Kritischer Polizist Oliver von Dobrowolski »Ich spüre schon lange diesen Widerstand«

Oliver von Dobrowolski: Will die Polizei von innen reformieren
Foto:Erik Marquardt
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SPIEGEL: Herr von Dobrowolski, Sie haben die Initiative Better Police gegründet. Was braucht es für eine bessere Polizei in Deutschland?
Von Dobrowolski: Vieles. Erst einmal die Erkenntnis, dass wir auch hier in Deutschland Probleme haben. Wir reden im Wochenrhythmus über Vorkommnisse wie den NSU 2.0, bei dem die Ermittlungen immer wieder auch zu Menschen aus dem Polizeikontext führen. Wir reden über Racial Profiling, über rechtsextreme Chatverläufe zwischen Beamten , über Kontakte von Polizisten in die Reichsbürger-Szene und darüber, wie sich Menschen mit Migrationsgeschichte fühlen, wenn sie hierzulande mit der Polizei zu tun haben. Niemand kann sich mit Blick in die Medien schönreden, was da alles passiert.
SPIEGEL: Wie wollen Sie das ändern?
Von Dobrowolski: Diese Themen müssen offen angesprochen werden. Und zwar aus dem internen Bereich der Sicherheitsbehörden. Dann kann die Kritik nicht leichtfertig abgebügelt werden nach dem Motto: Ihr habt keine Ahnung und wollt bloß den Staat verunglimpfen. Ich bin selbst Polizeibeamter – und will daher definitiv nicht dem Leumund der Polizei schaden. Es geht mir um das Gegenteil. Ich möchte die Polizei von innen heraus verbessern, weil sie dem entsprechen soll, was die meisten Leute schon von Kindesalter an lernen.
SPIEGEL: Nämlich?
Von Dobrowolski: Dass die Polizei eine gute Einrichtung ist, die für die Menschen da ist.
SPIEGEL: Und wie soll dieser Wandel konkret angestoßen werden?
Von Dobrowolski: Da gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen. Zum Beispiel die Kennzeichnungspflicht für Einsatzkräfte, um den Rechtsschutz für Menschen, die mit den Polizisten zu tun haben, zu erhöhen. Man muss externe und unabhängige Stellen schaffen, für Vorfälle, die die Polizei betreffen. Regelmäßige Kommunikationstrainings und Seminare zum Thema Diversität sollten genauso verpflichtend sein wie Schieß- oder Fahrsicherheitstrainings. Zu wissen, wie ich mich möglichst gewalt- und diskriminierungsfrei gegenüber Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße äußere, ist meiner Meinung sogar wichtiger als beispielsweise Schießtraining. Die Kommunikationsfähigkeiten brauch ich täglich, aber im optimalen Fall komme ich niemals in die Verlegenheit, von meiner Schusswaffe Gebrauch machen zu müssen.
SPIEGEL: Aber ist das Problem tatsächlich eine reine Kommunikationsfrage?
Von Dobrowolski: Da kann man natürlich ewig drüber philosophieren. Aber eine gewisse Einstellung sollte eine Beamtin, ein Beamter bei der Polizei ohnehin aufweisen. Er oder sie sollte einfach den unabdingbaren Willen haben, die Verfassung und die Gesellschaft zu schützen.
SPIEGEL: Bei Fällen mutmaßlicher oder tatsächlicher Polizeigewalt wird von Polizei und Politik gern das Narrativ des Einzelfalls bemüht. Was halten Sie davon?
Von Dobrowolski: Es ist unzutreffend. Man muss sich leider eingestehen, dass es kein Bundesland gibt, in dem es solche Vorwürfe gegen Polizeibeamte nicht gibt. Sogar NRW-Innenminister Herbert Reul, der nicht gerade als Polizeikritiker bekannt ist, sagt, dass er leider nicht mehr von Einzelfällen sprechen kann. Das finde ich bemerkenswert und diese Deutlichkeit freut mich.
SPIEGEL: Bislang haben Sie sich bei der Berufsvereinigung »Polizei Grün« engagiert, jetzt haben Sie Ihr Amt als Vorsitzender niedergelegt. Warum denken Sie, dass es eine andere Herangehensweise braucht?
Von Dobrowolski: Der erste Grund ist, dass ich in vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Polizeiapparat und anderen Sicherheitsbehörden festgestellt hab, dass man meine Grundeinstellung teilt. Also, dass man sich eine pluralistische, bürgerfreundliche und tolerante Polizei wünscht, die streng rechtsstaatlich agiert. Aber immer dann, wenn ich den Namen »Polizei Grün« erwähnte, habe ich in entgleiste Gesichtszüge geblickt.
SPIEGEL: Warum?
Von Dobrowolski: In der Polizei sind viele immer noch der Auffassung, dass grüne Politik und Polizeiarbeit sich beißt. Es werden jahrzehntealte Klischees aufgegriffen, beispielsweise dass Grünenanhänger Steinewerfer sind und die Polizei angreifen, wo es nur geht. Natürlich kann man so was in einzelnen Gesprächen versuchen aufzuklären. Das ist aber ein sehr beschwerlicher Weg. Bei meinem neuen Ansatz soll deshalb keine Parteipolitik, sondern die Unabhängigkeit im Fokus stehen. Außerdem möchte ich auch Interessierte außerhalb der Polizeistrukturen ansprechen. Bei »Better Police« geht es um die ganze Gesellschaft. Da schließe ich auch Menschen ein, die schon negative Erfahrungen mit der Polizei sammeln mussten. Es ist auch ein Element von Polizeiarbeit, dass man Opferschutz betreibt. Und das geht nur, indem man einen Perspektivwechsel anstrebt. Die Polizei in Deutschland ist rechtsstaatlich und demokratisch. Nichtsdestotrotz ist sie auch ein Stück weit abgeschottet. Und ich finde, dass da mehr Dialog nötig ist. Nur durch mehr gegenseitiges Verständnis bekommen wir auch in der breiten Bevölkerung mehr Akzeptanz für die Polizei im Allgemeinen.
