Bistum Hildesheim Der Bischof und die "Ablage Missbrauch"

Bischof Trelle: Will nichts von Missbrauchsvorwürfen wissen
Foto: Philipp von Ditfurth/ dpaFür den Hildesheimer Bischof sind aufdringliche Umarmungen, Küsse, teure Geschenke, Übernachtungen im selben Zimmer und Einladungen zum gemeinsamen Berlin-Besuch zwischen einem über 60-jährigen Priester und einem minderjährigen Mädchen offenbar kein Problem.
All das wurde von dem Mädchen am 4. März 2010 gemeldet, doch weder damals noch heute zeigt sich Norbert Trelle besonders alarmiert. Er entschuldigte auf einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen sein Verhalten mit folgenden Worten: Dass ein Priester "dem Mädchen gegenüber solche Zeichen der Zuwendung gegeben hat - Wangenkuss, oder wie man das sagt, so zur Begrüßung", das sei "ja heute unter Jugendlichen fast schon Gang und Gäbe". Da gingen bei ihm als Bischof "nicht alle roten Lampen an".
Bischof Trelle weiß, dass es dabei nicht um irgendeinen Priester geht, sondern um Peter R., einen der bekanntesten Missbrauchstäter in der katholischen Kirche. Den kannte Trelle bereits im Februar 2010, bevor das Mädchen sich meldete - nicht nur als einen Hauptverdächtigen im Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg, sondern auch von Übergriffen in seinem eigenen Bistum.
Dumm für Trelle, dass es ein bisher von seiner Kirche geheim gehaltenes Protokoll über das Gespräch vom 4. März 2010 gibt, das nun dem WDR und SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Es beweist, dass bei Trelle und anderen Verantwortlichen des Bistums alle roten Lampen hätten angehen müssen. "In dem Kirchenprotokoll steht wörtlich, Peter R. sei zwar nicht übergriffig geworden, bei einer Übernachtung im selben Zimmer der Minderjährigen aber "nahe gekommen". Dabei habe er ihr auch einen Kuss auf die Wange gegeben, sonst sei aber nichts geschehen. Nahe kam R. ihr aber nicht zum ersten Mal: "Schon in früheren Zeiten habe R. immer wieder Situationen herbeigeführt, in denen er mit ihr allein gewesen sei. Er sei dabei aufdringlich geworden... Außerdem habe er immer wieder große Geschenke gemacht (Spiegelreflexkamera) mehrmals sogar, so dass sie mehrere Kameras bereits verkauft habe." Am Ende des Gesprächs wird dem Mädchen u.a. geraten, "dass sie zukünftig den Kontakt mit R. meiden solle" und sich jederzeit an den Bischof wenden könne."
Dass damals nach dem Gespräch klar war, worum es geht, verdeutlicht auch die Überschrift des Papiers: "Vermerk. Ablage: Missbrauch 2010".
"Er hat es immer wieder versucht"
Angefertigt hat das Protokoll Trelles Weihbischof und damaliger Personalchef des Bistums Heinz-Günter Bongartz. Damals war die 14-jährige Achtklässlerin zum Gespräch in der Bistumszentrale von ihrer Religionslehrerin begleitet worden. Weitere Ermittlungen zu ihren Vorwürfen gegenüber Peter R. hätten - anders als die über 100 verjährten Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg - zu dessen Verurteilung führen können. Deshalb verlangen Betroffene ehemalige Canisius-Schüler jetzt den Rücktritt des Hildesheimer Bischofs Trelle. Auch die ehemalige Schülerin ist empört über den Bischof. Das Protokoll durfte sie damals nicht einmal lesen, geschweige denn unterschreiben.
"Selbst über ihren Anwalt hat sie bisher nicht alle erwünschten Unterlagen zum Protokoll vom Bistum bekommen. Nun meldete sie sich gegenüber der WDR-Filmemacherin Eva Müller selbst zu Wort. Sie kritisiert, dass Bischof Trelle noch heute alles herunterspielt: "
"R. ist nicht jugendlich gewesen. Ich kann da einfach nur den Kopf schütteln. Das war kein Küsschen hier, Küsschen da unter Jugendlichen. Wir waren damals schon beim Schlafen und dann kam er zu mir. Aufdringlich und näher kommen, das steht ja so im Protokoll drin. Und das war nicht nur ein Mal. R. hat es ja die ganze Zeit immer wieder versucht, auch vorher schon, wenn er meine Familie in Hildesheim besucht hat. Er hat mich in den Flur geholt, lange umarmt und versucht, mich auf den Mund zu küssen."
"Da schrillen doch alle Alarmglocken"
Auch die damalige Begleiterin des Mädchens und Zeugin des Gespräches, ihre Religionslehrerin, bestätigt die Vorwürfe des Mädchens. Ebenso ihr Mann, ein Hildesheimer Diakon, der den Termin im Bistum für sie gemacht hatte.
