Prozess gegen falsche Polizisten in Berlin "Wenn sie den Eindruck haben, da ist Geld, dann lassen sie nicht mehr locker"

Alte Menschen fallen immer wieder auf Kriminelle herein, die sich als Polizisten ausgeben. Paul K. soll Mitglied einer solchen Bande sein, die mit der Masche 800.000 Euro erbeutete. Ermittler schildern, wie gründlich die Männer vorgingen.
Angeklagter Paul K. über Telefonbetrüger (Symbolfoto): "Die Anrufer sind geschult, weil sie es tagtäglich machen."

Angeklagter Paul K. über Telefonbetrüger (Symbolfoto): "Die Anrufer sind geschult, weil sie es tagtäglich machen."

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Paul K. macht sich Notizen. Der Angeklagte hört dem Zeugen vor dem Landgericht Berlin aufmerksam zu. Der Zeuge kennt sich aus mit falschen Polizisten. Der Kriminalbeamte, 42, gehört zu einer Arbeitsgruppe der Frankfurter Polizei, die auf Banden spezialisiert ist, die sich als Polizisten ausgeben und alte Menschen dazu bringen, ihr Vermögen in Taschen vor ihr Haus zu legen. Paul K. soll Mitglied einer solchen Bande sein. Durch gemeinschaftlichen Betrug soll er knapp 800.000 Euro erbeutet haben.

Der Zeuge berichtet am Dienstag über die Struktur, die Aufgabenteilung und das typische Vorgehen von den falschen Polizisten. Die Banden gingen hochprofessionell vor und seien klar strukturiert. Jedes Bandenmitglied habe eine feste Aufgabe, sagt er. Auf der untersten Ebene stehen demnach die sogenannten Abholer, diejenigen, die die Taschen mit Gold, Geld, Schmuck und anderen Wertgegenständen von ihren Opfern abholen. Sie tragen das größte Entdeckungsrisiko und verdienen am wenigsten. Auch Paul K. soll in den meisten der 15 angeklagten Fälle als Abholer fungiert haben. Als Paul K. im Oktober 2019 eine Tasche in Berlin-Zehlendorf abholte, wurde er festgenommen.

Über den Abholern stünden die sogenannten Logistiker, berichtet der Zeuge. Sie wählen die Abholer aus, statten sie mit Handys und SIM-Karten aus und dirigieren sie zu den Tatorten. Die Logistiker halten zudem die Verbindung zu Callcentern in der Türkei, von denen aus die Banden operieren und die Opfer angerufen werden. Nach Erkenntnissen der Frankfurter Ermittler haben die Mitarbeiter in den Callcentern oftmals vorher in Deutschland gelebt. Sie beherrschen die deutsche Sprache. Den Opfern werde vorgegaukelt, sie würden bei der Festnahme von Einbrechern helfen. Die Beisitzende Richterin fragt nach den Hintermännern. "In diesem Fall wissen wir nicht, wer dahintersteckt", sagt der Ermittler.

Täter suchten wohl im Telefonbuch nach Namen älterer Menschen

Die Täter fänden ihre Opfer schlicht im Telefonbuch. Sie suchten nach Vornamen, die vorwiegend ältere Menschen tragen. Dann rufen sie an, geben sich als Polizisten aus und gelangen anhand geschickter Gesprächsführung an alle notwendigen Informationen zu vorhandenem Bargeld und anderen Wertgegenständen. "Die Anrufer sind geschult, weil sie es tagtäglich machen."

Stellen die Täter fest, dass die Angerufenen doch nicht über das vermutete Vermögen verfügen, beenden sie das Gespräch - und versuchen es beim nächsten. "Wenn sie den Eindruck haben, da ist Geld, dann lassen sie nicht mehr locker."

Den Opfern werde eingebläut, niemandem von der "Geheimaktion" zu erzählen. Es würde die Ermittlungen und die Festnahme der Einbrecherbande gefährden. "Sie wollen doch die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht behindern", heiße es dann. "Die Täter wissen zum Teil aus Erfahrung, wie Polizisten und Staatsanwälte reden", sagt der Ermittler. Den Opfern werde gedroht, sie machten sich strafbar, wenn sie sich nicht an die Schweigepflicht hielten. "Nach und nach bauen sie mehr Druck auf."

