BKA-Tagung Polizei warnt vor neuen Formen der organisierten Kriminalität

Mafiosi, Rocker, Betrüger: Die organisierte Kriminalität bedroht zunehmend die Sicherheit in Deutschland. Bundesinnenminister de Maizière überlegt, eine zentrale Instanz mit der Bekämpfung solcher Fälle zu betrauen.
Einsatz gegen Hells Angels (2012): "Wir müssen neu denken"

Einsatz gegen Hells Angels (2012): "Wir müssen neu denken"

Foto: Britta Pedersen/ dpa

Banden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität alarmieren Deutschlands Sicherheitsbehörden. Bei einer Expertentagung des Bundeskriminalamts (BKA) in Mainz warnte Innenminister Thomas de Maizière davor, das Phänomen zu unterschätzen. Der Umstand, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Mafiosi und Rocker seit vielen Jahren konstant sei, sage wenig aus: "Wir blicken durch ein gleichbleibend großes Schlüsselloch auf einen Ausschnitt", so der CDU-Politiker.

De Maizière mahnte in seinem Vortrag an, dass Polizei und Justiz sich auf neue Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OK) einstellen müssten. Vielfach orientierten sich die Sicherheitsbehörden noch an vermeintlichen Hierarchien der Banden, die nicht mehr zeitgemäß seien. Inzwischen agieren die Kriminellen demnach stärker in Netzwerken, wie etwa das Beispiel des bislang größten Cyberbankraubs gezeigt hatte.

In einer Februarnacht 2013 erbeutete eine Bande von Kriminellen mit einer manipulierten Kreditkarte knapp 40 Millionen Dollar. Zuvor hackten sich Täter in das IT-System eines Bankdienstleisters, stahlen und manipulierten wichtige Daten. Die erbeuteten Informationen wurden anschließend in 22 Länder verteilt, dort auf Rohlinge kopiert und an Komplizen ausgegeben. Zuletzt zogen zeitgleich Hunderte Handlanger los, um mit der gefälschten Kreditkarte an Bankautomaten überall auf der Welt Geld abzuheben. Eine Ermittlerin nannte es "einen kriminellen Flashmob".

Minimales Entdeckungsrisiko

Es sind Fälle wie dieser, die de Maizière meint, wenn er fordert: "Wir müssen neu denken." Ein Nachteil für die oftmals grenzüberschreitenden Ermittlungen gegen kriminelle Banden sei, dass es keine zentrale Instanz in Deutschland für organisierte Kriminalität gebe. Daher solle geprüft werden, so de Maizière, ob die Bundesanwaltschaft nicht grundsätzlich "transnationale OK-Verfahren" übernehmen könne.

Überhaupt bereitet die wachsende Kriminalität im Internet dem BKA große Sorgen. Cybercrime als Teil der organisierten Kriminalität sei Realität, so die BKA-Abteilungsleiterin Sabine Vogt. Das Center for Strategic and International Studies gehe für 2013 von einem Schaden von umgerechnet 457 Milliarden Euro weltweit aus. Die BKA-Expertin nannte Kreditkartenbetrug und einen Online-Schwarzmarkt für Waffen und Drogen als Beispiele. Es werde schwerer, dagegen vorzugehen. Das Täternetzwerk kommuniziere verschlüsselt.

Vogt forderte ausreichend Möglichkeiten für Online-Durchsuchungen. Einer Studie aus Niedersachsen zufolge werden nur neun Prozent aller Straftaten im Internet angezeigt, davon bleiben wiederum 70 Prozent unaufgeklärt. Das Entdeckungsrisiko für die Täter ist minimal.

Ziercke plädierte für neue Debatte über Vorratsdatenspeicherung

Auch den BKA-Präsidenten Ziercke trieb im vergangenen Jahr bereits diese "Gerechtigkeitslücke" um, die aus fehlenden Befugnissen der Behörden resultiere. Auf diese Weise würden "die Cleveren und Verantwortungslosen bevorteilt".

Diese Diskrepanz geht nach Ziercke auch darauf zurück, dass es in Deutschland immer noch keine geltenden Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung gebe. Dabei sind nach einer Auswertung des BKA Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität bis zu 70 Prozent von einer funktionierenden Telekommunikationsüberwachung abhängig. Fehle diese Möglichkeit, würden zahlreiche schwere und schwerste Straftaten nicht verfolgt, so Ziercke seinerzeit.

"Wenn wir eine Nichtaufklärungsquote von 70 Prozent hinnehmen wollen, bin ich bereit, mich nicht mehr für die Vorratsdatenspeicherung einzusetzen", sagte Innenminister de Maizière nun. "Diesen Konsens gibt es aber nicht", fügte er hinzu. "Wir sollten uns deshalb offen und selbstbewusst dieser Diskussion über Mittel und Befugnisse unserer Sicherheitsbehörden stellen."

Bei der Tagung des BKA beschäftigen sich am Donnerstag 550 Sicherheitsexperten mit dem Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Die Banden operieren international und scheffeln illegal Milliarden aus Drogenhandel, Raub und Diebstahl, Wirtschaftsdelikten und Menschenhandel. Zum Auftakt der Veranstaltung am Mittwoch war Holger Münch zum neuen Präsidenten der Behörde ernannt worden. Den langjährigen Leiter des BKA, Jörg Ziercke, verabschiedete der Innenminister in den Ruhestand.

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