Die Lehrerin fragt sich heute, ob sie damals zu gutgläubig gegenüber dem Bistum war: "Wir sind angehalten worden in der Schule, wenn wir etwas in Sachen Missbrauch mitbekommen, sollten wir uns ans Generalvikariat, wenden. Die Schülerin wollte nicht, dass ich die Eltern, Großeltern benachrichtige und ich habe sie gefragt, ob wir gemeinsam dorthin gehen, dort ist jemand, der darauf spezialisiert ist und ob wir mit dem reden wollen. Das haben wir getan." Sie sei davon ausgegangen, dass dem dann auch von der Kirche nachgegangen werde. "Als wir aus dem Generalvikariat rausgegangen sind, dachte ich: so, wir haben das jetzt auf einen guten Weg gebracht."
Angesichts der dann folgenden Erfahrungen denkt sie jetzt anders und selbstkritischer: "Mit allem, was ich jetzt weiß, würde ich heute sofort zusätzlich die Polizei verständigen. Da dieses Mädchen vielleicht aus Angst dazu nicht in der Lage war, hätte ich das als Erwachsene in der Schule für sie erledigen müssen. Es tut mir ihr gegenüber leid." Sie mache sich Vorwürfe.
Ihr Mann, der als Diakon die Hildesheimer Gemeinde von Peter R. übernahm, versteht das Zögern und Zaudern seines Bistums nicht: "Es gab den doch sehr klaren Hinweis auf Missbrauch für mich. Es geht und ging ja um einen im Bistum bekannten Täter, Peter R." Man habe ihn in der Diözese beschäftigt obwohl bekannt gewesen sei, dass es schon vor 2010 zu Übergriffen durch ihn gekommen sein soll. "Diese Fälle hätten wir verhindern können. Es ging um einen bekannten Namen und da gibt es nichts, was mit anderem Tun und Handeln vergleichbar ist. Da schrillen doch alle Alarmglocken."
Komplettes Versagen
Die Traumatherapeutin Ursula Enders, Leiterin von "Zartbitter", einer Einrichtung gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen in Köln, kennt den Fall. Sie wirft dem Hildesheimer Bistum komplettes Versagen vor: "Das Protokoll enthält ganz klar klassische Hinweise auf Täterstrategie. Jeder Täter steigert seine Handlungen und bereitet massivere vor." Selbst die beschriebenen Handlungen seien schon klare Formen sexualisierter Gewalt. "Ein Bistum, dass so eindeutige Hinweise nicht wahrnimmt und bagatellisiert, vertuscht die Gewalt, die ein Priester gegenüber einem Mädchen verübt hat."
Wenn Trelle sagt, es sind Umarmungen wie unter Jugendlichen üblich, dann habe der Priester ja schon gegen eine Grenzachtung zwischen den Generationen verstoßen. Und damit habe er gegen die Leitlinien der Bischofskonferenz verstoßen, die sich genau gegen solche Grenzverletzungen verwehrten. "Es ist ganz klar, dass jeder in der Kirche verpflichtet ist, schon bei Grenzverletzungen und Übergriffen zum Schutze von Mädchen und Jungen aktiv zu werden."
Hat die katholische Kirche aus ihren Missbrauchsfällen gelernt? Im Bistum Hildesheim offensichtlich nicht. Seit Wochen wird unter den mehr als 600.000 Katholiken nicht nur das Verhalten ihres Bischofs im Falle Peter R. heftig diskutiert. Trelle hat in den vergangenen Wochen auch die Missbrauchs-Vorwürfe gegen seinen Vorgänger, Bischof Heinrich Maria Janssen, heruntergespielt. Der SPIEGEL berichtete darüber . Die Bischof-Janssen-Straße in Hildesheim müsse nicht umbenannt werden, hieß es, und der verehrte Bischof dürfe auch weiter in der Ehrengruft des Domes liegen bleiben.
Auch der ehemalige Ministrant, der seinen Missbrauch der Bistumsspitze in Hildesheim Anfang dieses Jahres vertraulich mitteilte, fühlt sich inzwischen durch Trelle diskriminiert und falsch dargestellt.
Das Opfer wehrt sich nun: "Im Gegensatz zu ihren jetzigen Aussagen hatte die Bistumsspitze von Hildesheim mir monatelang mehrfach mündlich und schriftlich versichert: 'Wir alle glauben Ihnen!' und auch die zuständige Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz hat bestätigt, dass es sich bei einem Missbrauch durch einen Bischof um einen besonders schwerwiegenden Fall handelt." Auch er fordert Trelles Rücktritt. Der Bischof hat am 18.12.2015 zu dem Vorgang informiert und seine Sicht der Dinge geschildert .
Zusammengefasst: Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle gerät unter Druck: Im März 2010 hatte eine Minderjährige berichtet, der Priester Peter R. sei ihr gegenüber wiederholt aufdringlich geworden. Trelle behauptet heute, er habe damals aus den Aussagen des Mädchens keinen Missbrauchsfall erkennen können. Nun zeigt ein Protokoll des Gesprächs: Die Hinweise waren deutlich.