Die Täter überzeugen ihre Opfer, ihr Geld von der Bank nach Hause zu holen. Dann werde die nächste Geschichte erzählt, etwa dass es Erkenntnisse gebe, es handele sich um Falschgeld, ein Kollege hole es ab, um das Geld zu überprüfen.

Wenn sie den Eindruck haben, da ist Geld, dann lassen sie nicht mehr locker

Angeklagter Paul K.

Die Abholer stammten häufig aus dem Netzwerk der weiteren Täter. "Sie kennen sich aus der Schule oder aus dem Fußballverein." Die Abholer würden auch gebrieft, was sie im Fall ihrer Festnahme sagen sollen. Der Polizist sagt: "Die Behauptung 'Ich weiß von nichts' ist oftmals gelogen. Die Abholer wissen sehr wohl, was sie da machen. Sie wurden instruiert." Etwa 1000 bis 2000 Euro bekämen die Abholer pro Tat, manchmal auch mehr, wenn die Beute besonders hoch ist. "Der Großteil des Geldes dürfte ins Ausland gehen."

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Über einen Fall in Frankfurt sind die Ermittler auf Paul K. gekommen. Eine Bankfiliale in Frankfurt hatte Anfang September 2019 die Polizei verständigt, dass ein betagter Kunde Gold im Wert von gut 400.000 Euro abholen wolle. Zwei Polizisten besuchten daraufhin den 90-jährigen Kunden in seiner Wohnung in Frankfurt. Die Beamten waren zivil gekleidet, der Mann traute ihnen nicht. "Wir mussten erst zwei uniformierte Polizisten schicken", sagt der Zeuge. Die falschen Polizisten hatten dem Mann zuvor eingetrichtert, er müsse sein Geld vor Dieben in Sicherheit bringen und könne dabei helfen, die Täter dingfest zu machen.

90-Jähriger half bei der Überführung

Nun half der alte Mann der echten Polizei. Gemeinsam mit den Beamten wartete er auf den nächsten Anruf der Täter. Die Telefonate wurden mitgeschnitten, insgesamt fast zwei Stunden. Die Richter spielen an diesem Tag einen ersten Anruf vor.

Ein Mann, der behauptet, Polizist zu sein, spricht freundlich und geduldig mit dem 90-Jährigen. Der Anrufer lispelt und spricht akzentfreies Deutsch. Er sagt dem alten Mann, er solle das Gold gegen 15.30 Uhr von der Bank nach Hause holen. "In erster Linie geht es darum, dass Sie es sichern, dass es bei Ihnen zu Hause ist", sagt der Anrufer. Der alte Mann stünde unter Polizeischutz, ihm könne nichts passieren.

Der Polizist erzählt vor Gericht, dass der Täter am Telefon schließlich unsicher gewirkt und das Gespräch abgebrochen habe. Er würde sich am nächsten Tag wieder melden. Die echte Polizei überwachte das Haus, in dem der alte Mann lebte. Am selben Abend, kurz vor 23 Uhr, kam ein Mann. Er telefonierte, betrachtete den Hauseingang und das Klingelschild. Dann stieg er in sein Auto und fuhr ohne Licht fort. Ein paar Kilometer entfernt wurde er kontrolliert. Die Ermittler fanden acht Handys, einen Polizeistern und ein Lederetui für einen Ausweis bei ihm.

Der Mann, ein 27 Jahre alter Zeitsoldat aus Berlin, wurde festgenommen. Er habe ausgesagt, dass ein fremder Mann ihn angerufen und nach Frankfurt geschickt habe. Der Soldat hatte rund 2500 Euro Schulden, er habe auf das schnelle Geld gehofft. Der Polizist sagt auch: "Er schien Angst zu haben vor den Hintermännern." Auf seinem Handy fand die Polizei mehrere Nachrichten, die er am Tattag Paul K. geschickt haben soll. Die letzten Nachrichten lauteten: "Abbruch", "Falle". Der Polizist sagt: "Herr K. muss Bescheid gewusst haben."

Die Berliner Polizei observierte Paul K. Im Oktober wurde er festgenommen.

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