SPIEGEL: Glauben Sie wirklich, dass es nur am Label »Grün« liegt und »Better Police« es einfacher haben wird bei einer Polizei, die, wie Sie selbst sagen, im Großen und Ganzen »konservativ tickt«?
Von Dobrowolski: Das Ganze wird nicht dazu führen, dass sich plötzlich alle lieb haben. Aber ich gehe da sehr optimistisch ran. Die ersten Signale, auch von Kolleginnen und Kollegen, sind sehr positiv.
SPIEGEL: Wie groß sind denn die Vorbehalte bei den Grünen wiederum gegenüber der Polizei?
Von Dobrowolski: Die Mitglieder aber auch die Parteipolitiker bei den Grünen haben sich stark gewandelt. Die Parteispitze selbst beschäftigt sich mit dem Thema Polizei. Es werden regelmäßig Polizeikongresse veranstaltet. Und es gab auch parlamentarisch sehr viele Versuche, im Sinne der Polizei Dinge zu verbessern. Möglicherweise haben die Grünen es nur nicht geschafft, das richtig zu verkaufen. Trotzdem gibt es gerade bei den Jugendorganisationen auch noch viele Vorbehalte. Aber oft kann man die durch Gespräche ausräumen.
SPIEGEL: In Ihrem Statement, das Sie am 11. April auf Ihrem Blog veröffentlicht haben, haben Sie von mangelnder Unterstützung bei der Polizei Berlin berichtet, nachdem Sie Morddrohungen erhalten hatten. Sie seien sogar als »Meinungsmacher und Unruhestifter« bezeichnet worden. Was ist damals konkret passiert?
Von Dobrowolski: Mit Details bin ich zurückhaltend. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich irgendwelche Personen in die Öffentlichkeit ziehe. Aber ich habe Unterstützung erwartet und die Reaktion hat sich wie eine Ohrfeige angefühlt. In dem Moment ist etwas in mir zerbrochen. Ich spüre schon lange diesen Widerstand. Immer wieder hieß es von Vorgesetzten, man könne mir objektiv nichts vorwerfen. Aber unter vier Augen hat man mir zu verstehen gegeben, dass so jemand wie ich in der Polizei nicht erwünscht ist. Mir wurde die berufliche Weiterentwicklung sehr erschwert – auch wenn mein Engagement nicht die offizielle Begründung war. Es wurde mir aber deutlich zu verstehen gegeben, dass es durchaus daran lag. Ich bin heilfroh, dass ich schon eine halbwegs stabile Karriere hingelegt hatte, bevor ich anfing, mich politisch zu betätigen.
SPIEGEL: Haben Sie vor Veröffentlichung des Statements mit Ihren Vorgesetzten gesprochen?
Von Dobrowolski: Nein.
SPIEGEL: Wie wollen Sie vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen Kolleginnen und Kollegen ermutigen, sich zu engagieren?
Von Dobrowolski: Das, was ich berichte, wirkt natürlich ein Stück weit dem entgegen, was ich mir eigentlich wünsche. Aber niemand muss sich so öffentlich äußern, wie ich das tue. Es reicht auch schon, wenn jemand beispielsweise bei rassistischen Grenzüberschreitungen in Chats einschreitet.
SPIEGEL: Wie viele Menschen in der Polizei denken wie Sie?
Von Dobrowolski: Das ist eine schwierige Frage. Ich hoffe natürlich, dass wir in der Mehrheit sind. Aber die Frage ist dann: Warum sind wir die schweigende Mehrheit?
SPIEGEL: Sie haben auch von Anfeindungen im Kollegium berichtet.
Von Dobrowolski: Vor allem sind es Titulierungen wie Nestbeschmutzer, Kollegenschwein, Ratte oder Verräter. Oft kommen sie aus dem halb anonymen Bereich oder von Kollegen aus weit entfernten Präsidien. Aber ich bin auch schon auf dem Flur beiseitegenommen worden. Aber die meisten Leute, die mich kritisieren oder bekämpfen, sind Menschen, die mich nie kennengelernt haben.
SPIEGEL: Sie haben in Ihrem Statement geschrieben, dass Hass und Drohungen Ihr »Privatleben schwer beschädigt« haben.
Von Dobrowolski: Wenn man so im Störfeuer steht, nur weil man sich für eine gute Sache einsetzt, dann macht einen das traurig und nachdenklich. Und natürlich denkt man an seine Familie, auch wenn es in meinem Fall eher nebulöse Ankündigungen als konkrete Drohungen waren.
SPIEGEL: Trotz allem sind Sie nach wie vor Polizist. Warum?
Von Dobrowolski: Weil ich ja die felsenfeste Grundüberzeugung habe, dass es ein schöner und wichtiger Beruf ist. Und ich denke, dass man diese Institution am besten und am schnellsten von innen reformieren kann.
SPIEGEL: Gäbe es einen Grund, der es für Sie unmöglich machen würde, weiter für die Polizei zu arbeiten?
Von Dobrowolski: Wenn man mich im Zuge einer Disziplinarmaßnahme an eine Stelle versetzen würde, von der man annimmt, dass sie mich absolut unglücklich macht. Dann müsste ich schauen, wie ich damit zurechtkomme.
Die Polizei Berlin lehnte eine Stellungnahme zu den Vorwürfen durch Oliver von Dobrowolski ab. Sie teilte auf Anfrage des SPIEGEL mit, dass man sich »zu einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen« nicht äußere.