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Rio de Janeiro: Aufschrei nach mutmaßlicher Massenvergewaltigung

Foto: VANDERLEI ALMEIDA/ AFP

Mutmaßliche Massenvergewaltigung in Brasilien "Eine barbarische Tat"

Eine mutmaßliche Massenvergewaltigung schockiert Brasilien: Mehr als 30 Männer sollen eine 16-Jährige misshandelt haben. Jetzt protestieren Zehntausende gegen Machokultur und sexuelle Gewalt.

"Schau wer da blutet, hier ist die ganze Truppe durchgezogen" sagt ein lachender Mann und zeigt auf ein Mädchen, das auf dem Bett liegt, Blut fließt aus ihrem Schambereich. "Mehr als 30 haben die hier geschwängert." Es ist ein Ausschnitt aus einem Video, das in den sozialen Netzwerken in Brasilien zirkuliert.

Die Behörden konnten das Mädchen identifizieren, nachdem der Großvater das Video gesehen hatte und die Polizei informierte. Die 16-Jährige wollte in der Nacht nach einer Party bei ihrem Freund in einer Favela in Rio de Janeiro schlafen und wachte am Tag darauf in einem anderen Haus auf, erzählte sie einem Fernsehsender - "mit 33 bewaffneten Männern."

Ihr Freund habe vermutet, dass sie ihn betrogen habe, und für den Racheakt Bekannte mobilisiert. Die Männer hätten sie erst mit Drogen betäubt, an einen Teil der Vergewaltigung könne sie sich aber erinnern.

Rios Staatssekretär für innere Sicherheit, José Beltrame, versicherte, dass Rios Polizei alles unternehmen werde, um die Täter zu finden, Gewalt gegen Frauen sei unhaltbar: "Egal ob einer oder 30 Männer - dieses Verbrechen wird hart bestraft werden." Die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff hat sich in einem Tweet zu der mutmaßlichen Vergewaltigung geäußert: "Solche Verbrechen sind inakzeptabel. Eine barbarische Tat, die bestraft werden muss."

Vier Verdächtige identifiziert

Vier der Verdächtigen wurden bisher identifiziert. Das Problem der Ermittler: Das Video dokumentiert, wie das Mädchen verhöhnt wird - aber nicht den Akt an sich. Die Beweissicherung ist schwierig, weil der Vorfall eine Woche zurückliegt.

"Wir sind weit davon entfernt, sagen zu können, was genau geschehen ist", sagt Alessandro Thiers von der Cybercrime-Einheit Delegacia de Repressão a Crimes de Informática (DRCI). Bisher gibt es keine Festnahmen, wegen mangelnder Beweise. Einzig das Teilen des Videos ist aktuell strafbar, als pornografische Darstellung einer Minderjährigen.

"Die Täter werden gefunden und bestraft werden", sagt der brasilianische Kriminalitätsexperte Zeca Borges. "Und dann? Nichts wird sich ändern, morgen werden es andere sein - solange in Brasilien in der Bildung nicht alles auf den Kopf gestellt wird."

Protest in sozialen Netzwerken

Doch es bewegt sich etwas. In sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter rufen Frauen zu Protesten in São Paulo, Belo Horizonte und Rio auf. Mehr als 750.000 Facebooknutzer haben ihr Profilbild geändert, in das Foto einer geballten Faust, daneben die Forderung: "Genug mit der Vergewaltigungskultur".

Hashtags wie #UmDiaSemEstupro  (Ein Tag ohne Vergewaltigung) trendeten auf Twitter. Auch das Bild des Künstlers Matheus Ribs ging viral: eine gekreuzigte Frau, an deren Beinen Blut herunterfließt. Prominente, Fußballklubs, Fernsehsender melden sich zu Wort - alle wollen ein Zeichen gegen Vergewaltigungen setzen.

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Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilen die alltägliche Gewalt gegen Frauen und die Machokultur, die in Brasilien herrscht. Acht von zehn Brasilianerinnen haben einer Studie der Hilfsorganisation ActionAid zufolge Erfahrungen mit sexueller Nötigung gemacht. Acht Prozent seien an öffentlichen Plätzen vergewaltigt worden. "Es ist quasi eine seltene Ausnahme, wenn eine Frau noch nicht in der Öffentlichkeit belästigt worden ist", sagt Nadine Gasman vom brasilianischen Ableger der Frauenrechtsorganisation UN Frauen.

Allein im Bundesstaat Rio de Janeiro wurden 2014 durchschnittlich 15 Frauen pro Tag vergewaltigt, mehr als die Hälfte Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 17 Jahren. Nach Angaben des Instituts für öffentliche Sicherheit in Rio de Janeiro gab es 2015 allein in der Stadt Rio de Janeiro 1610 Vergewaltigungen. Strafrechtlich belangt wird nur ein Bruchteil der Täter - und die Dunkelziffer ist hoch.

Die Verachtung von Frauen zeigt sich an vielen Stellen: Gewalttaten und sexuelle Übergriffe werden oft verharmlost, in Fernsehshows und Telenovelas werden Frauen sexualisiert. Auch in der Politik herrscht das antiquierte Rollenbild. Brasilien hat gerade seine erste Präsidentin suspendiert: Rousseff passt nicht recht in das brasilianische Frauenbild, wird als kühl und verschlossen wahrgenommen und wurde von ihnen Gegnern immer wieder sexistisch attackiert.

Männerdominierte Politik

Das neue Kabinett des Übergangspräsidenten Michel Temer besteht nur aus weißen Männern - in einem Land mit 200 Millionen Einwohnern, in dem 51 Prozent der Bevölkerung Frauen sind. Der Kongress diskutiert gerade ein konservatives Abtreibungsgesetz: Wenn die Vergewaltigung nicht nachzuweisen ist, könnten Abtreibungshelfer mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. "Es ist religiöser Einfluss, der sich hier in die Politik mischt", sagt die Abgeordnete Jandira Feghali.

Traditionelle Moralvorstellungen führen dazu, dass oft die Opfer kriminalisiert werden, nicht die Täter. Als Details über die mutmaßliche Massenvergewaltigung bekannt wurden, spekulierten viele sofort, wie viel Schuld das Mädchen trug. Warum ging sie freiwillig in die Favela? Zog sie sich zu freizügig an? Auf Twitter solidarisieren sich mittlerweile Tausende Menschen unter dem Hashtag #EstuproNaoÉCulpaDaVitima  (Vergewaltigung ist nicht die Schuld des Opfers) mit ihr.

Auch viele Männer kritisieren die Vergewaltigungskultur: "Ich schäme mich heute, ein Mann zu sein", schreibt einer. "Alle, die das Video geteilt haben: Ihr seid einer von den 30; die von euch sagen, sie habe selbst Schuld, ist einer von den 30". Oder: "Jeder von uns hat eine Schwester, eine Tochter, eine Mutter - nichts rechtfertigt eine Vergewaltigung."


Zusammengefasst: In Brasilien regt sich nach der mutmaßlichen Massenvergewaltigung einer 16-Jährigen Protest gegen die weitverbreitete Machokultur im Land. Oft werden Gewalt und sexuelle Übergriffe verharmlost. In den sozialen Netzwerken solidarisieren sich Tausende Menschen mit dem Opfer.

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