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Bombenanschlag von Boston Amerika jagt zwei Mützenträger

Heiße Spur nach dem Attentat in Boston: Das FBI präsentiert Bilder zweier Verdächtiger mit Baseballmützen und Rucksäcken. Wer sind die beiden jungen Männer, was machten sie am Tatort?

Richard DesLauriers, der Special Agent des FBI für Boston, macht es spannend. Eigentlich hat er für 17 Uhr eine Pressekonferenz im Sheraton Hotel angekündigt, will neueste Ermittlungsergebnisse präsentieren. Doch die Minuten verstreichen, DesLauriers zeigt sich nicht. Helfer tragen zwei Staffeleien herein, darauf schwarze Pappen. Die Rückseiten von Fotoaufnahmen.

Damit ist klar: Nach drei Tagen hat das FBI eine heiße Spur, wird offensichtlich gleich Bilder zweier Verdächtiger präsentieren. DesLauriers lässt noch weitere gut zehn Minuten verrinnen, dann sein Auftritt.

Schwarze Kappe, weiße Kappe

Rund um die Uhr hätten die Behörden seit Montag gearbeitet, sagt er. Methodisch seien sie den Spuren nachgegangen. Und dann, endlich, lässt er die Pappen herumdrehen, zeigt Fahndungsbilder nach den Verdächtigen: Zwei Männer, von Videokameras kurz vor der Explosion jener beiden Bomben im Zielbereich des Marathonlaufs aufgenommen, die drei Menschen in den Tod rissen und mehr als 170 verletzten.

Der eine Mann trägt Sonnenbrille und eine schwarze Baseballkappe; der andere eine weiße, nach hinten gedreht. Offensichtlich gehen sie hintereinander durch die Menge, der "Verdächtige 1" (DesLauriers) mit der schwarzen Mütze vor dem "Verdächtigen 2".

Beide tragen Rucksäcke, in denen sich die Sprengsätze befunden haben sollen. Man habe die Verdächtigen bisher nicht identifizieren können, sagt der FBI-Agent.

Fotostrecke

FBI-Fahndungsfotos: Das sind die Verdächtigen von Boston

Foto: AFP/ FBI

Der Mann mit der weißen Mütze ist auf dem Profilfoto gut zu erkennen: Er ist jung und hat dunkle Haare. Die Polizei hat den Angaben zufolge Filmaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie der Mann mit der weißen Kappe seinen Rucksack vor dem Restaurant abstellt, vor dem sich die zweite Explosion ereignete. Von dem anderen Verdächtigen gebe es keine derartigen Bilder, sagt DesLauriers. Der Rucksack sei "Minuten" vor der Detonation der Bombe abgelegt worden.

"Irgendjemand da draußen kennt sie"

Das FBI setzt nun auf die Hilfe der Öffentlichkeit. "Jede noch so kleine Information hilft uns weiter", sagt DesLauriers. Und: "Irgendjemand da draußen kennt diese Individuen." Die Bilder der Verdächtigen werden auf alle erdenklichen Wege verbreitet: Übers Fernsehen, über die sozialen Netzwerke, über Abertausende Retweets auf Twitter, auf Englisch, auf Spanisch. Und auch auf digitalen Anzeigetafeln rund um Boston sind die Mützenträger zu sehen. In wenigen Stunden wird so gut wie jeder Amerikaner die Bilder gesehen haben.

Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Männer gestellt sind. Das zumindest ist die Hoffnung.

FBI-Chefermittler DesLauriers warnt allerdings davor, dies in Eigenregie zu versuchen: Die Verdächtigen seien möglicherweise "bewaffnet und extrem gefährlich". Ob von den beiden in der Zwischenzeit weitere Anschläge drohten, wird er gefragt. "Nein", sagt DesLauriers, "es gibt keine unmittelbar bevorstehende Gefahr."

Schießerei auf Bostoner Campus

Seit der FBI-Pressekonferenz wird in Boston spekuliert: Was mag es bedeuten, dass es möglicherweise zwei Täter gibt statt eines verwirrten Einzeltäters? Deutet das auf einen ausgetüftelten Plan hin? Oder erhöht dies gar die Chancen, dass die Verdächtigen rasch gestellt werden, da zwei Personen logischerweise mehr Bekannte, Freunde, Nachbarn haben als eine?

Die Lage in der Stadt jedenfalls ist angespannt. Einerseits naht das Wochenende, viele junge Leute sind am Abend unterwegs, Restaurants und Bars sind gut gefüllt. Andererseits reagieren die Menschen in den Tagen nach dem Marathon-Attentat besonders sensibel auf Zeichen der Gefahr.

So löst am Mittwoch eine Bombendrohung gegen Bostons Bundesgericht neue Ängste aus - am Ende stellt sie sich glücklicherweise als gegenstandslos heraus. Am späten Donnerstagabend wiederum meldet das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Schießerei auf dem Campus, ein Polizist wird offenbar getötet. Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Bombenanschlag gibt es bisher nicht.

Was ist bloß los mit unserer Stadt?

Die Leute fragen sich: Was ist bloß los in unserer Stadt? Sie suchen nach Halt und Orientierung. Am Donnerstagmittag versammeln sich 2000 Menschen zu einem Gedenkgottesdienst in der Heiligkreuz-Kathedrale in der Nähe des Tatorts, Tausende stehen draußen. Aus Washington ist der US-Präsident eingeflogen. Barack Obama spricht tröstende Worte: "Wir werden alle an eurer Seite stehen, wenn ihr lernt, wieder zu stehen, wieder zu arbeiten - und zu laufen", ruft er den Bostonern zu.

Die Täter hätten Terror verbreiten wollen, "aber es sollte mittlerweile klar sein, dass sie sich dafür die falsche Stadt ausgesucht haben". Die Zuhörer stehen auf, applaudieren. Es mag sein, sagt Obama, dass "es uns gerade von den Füßen gerissen hat, aber wir werden aufstehen und das Rennen beenden". Dann versucht er ein Lächeln inmitten all dieser Trauer: "Wir sind nicht aufzuhalten." Und: "Eine Bombe kann uns nicht besiegen."

Obama hat auch eine Botschaft an die Täter. "Wir werden euch finden", sagt er, "und wir werden euch zur Verantwortung ziehen."

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