Organspendeskandal BGH bestätigt Freispruch für Göttinger Mediziner

Chirurg Aiman O. mit Anwälten (Archiv)
Foto: Swen Pförtner/ dpaIm Fall des Göttinger Transplantationsskandals hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung getroffen - und den Freispruch des Arztes Aiman O. bestätigt. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen.
Dieses hatte den früheren Leiter der Göttinger Transplantationsmedizin im Mai 2015 freigesprochen. Es bescheinigte dem Chirurgen zwar Manipulationen medizinischer Daten, sah darin aber keine strafbare Handlung.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte dagegen acht Jahre Haft und ein lebenslanges Berufsverbot für O. gefordert. Sie wertete es als versuchten Totschlag, dass durch die Manipulationen andere schwer kranke Patienten auf der Warteliste für ein Organ nach unten gerutscht waren.
Der Vorwurf eines Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatzes könne dem Arzt aber nicht gemacht werden, entschied der BGH nun (Az.: 5 StR 20/16). Der Angeklagte habe "begründet darauf vertraut", dass diese Menschen nicht sterben würden.
Juristisches Neuland
Schon das Landgericht hatte in seiner Entscheidung 2015 betont, dass die Manipulationen nach moralischen Wertvorstellungen verwerflich und zu missbilligen seien. Auch der Vorsitzende Richter des 5. BGH-Senats, Günther Sander, sagte: "Ein solches Verhalten findet der Senat unerträglich." Da nach dem Göttinger Fall ähnliche Mauscheleien an anderen Transplantationszentren bekannt wurden, habe man den Eindruck, "einen systematischen Missbrauch zu erleben", sagte Sander. "Das empfinden wir als Katastrophe für die deutsche Medizin."
Der Arzt habe sich aber nicht strafbar gemacht, auch weil die Manipulationen zum Tatzeitpunkt nicht unter Strafe standen, urteilten bereits die Göttinger Richter. Zudem waren Verstöße des Chirurgen gegen Richtlinien der Bundesärztekammer nach Auffassung der Göttinger Richter strafrechtlich irrelevant - weil die Richtlinien verfassungswidrig seien. Dabei geht es um Beschränkungen für die Übertragung von Lebern an Alkoholabhängige. O. hatte Organe auch an Patienten übertragen, die zuvor nicht mindestens sechs Monate lang trocken waren.
Die Anklage hatte mit ihrer Argumentation juristisches Neuland betreten. Die Staatsanwaltschaft konnte jedoch nicht konkret belegen, welche anderen Patienten durch das Handeln des Transplantationsmediziners tatsächlich zu Schaden gekommen sind.
Gravierende Folgen
Die Zahl der Organspenden in Deutschland ging nach Bekanntwerden des Skandals 2012 zurück. Aiman O. verlor seinen Job. Er wurde im vergangenen Jahr auch von der Mitgliedschaft in der Deutschen Transplantationsgesellschaft ausgeschlossen.
Zudem gab es auch an anderen Kliniken ähnliche Manipulationen. Die Staatsanwaltschaften in München, Berlin und Leipzig klagten Ärzte an. Urteile gab es dazu bisher nicht - auch weil die höchstrichterliche Entscheidung des BGH noch ausstand. Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Andrea Sewtz, erklärte in Leipzig, es handele sich um eine Einzelfallentscheidung, die "keinerlei Bindungswirkung für alle noch weiter offenstehenden Verfahren" haben könne.
Nach Überzeugung der Deutschen Stiftung Patientenschutz müssen die Organvergabe-Richtlinien der Bundesärztekammer nun auf den Prüfstand. "Um Patienten zu schützen und Gerechtigkeit herzustellen, muss das Transplantationssystem in staatliche Hände übergeben werden. Das Urteil des Bundesgerichtshofes ist ein Weckruf für den Deutschen Bundestag und für den Bundesgesundheitsminister", sagte Vorstand Eugen Brysch.