
BND: Der Fall Alois Brunner
Braune Vergangenheit BND vernichtete Akten zu SS-Verbrecher Brunner
Hamburg - Die brisanten Papiere umfassten einst 581 Seiten. Das hat die "Forschungs- und Arbeitsgruppe Geschichte" des BND unter Leitung von Bodo Hechelhammer immerhin noch herausfinden können. Und dass die Papiere irgendwann zwischen 1994 und 1997 entsorgt worden waren, ein präzises Datum gibt es erstaunlicherweise nicht.
Es geht um den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Alois Brunner, damals engster Mitarbeiter des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann. Brunner war während des Zweiten Weltkriegs mitverantwortlich für die Deportation von rund 128.500 Juden aus mehreren von Hitlers Truppen besetzten Ländern in Konzentrations- und Vernichtungslager.
Er gilt nicht nur als Schreibtischtäter, er beteiligte sich auch persönlich, etwa in Frankreich, an der Jagd nach Menschen, die sich versteckt hielten. Nach dem Krieg tauchte er unter und setzte sich in den fünfziger Jahren nach Syrien ab, wo er immer wieder mit Journalisten sprach. Stets bestritt die syrische Regierung, Brunner halte sich im Lande auf. Ob der heute 99-jährige gebürtige Österreicher noch lebt, ist ungewiss.
Wer ließ die Papiere vernichten?
Die Initiative, die Brunner-Papiere zu schreddern, kam von einem Referat aus der Sicherheitsabteilung des Dienstes. Ein Mitarbeiter schlug am 22. Februar 1994 vor, "der BND sollte sich von diesen Unterlagen trennen". Gründe dafür nannte er nicht. Drei Jahre später findet sich auf einem Blatt der Hinweis: "Datenschutzbeauftrager hat dafür gesorgt, dass gelöscht wird", es sei "nichts mehr vorhanden".
Brisant daran ist: die Vernichtungsaktion erfolgte offenbar hinter dem Rücken der BND-Spitze. In den entsprechenden Jahren unterstand der BND den Präsidenten Konrad Porzner (SPD) und Hansjörg Geiger (parteilos). Beide erklärten gegenüber dem SPIEGEL, von einer Vernichtung von Brunner-Akten keine Kenntnis zu haben. "Das hätte ich auch nie angeordnet", sagt Porzner und verweist auf seinen Großvater, der als Sozialdemokrat zweimal im KZ Dachau inhaftiert war. Auch Ex-Staatsminister Bernd Schmidbauer, Kohls damaliger Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, versichert, er habe von dem Vorgang nie gehört und hätte ihn "auch ganz sicher nicht gebilligt".
Was stand in der Brunner-Akte des BND?
Über den Inhalt der vernichteten Brunner-Akte finden sich im BND-Archiv gegensätzliche Angaben. In einem Vermerk für die Spitze des Hauses hielt 1988 ein BND-Mitarbeiter fest, das Material stamme "fast ausschließlich aus der Zeit von 1957 bis 1964" und sei "von Quellen und Gesprächspartnern aus Nahmittelost geliefert" worden. Es befasse sich "ausschließlich mit dem Leben, den Verbindungen und Geschäften des Alois Brunner [...] in Ägypten und Syrien" und enthalte "keine Hinweise darauf, dass Brunner zu irgendeiner Zeit für den BND tätig war, weder als Sonderverbindung oder Quelle noch als hauptamtlicher Mitarbeiter".
Allerdings findet sich auch eine handschriftliche Aufzeichnung vom 2. September 1997 über ein dienstinternes Gespräch mit Volker Foertsch, damals Abteilungsleiter Sicherheit. Danach erklärte Foertsch, ihm sei "aus persönlichem Wissen" bekannt, dass Brunner "ehemaliger MA" (Mitarbeiter) in Damaskus gewesen sei. Ungeklärt ist, was sich hinter dem "persönlichen Wissen" von Foertsch verbirgt, der schon 1953 für den BND-Vorläufer Organisation Gehlen arbeitete. Ein damals in der Abteilung 5 tätiger Mitarbeiter sagt heute, Foertschs Kenntnis habe nur auf Hörensagen beruht, und das Ganze sei "nicht belastbar".
Die Geschichtsaufklärer im BND um Chefhistoriker Hechelhammer sehen sich durch den Fall Brunner in ihrem Streben nach Aufklärung der BND-Geschichte bestätigt. "Ich hätte mir gewünscht, die vollständige Akte präsentieren zu können", sagt Hechelhammer, denn dann wären "allen Spekulationen der Nährboden entzogen". Er hofft nun, in den noch ungesichteten Aktenbeständen im BND-Archiv die Antwort auf die Frage zu finden, was der BND mit Brunner zu schaffen hatte - und was nicht.