Rücktritt von SPD-Lokalpolitiker Aus dem Amt gehasst

Unbekannte drohten ihm immer wieder mit dem Tod, nun zieht Thomas Purwin Konsequenzen: Der SPD-Chef in Bocholt tritt wegen Hassmails zurück. Der Rechtsstaat konnte ihm nicht helfen.
Historisches Rathaus von Bocholt

Historisches Rathaus von Bocholt

Foto: imago/ blickwinkel

Seit Langem schon erhalte er anonyme Anfeindungen aus dem Internet, sagt Thomas Purwin, nun aber sei eine Grenze überschritten: Am Sonntag habe er erstmals eine Mail bekommen, in der die Verfasser seine Partnerin und die Tochter bedrohten. "Da war für mich klar", sagt er: "Wenn's gegen die Familie geht, ist Feierabend."

Purwin trat als Chef des SPD-Stadtverbandes in Bocholt zurück und kündigte den Rückzug aus der Lokalpolitik an - "schweren Herzens".

Der Fall Purwin ist mehr als eine lokale Geschichte aus dem Münsterland, wirkt der Schritt des Politikers doch wie eine Kapitulation vor dem Hass: Einige der Mails, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, offenbaren eine erschütternde Verachtung gegenüber Menschlichkeit, Anstand, Fairness - und Purwin ist nicht der einzige betroffene Lokalpolitiker in der 70.000-Einwohner-Stadt.

Mehrere führende Amtsträger werden schon seit Ende 2015 bedroht und beleidigt, unter anderem erhielten Bürgermeister Peter Nebelo und Stadtkämmerer Ludger Triphaus Morddrohungen. Laut Purwin geht es um Hunderte Mails binnen einem Jahr, "allein in den vergangenen Wochen waren es Dutzende". Als im Herbst auch der SPD-Ortschef entsprechende Schreiben erhielt, sagte er den Parteitag seines Verbands aus Angst vor Übergriffen ab.

SPD-Politiker Thomas Purwin

SPD-Politiker Thomas Purwin

Foto: DPA/ SPD

Inzwischen ist klar, warum Purwin so reagierte. Seinen Parteifreund, den Bocholter Bürgermeister Peter Nebelo, bezeichneten Unbekannte in einer Mail als "Judengesicht", "Hurensohn", "Pisser" - und schwadronierten offen darüber, die gesamte Stadtverwaltung müsse "vergast werden". Auch Purwin selbst erhielt unmissverständliche Drohungen wie: "Molotov is waiting for you." In anderen Nachrichten kündigten die Absender an, ihn zu töten - "mit Kleinkaliber".

Der Standesbeamte Purwin, der dreieinhalb Jahre lang Chef des SPD-Ortsvereins war, hat nun politische Konsequenzen gezogen - ganz so, als wäre eine juristische Lösung des Problems höchst unwahrscheinlich. In der Tat seien die Ermittlungen sehr schwierig, sagt eine Sprecherin der Polizei in Münster, da die Mails über IP-Adressen aus dem Ausland verschickt worden seien. Es müsse zunächst geklärt werden, woher genau sie stammen. Purwin selbst geht ohnehin eher von mehreren Tätern aus, wie er sagt: "wegen der unterschiedlichen Schreibstile".

Der Staatsschutz ermittelt seit Monaten. Ende Oktober war die Wohnung eines 46-Jährigen in Bocholt durchsucht worden. Der Mann bestritt, Hassmails verfasst zu haben und wurde nach der Befragung wieder entlassen. Ein überschaubarer Erfolg - zumal NRW-Innenminister Ralf Jäger erst im vergangenen Jahr eine Task Force im Landeskriminalamt vorgestellt hatte, um "Täter aus der Anonymität des Internets und der sozialen Netzwerke" zu holen. Purwin jedenfalls konnte die Task Force nicht helfen.

Die SPD-Spitze ist "entsetzt" - und hilflos

Der Fall gehört in eine Reihe vergleichbarer Attacken auf Lokalpolitiker in den vergangenen zwei Jahren: Im sächsischen Freital sprengten mutmaßlich Rechtsextreme das Auto eines Linken-Politikers in die Luft. Der Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt trat aus Angst vor rechten Demonstranten zurück. Im norddeutschen Oersdorf wurde der Bürgermeister sogar niedergeschlagen - offenbar wegen seiner Asylpolitik.

Purwin geht anhand des Inhalts der an ihn adressierten Hassmails davon aus, dass auch sie von Rechten stammen - obwohl der ermittelnde Staatsschutz das so nicht bestätigt: Weil es bei den Beschimpfungen um einen Politiker gehe, könne ein politischer Hintergrund aber nicht ausgeschlossen werden, sagt eine Polizeisprecherin.

Das Entsetzen vor allem in der SPD ist groß. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zeigte sich "entsetzt, aber auch wütend". SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, die Partei respektiere Purwins Entscheidung, bedauere dennoch seinen Rückzug. Und Parteichef Sigmar Gabriel kündigte an, bei einem neuen Termin für den geplatzten Ortsparteitag nach Bocholt zu kommen.

Purwin ließ sich von all dem nicht umstimmen. Nicht gegen die Politik habe er sich entschieden, sagt er, sondern für die Familie. Er freue sich nun, wieder mehr Zeit für sein Hobby zu haben, den klassischen Garde- und Schautanz zu Karneval. Eine politische Botschaft liegt ihm dann aber trotzdem noch am Herzen: "Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit erfährt, was hier läuft", sagt er. "Und zwar nicht nur in Bocholt."

Mitarbeit: Jörg Diehl; mit Material von dpa
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