West-Berliner Innenstadt geliefert. Die damals 26 und 24 Jahre alten Männer rasten mit bis zu 170 km/h über den Kurfürstendamm und die Tauentzienstraße und ignorierten gleich mehrere rote Ampeln. Kurz vor dem Kaufhaus KaDeWe krachte Hamdi H. ungebremst in den Jeep von Michael Warshitsky. Der 69-Jährige war bei Grün in den Kreuzungsbereich gefahren, er starb noch an der Unfallstelle. 

Hamdi H. ist zurecht wegen Mordes verurteilt worden, entschied der BGH nun. Das Mordurteil gegen Marvin N. hoben die Karlsruher Richter hingegen auf.  

2017 waren beide junge Männer das erste Mal vom Landgericht Berlin wegen Mordes verurteilt worden. 2018 hob der vierte BGH-Strafsenat beide Urteile auf. Der Fall musste vor einer anderen Berliner Kammer erneut verhandelt werden. 2019 wurden Hamdi H. und Marvin N. abermals wegen Mordes verurteilt. Wieder ging die Verteidigung in Revision. Wieder bekam der vierte BGH-Senat unter Vorsitz von Richterin Beate Sost-Scheible das Urteil zur Prüfung auf den Tisch. Es ist ein kniffliger Fall. Oder wie die Vorsitzende Richterin an diesem Tag sagt: "Ein solch krasser Fall stellt eine außerordentlich schwierige Aufgabe dar."

Dass Hamdi H. und Marvin N. losgerast sind, um jemanden zu töten, glaubt niemand. Es ist komplizierter. Es geht um die Frage: War es - bedingter – Vorsatz oder nur Fahrlässigkeit?

Hielten die beiden jungen Männer es für möglich, dass es zu einem tödlichen Unfall kommt, und nahmen sie den Tod eines Menschen billigend in Kauf, weil sie das Rennen unbedingt gewinnen wollten? Das wäre sogenannter bedingter Vorsatz. Oder hielten sie einen Unfall zwar für möglich, vertrauten aber darauf, dass schon nichts passieren wird? Das wäre Fahrlässigkeit. Ein entscheidender Unterschied: Fahrlässige Tötung wird nur mit bis zu fünf Jahren Haft, vorsätzliche Tötung im Fall eines Mordes mit lebenslanger Haft bestraft. 

Wo endet bewusste Fahrlässigkeit, wo beginnt bedingter Vorsatz? "Das ist außerordentlich schwer festzustellen", sagt die Richterin, "weil es um Vorgänge geht, die sich im Kopf des Täters abspielen." Und in Köpfe lässt sich nicht hineinschauen. Die äußeren Tatumstände müssen Aufschluss liefern. "Der Senat hat intensivst diskutiert", sagt sie. 

Im Ergebnis hat der BGH die Revision von Hamdi H. verworfen. Seine Verurteilung wegen Mordes ist somit rechtskräftig. Das Landgericht Berlin habe sich rechtsfehlerfrei damit auseinandergesetzt, dass Hamdi H. sich durch seine Raserei auch selbst in Gefahr gebracht hat. Er habe auf die moderne Ausstattung seines Autos vertraut und das Rennen unbedingt gewinnen wollen. Die Berliner Kammer habe auch ausreichend bedacht, dass ein Unfall Hamdi H. zwangsläufig den Sieg kosten würde. All das habe er in Kauf genommen und Vollgas gegeben.

Das Leben anderer sei ihm letztlich gleichgültig gewesen 

Hamdi H. hatte das schwächere Auto und war im Rückstand zu Marvin N., als er auf die Kreuzung zuraste, auf der der Unfall geschah. "Ihm war bewusst, dass er, um überhaupt eine Chance zu haben, das Rennen zu gewinnen, das Risiko für sich und andere aufs Äußerste steigern musste", sagt die Richterin. Das Leben anderer sei ihm letztlich gleichgültig gewesen. 

Vier Jahre ist Hamdi H. bereits in Untersuchungshaft, mindestens elf weitere Jahre im Gefängnis werden noch hinzukommen. Der BGH hat lediglich kleinere Korrekturen im Urteil vorgenommen. Das Landgericht Berlin hatte drei Mordmerkmale festgestellt, zwei davon – niedrige Beweggründe und Heimtücke – aus Sicht des BGH ohne Rechtsfehler. Bei der Feststellung eines dritten Mordmerkmals – die Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln in Form eines Autos – hat das Landgericht aus BGH-Sicht hingegen Fehler gemacht. Für eine Verurteilung wegen Mordes spielt das keine Rolle, dafür reicht schon ein Mordmerkmal. 

Mehrfach betont die Richterin: Das Urteil bedeute nicht, dass tödlich ausgehende Rennen nun allgemein als Mord zu bewerten seien. Es gehe immer um die im Einzelfall zu klärende Frage nach dem Vorsatz. Aus Sicht des BGH hat Hamdi H. mit Vorsatz gehandelt. So wurde aus seiner Raserei Mord. 

Anders bei Marvin N. In seinem Fall hat der BGH erneut wesentliche Rechtsfehler im Urteil des Landgerichts Berlin festgestellt. Hamdi H. war mit dem unbeteiligten Jeep kollidiert, nicht sein Kontrahent Marvin N. Um diesen dennoch wegen Mordes in Mittäterschaft zu verurteilen, braucht es einen gemeinsamen Tatentschluss. "Das Landgericht hat einen solchen gemeinsamen Tatentschluss zur Tötung eines Menschen nicht tragfähig begründet", sagt die Vorsitzende Richterin.

Sie sagt aber auch: Es sei nicht gänzlich auszuschließen, dass Marvin N. erneut wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt werde. Der BGH hebt seinen Haftbefehl daher nicht auf. Marvin N. bleibt hinter Gittern und muss zum dritten Mal in Berlin vor Gericht.

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