Breivik-Prozess "Ganz Norwegen weiß, dass ich nicht verrückt bin"
Wie krank ist Anders Breivik? Vor Gericht versucht der Attentäter immer heftiger, seine Zurechnungsfähigkeit zu beweisen. Experten halten einige seiner Argumente für schlüssig. Am Ende entscheidet das Gericht, ob der Massenmörder den Rest seines Lebens in der Psychiatrie verbringt.
Oslo - Krank oder gesund, zurechnungsfähig oder einfach irre? Der Prozess gegen Anders Breivik kreist immer mehr um die Frage, in welcher psychischen Verfassung der Angeklagte seine Taten beging.
Breivik selbst hat bereits mehrere Male während des Prozesses seinen Unmut über eines der beiden Gutachten geäußert, das ihn für unzurechnungsfähig erklärte. Es enthalte über 200 Fehler, sagte er vor Gericht. Angeblich von ihm getätigte Aussagen in Gesprächen mit Gerichtspsychiatern seien erfunden. "Das bin nicht ich", sagte er über die Person, als die er beschrieben wurde. Die Gerichtsgutachter seien nicht kompetent. "Ich habe mich immer als Narziss gesehen, aber nicht in einer krankhaften Weise", sagt er. Viele erfolgreiche Leute trügen diese Charakterzüge.
Die Frage nach dem Geisteszustand Breiviks ist im Prozess von großer Bedeutung und dürfte entscheidenden Einfluss darauf haben, ob er seine Strafe in einem Gefängnis oder in einer psychiatrischen Klinik verbüßen muss.
Ein Gerichtsgutachten der Psychiater Torgeir Husby und Synne Soerheim vom vergangenen November hatte Breivik für unzurechnungsfähig erklärt. Das Ergebnis war in der Öffentlichkeit heftig kritisiert und auch von Experten angezweifelt worden. Deshalb wurde eine zweite Beurteilung angeordnet. Diese attestierte Breivik Zurechnungsfähigkeit.
Er habe die beiden Gutachter gefragt, ob sie schon jemals einen politisch motivierten Attentäter untersucht hätten, sagte Breivik. "Das hatten sie nicht." Und so versuchte er, das Gutachten als ein Werk aus der Feder von "Asbjørnsen und Moe" zu diskreditieren - einem norwegischen Autorenduo, das wie die Brüder Grimm die Sagen des Landes niedergeschrieben hat.
"In eingen Punkten hat er recht"
"Wenn die Angelegenheit nicht so traurig wäre, könnte man über diesen Witz lachen", sagte der Gerichtspsychiater Pål Grøndal SPIEGEL ONLINE, er beobachtet den Prozess. "Bis jetzt hat Breivik Charakterzüge gezeigt, die beide Hypothesen stützen - zurechnungsfähig oder nicht."
Was es so schwierig mache, Breivik zu beurteilen, sei die Tatsache, dass er in einigen Punkten recht habe. Wenn er etwa argumentiere, dass das Gericht einem "bärtigen Dschihadisten" seine fundamentalistische Gesinnung sofort abgenommen hätte, er als blonder Norweger wegen seiner Taten aber auf Geisteskrankheit untersucht würde, dann liege er damit richtig. "Solche Äußerungen machen es schwer, Breivik einzuschätzen", sagte Grøndal.
Immer wieder hatten Beobachter ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht, dass Breivik am Donnerstag seine Argumente gegen das erste Gutachten selbst vortragen durfte. "Das ist nicht völlig unüblich", sagte Grøndal. "Ich habe Fälle erlebt, bei denen das passierte. Ich habe sogar Fälle erlebt, in denen der Angeklagte das Gericht davon überzeugt hat, zurechnungsfähig zu sein, obwohl das psychiatrische Gutachten das Gegenteil sagte."
Der Psychiatrieprofessor Sigmund Karterud kritisierte die für die Erstellung der Gutachten zuständige Osloer Gerichtsmedizin in der Tageszeitung "VG" heftig. Der entsprechenden Kommission drohe ein Glaubwürdigkeitsverlust wegen ihres Verhaltens gegenüber Breivik.
