Dietmar Hipp

BGH-Beschluss zu Maskendeals Recht muss Recht werden

Dietmar Hipp
Ein Kommentar von Dietmar Hipp
Der Bundesgerichtshof hat bestätigt, dass Abgeordnete sich nicht strafbar machen, wenn sie sich außerhalb parlamentarischer Tätigkeit bestechen lassen. Das muss der Gesetzgeber dringend ändern – denn es widerspricht internationalem Recht.
Der CSU-Politiker und Rechtsanwalt Alfred Sauter betritt die Sitzung des Untersuchungsausschusses »Maske« im bayerischen Landtag

Der CSU-Politiker und Rechtsanwalt Alfred Sauter betritt die Sitzung des Untersuchungsausschusses »Maske« im bayerischen Landtag

Foto: Peter Kneffel / dpa

Eigentlich ist die Sache klar: »Missbräuchliche Einflussnahme« auf behördliche Entscheidungen soll unter Strafe stehen – und zwar dann, wenn etwa ein Politiker gegen Geld seine Autorität oder seine Kontakte nutzt, um von einer Behörde einen ungerechtfertigten Vorteil für den Anstifter zu erlangen. Wenn ein Abgeordneter beispielsweise von einem befreundeten Unternehmer fürstlich dafür entlohnt wird, dessen FFP2-Masken ans jeweilige Gesundheitsministerium zu vermitteln.

Die Strafbarkeit einer solchen »missbräuchlichen Einflussnahme« ist in zwei internationalen Verträgen vorgesehen, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption  und dem Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarates . Beide Abkommen hat die Bundesrepublik ratifiziert, das erstgenannte 2014, das zweitgenannte 2016.

Danach käme sowohl eine Strafbarkeit des Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein als auch des Landtagsabgeordneten Alfred Sauter (beide CSU) ernstlich in Betracht. Beide hatten in der ersten Phase der Coronapandemie Masken an die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung vermitteltet – und dafür üppige Provisionen erhalten: Eine GmbH, deren Geschäftsführer Nüßlein ist, bekam 660.000 Euro überwiesen; eine Firma, auf die Sauter maßgeblichen Einfluss hat, sogar mehr als 1,2 Millionen Euro. Zwei Privatunternehmer waren Anfang März 2020 an die ihnen persönlich bekannten Nüßlein und Sauter herangetreten, mit dem Ansinnen, wie es der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt formulierte, »gegen Entgelt ihre Autorität und ihren Einfluss als Bundes- bzw. Landtagsabgeordneter einzusetzen«, damit die Behörden die dringend benötigte Ware von ihnen oder mit ihnen kooperierenden Unternehmen erwerben.

Nüßlein und Sauter erklärten sich damit einverstanden, und entsprechend »traten sie mit Entscheidungsträgern verschiedener Bundes- und Landesbehörden in Verbindung und wirkten auf den Abschluss von Kaufverträgen über Schutzmasken (Mund-Nase-Bedeckungen) hin«, wie es der BGH formuliert. Dabei trat Nüßlein gegenüber den Behörden als »MdB«, also als Mitglied des Bundestags, und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf. Der frühere bayerische Justizminister Sauter versandte entsprechende E-Mails unter der Mailadresse einer seiner beiden Rechtsanwaltskanzleien. Er verwendete dabei aber auch mehrfach eine Signatur mit dem Kürzel »MdL«, also Mitglied des Landtags.

Offensichtlicher kann »missbräuchliche Einflussnahme« kaum zutage treten. Und dennoch stellte der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag dieser Woche höchstrichterlich fest , dass die CSU-Politiker ihre sechsstelligen Provisionen behalten dürfen. Leider habe der Bundesgesetzgeber das in den internationalen Verträgen vorgesehene Korruptionsdelikt der missbräuchlichen Einflussnahme nämlich bis heute »nicht in das deutsche Recht überführt«. Das ist mehr als eine versehentliche Nachlässigkeit. Es ist, wie der Fall Nüßlein und Sauter vor Augen führt, ein Skandal.

