Attentäter Breivik in der Vernehmung Demontage des Bösen

Attentäter Breivik in der Vernehmung: Demontage des Bösen
Foto: Lise Aserud/ dpaEr will die Inszenierung, doch auch am zweiten Tag gerät sie zur Entzauberung. Staatsanwältin Inga Bejer Engh nimmt den geständigen Attentäter Anders Behring Breivik in die Zange. Die Anklägerin befragt ihn, warum er die Schule vor dem Abitur geschmissen und sich um den Militärdienst gedrückt habe. Dann fährt sie einen noch härteren Angriff auf sein Ego und erkundigt sich nach den Start-up-Firmen, die er als Schüler gegründet hat. Mit 24 habe er die erste Million Kronen verdient, behauptet Breivik: "Wer kann das in Norwegen schon von sich behaupten?"
Doch dann muss er zugeben, dass tatsächlich nur eine der Firmen Geld abwarf: Mit ihr verkaufte Breivik gefälschte Diplome. "Kann es sein, dass dies die einzige Firma ist, die erfolgreich war?", bohrt die Staatsanwältin nach. "Ja, das ist richtig", sagt ein sichtlich gequälter Breivik. "Es waren keine finanziellen Erfolge, ich habe aber viele Erfahrungen gemacht."
Es waren diese Aussagen, die den zweiten Tag im Prozess gegen Breivik prägten: Er saß hinter dem hölzernen Pult des Zeugenstands, eingezwängt in sein stets bis zum dritten Knopf geschlossenes Jackett und redete sich um Kopf und Kragen.
Die Ankläger wollen Breivik als eine gescheiterte Gestalt präsentieren, deren Selbstbild im scharfen Widerspruch zur Realität steht. Breivik, so wollen sie den Richtern klar machen, entwarf von sich das Bild des heldenhaften, politischen Kämpfers, weil er sich und seine Umwelt darüber täuschen wollte, ein Versager zu sein.
Die Staatsanwältin demütigt den Attentäter - durch Fakten
Der Morgen hatte für Breivik gut begonnen: Zunächst entließ das Gericht einen Schöffen, der zugeben musste, nach den Anschlägen vom 22. Juli in Internetforen die Todesstrafe für Breivik gefordert zu haben.
Dann durfte Breivik sein selbst vorbereitetes Statement verlesen, das die Grundlage für das Verständnis seiner Taten darstellen sollte. Dabei stilisierte er sich als "militaristischen Ultranationalisten", dessen "Widerstand gegen die Islamisierung Norwegens und Europas" durch das "internationale Menschenrecht" gerechtfertigt sei.
Die 77 Toten hätten allein dazu gedient, weiteres Blutvergießen in einem Bürgerkrieg zwischen islamistischen Einwanderern und norwegischen Ureinwohnern zu vermeiden. Das war die menschenverachtende Quintessenz seines entemotionalisierten Vortrags. Breivik gefiel sich in seiner Rolle, brüstete sich, in der gleichen Lage gehandelt zu haben wie amerikanische Generäle im Zweiten Weltkrieg, die Bombenangriffe gegen Deutschland und Japan befohlen hätten, "um größeres Leid zu verhindern".
Es war Staatsanwältin Engh, die Breivik immer wieder erdete, indem sie ihn mit der Realität konfrontierte - und gleichsam demütigte, indem sie seinen Hirngespinsten Fakten entgegensetzte.
Nach seinem Abitur befragt, geriet Breivik ins Schwimmen. Er gab an, 15.000 Stunden mit einem Selbststudium zugebracht zu haben. "Welche Themen schließt das ein?", fragte ihn Staatsanwältin Engh.
"Um Ihnen ein Beispiel zu geben: technische Analyse von Aktienmärkten. In diesem Feld habe ich zehn Bücher gelesen."
"Können Sie Titel nennen?"
"Nein."
Auch für Geschichte und Religion habe er sich interessiert. "Am meisten habe ich Wikipedia benutzt. Da stecken viele Informationen drin."
Staatsanwältin Engh kreiste Breivik immer weiter ein. Sie kam zurück auf seine mangelnde Schulbildung und wollte wissen, ob es nicht besser sei, über formelle Abschlüsse zu verfügen. Breivik rettete sich in gequälte Ironie: "Ich hätte mir ja auch eines meiner gefälschten Diplome ausdrucken können", sagt er, lacht mit breitem Mund und wirft seinen massigen Kopf zurück. "Das ist natürlich ein Witz."
Keiner im Saal lachte mit, und Engh setzte nach - in einer Tonlage, die norwegische Kommentatoren mit dem einer Mutter vergleichen. Einer Mutter, die mit ihrem kleinen Kind spricht.
Der Attentäter wird des Selbstbetrugs überführt
Keiner der Erfolge, für die sich Breivik in seinem über 1500 Seiten langen Manifest lobt, hält ihren Nachfragen stand. Seine Kandidatur für das Gemeindeparlament in Oslo, für die ihn die rechtskonservative Fortschrittspartei aufgestellt hatte: Breivik will auf dem guten Listenplatz 23 gestanden haben. Staatsanwältin Engh hält ein Blatt aus ihren Akten hoch. "Die Partei hat uns mitgeteilt, auf der Position 23 steht eine Lene Langemyr." Breivik strauchelt. In seinem Manifest habe er sich etwas "pompös" darstellen wollen.
Immer weiter gerät er in den Sog seines Selbstbetrugs. Die harten Kämpfe mit muslimischen Jugendlichen in seinem Viertel schrumpfen im Verlauf der Befragung zu gewöhnlichen Streitereien. Ob es dabei jemals um politische Dinge gegangen sei, will die gewandte Anklägerin wissen. "Nein", sagt er.
Dann flüchtet sich Breivik ins Allgemeine: Die Migranten hätten Frauen in seinem Viertel vergewaltigt, hätten geklaut, geraubt. Alle wüssten das. "Doch darüber darf natürlich nicht berichtet werden, weil die Muslime eine bedrohte Minderheit darstellen."
Breivik versucht, den Eindruck des Geisteskranken zu zerstreuen, indem er das zentrale Argument der forensischen Psychiater angreift: Dass es sich bei dem paneuropäischen Netzwerk von Tempelrittern, dem Breivik angeblich angehören will, um eine bizarre Wahnvorstellung handelt. Er redet von Reisen nach London, nach Liberia, wo er sich angeblich mit Gleichgesinnten getroffen haben will.
Doch auf Nachfragen der Staatsanwältin weicht er aus. Er könne nicht konkreter werden, keine Organisationen nennen, keine Namen. Der Eindruck verfestigt sich im Laufe des zweiten Tages, dass diese Dinge tatsächlich eher Hirngespinste sind. Auf Druck der Anklägerin gibt Breivik schließlich zu: Das großartige Netzwerk von Tempelrittern setze sich vielmehr aus "einzelnen Zellen" zusammen. Drei dieser Zellen gebe es in Norwegen. "Ich bin Zellenkommandant der einen", sagt Breivik. Engh: "Also drei Ein-Mann-Zellen." Breivik: "Ja."