Das erste Gutachten, das Breivik für unzurechnungsfähig erklärte, habe die Kommission unkommentiert gelassen. Zu dem zweiten Gutachten aber, das ihn für gesund erklärte, hatte die Kommission Fragen. Die beiden Verfasser des zweiten Gutachtens müssen nun zusätzliche Informationen beibringen. Mit diesen Fragen habe die Kommission grundlos Unsicherheit und Verwirrung in das Verfahren gebracht, sagte Karterud.
"Ich sehe bei Breivik keine Anzeichen einer Schizophrenie. Schizophrenie ist eine ernste Geisteskrankheit, die ohne Behandlung nicht verschwindet", sagte er. Brieivk sei ein rechtsextremer Terrorist. Wie den meisten Menschen dieser Gesinnung fehle ihm das Gefühl für Grenzen. Aus diesem Grund solle er zu Sicherheitsverwahrung verurteilt werden. "So einfach kann der Prozess enden", sagte Karterud.
Fünf Theorien eines Massenmörders
Nach der Mittagspause hatte Breivik Gelegenheit, das erste Gutachten anzugehen. Es lief nicht besonders gut für ihn, wie Psychiater Grøndal sagte. Anstatt sich aus der Diagnose herauszuargumentieren, verstrickte er sich immer weiter in ihr.
Zuerst verteilte Breiviks Anwalt eine Kopie der schriftlichen Beschwerde seines Mandanten. Es handelte sich dabei um einen Text, der vor einigen Wochen an norwegische Medien verschickt worden war und der fünf Theorien enthielt, die erklären sollten, warum die Psychiater Sørheim und Husby ihn als geisteskrank erklären wollten.
Vor Gericht befasste sich Breivik nur mit einer dieser Theorien. Seine Untersuchung habe zu früh nach dem Attentat am 22. Juli stattgefunden, sagte er. Die beiden Psychiater seien emotional von den Taten noch zu aufgewühlt gewesen. Sie seien überdies nicht in der Lage, die politische Dimension seiner Gewalttaten zu verstehen.
"Ich dachte, ich würde sterben."
Vor der Mittagspause hatte das Gericht Zeugen angehört, die von der Bombenexplosion im Regierungsviertel berichteten. Die Schilderungen waren so grausam, dass die Verhandlung unterbrochen werden musste.
Breivik hörte den Aussagen emotionslos zu, sagte nichts. Der Zeuge Eivind Dahl Thoresen, 26 Jahre alt, erlebte die Explosion aus der Nähe. Am Mobiltelefon sprach er gerade mit einem Freund über die Tour de France, als die Bombe hochging. Er sah Flammen, hob seinen Arm, um sein Gesicht zu schützen. Die Wucht der Explosion schleuderte ihn mehrere Meter durch die Luft, er spürte eine große Hitze.
"Dann sah ich an mir runter. Blut schoss aus meinem linken Arm, es war surreal. Mit der rechten Hand habe ich die Wunde zugehalten, weil ich glaubte, die Blutung so stoppen zu können", sagte er. "Dann sah ich an meinen Beinen hinunter. Meine Jeans waren blutgetränkt, also setzte ich mich hin und rief um Hilfe. Ich würde sterben, dachte ich." Kurz vor Ostern wurde der letzte Splitter aus seinem Bein entfernt.
Am Ende des Prozesstages stellte ein Mitglied von Breiviks Anwaltsteam dem Angeklagten einige Fragen. Vibeke Hein Bæra wollte wissen, wie er sich den Rest seines Lebens vorstelle.
"Das kommt darauf an", sagte Breivik. "Entweder machen sie mich mit Medikamenten gefügig, stecken mich also in die Psychiatrie. Oder ich verbringe den Rest meines Lebens im Gefängnis, wo ich weiter schreiben werde. Das sind meine Alternativen."
"Haben Sie Angst vor der Psychiatrie?", fragte Hein Bæra. "Jetzt nicht mehr. Ganz Norwegen konnte sehen, dass ich nicht verrückt bin, deswegen sorgt mich das nicht mehr. Und meistens habe ich recht."