Zwar gibt es im deutschen Strafgesetzbuch den Paragrafen 108e, eine Strafvorschrift, die die »Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern« regelt. Sie greift nur leider bei den vorliegenden Maskenvermittlungsgeschäften zu kurz, so der BGH: Denn Bestechlichkeit eines Abgeordneten ist danach nur strafbar, wenn es um Handlungen »bei Wahrnehmung seines Mandates« geht. Und dazu zählt der BGH – wie zuvor schon das Oberlandesgericht München  und die Bundesanwaltschaft – nur »das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen«. Dass sich der Mandatsträger lediglich auf seinen Status beruft, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, reiche dagegen nicht für eine Strafbarkeit.

Man könnte das auch anders sehen. Der ehemalige BGH-Strafsenatsvorsitzende und SPIEGEL-Kolumnist Thomas Fischer etwa weist in seinem Strafgesetzbuchkommentar darauf hin, dass eine »Wahrnehmung des Mandats« jedenfalls »dem Wortsinn nach ohne Zweifel auch dann« vorliegt, »wenn ein Abgeordneter außerhalb seiner parlamentarischen ›Zuständigkeit‹ die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern nutzt, um ›auftragsgemäß‹ fremde Interessen durchzusetzen«.

Nun ist bei der Auslegung von Gesetzen nicht nur der Wortlaut, sondern unter anderem auch der Wille des Gesetzgebers heranzuziehen. Das tut der BGH hier und kommt in seiner Pressemitteilung – die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen derzeit noch nicht vor – zu einem scheinbar eindeutigen Ergebnis. Der Gesetzgeber habe »bewusst« davon abgesehen, »rein außerparlamentarische Betätigungen des Mandatsträgers zu erfassen«. Aus Sicht des OLG München indes war der von CDU/CSU und SPD eingebrachte Gesetzentwurf  in diesem Punkt »nicht eindeutig«.

Die Strafbarkeit des Einflussmissbrauchs durch Mandatsträger ist internationales Recht. Sie sollte auch in Deutschland endlich Recht werden.

In der Zusammenschau aller Gesetzgebungsmaterialien – vor allem des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz  – kommen aber beide Gerichte zum selben Schluss: Die bestehende Strafvorschrift ist eng zu verstehen, der hoch dotierte Einsatz von »Vitamin B« durch Abgeordnete steht in Deutschland nicht unter Strafe.

Dass die Bundesrepublik dabei hinter den internationalen Abkommen zurückbleibt, ist formal sogar in Ordnung. Denn die Vorschrift zur »missbräuchlichen Einflussnahme« im Übereinkommen der Vereinten Nationen ist nicht verbindlich. Die entsprechende Vorschrift im Europarats-Übereinkommen hingegen ist es. Hier hat aber die Bundesrepublik wohlweislich bei der Ratifikation einen sogenannten Vorbehalt erklärt, also kundgetan, sich in diesem Punkt nicht binden zu wollen ; damit besteht auch hier formal keine Umsetzungspflicht.

Welches Zeichen die Bundesrepublik damit setzt, ist dagegen eine andere Frage. Auch wenn Deutschland mit der Nichtumsetzung dieser Normen international nicht allein dasteht, kann man es mit der Antwort kurz machen: Es ist kein gutes.

Und es ist erst recht bedenklich, wenn das Parlament und damit der Gesetzgeber seine Angehörigen außerhalb der engen parlamentarischen Betätigung von der Korruptionsstrafbarkeit ausnimmt und damit unsauberen Geschäften Vorschub leistet, deren Strafbarkeit international jedenfalls empfohlen wird.

Nüßlein und Sauter haben Provisionen in exorbitanter Höhe für die Vermittlung von Maskengeschäften eingestrichen. Und das zu einem Zeitpunkt, als viele Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Organisationen gravierende Einschränkungen auf sich nahmen, um der Pandemie Herr zu werden. Das ist eine Schande. Der bestehende Schmiergeldparagraf für Abgeordnete ist es auch.

Die Strafbarkeit des Einflussmissbrauchs durch Mandatsträger ist internationales Recht. Sie sollte auch in Deutschland endlich Recht werden.

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