Bremer Pastor wegen Aussagen zu Homosexuellen vor Gericht Das Bibelverständnis des Olaf Latzel

Er bezeichnete Homosexuelle als »Verbrecher«, wurde wegen Volksverhetzung verurteilt und legte Berufung ein. Vor Gericht gab sich der Bremer Pastor Latzel jetzt reumütig.
Aus Bremen berichtet Julia Jüttner
Pastor Olaf Latzel zwischen seinen Verteidigern im Bremer Landgericht

Pastor Olaf Latzel zwischen seinen Verteidigern im Bremer Landgericht

Foto: Sina Schuldt / dpa

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Als die Fernsehteams und Fotografen den imposanten Schwurgerichtssaal betreten, sitzt Olaf Latzel schon auf der Anklagebank. Auch Anhänger aus seiner Gemeinde sind bereits da.

Die Staatsanwältin lässt auf sich warten, der Geistliche von der Bremer St.-Martini-Kirche erhebt sich, vertritt sich die Beine. Ein groß gewachsener Mann, aufrechter Gang, breites Kreuz, kantiges Gesicht, mit weißem Hemd und schwarzem Anzug – und mit einer Weltanschauung so antiquiert wie die Wandvertäfelung hinter ihm aus dem 19. Jahrhundert.

In dem Seminar »Biblische Fahrschule zur Ehe« bezeichnete der 54-Jährige laut Anklage Homosexualität als eine »Degenerationsform der Gesellschaft«. Er sagte demnach: »Diese Homo-Lobby, dieses Teuflische, kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein.« Überall liefen »diese Verbrecher rum von diesem Christopher Street Day«, so sagte es der Pastor vor den etwa 30 Ehepaaren. Äußerungen, die Richter Hendrik Göhner im Prozess vorspielen lässt.

»Zum Hass aufgestachelt«

Sie stammen vom 19. Oktober 2019, dem Tag des Seminars, und wurden via Audiodatei auch über den YouTube-Kanal der Kirche herausposaunt. Das Amtsgericht Bremen verurteilte Latzel deshalb im November 2020 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen à 90 Euro. Der Pastor legte Berufung ein.

So sitzt er an diesem Montag vor der Strafkammer 51 im Landgericht Bremen und hört, wie Richter Göhner die Urteilsbegründung aus erster Instanz vorträgt. Latzel habe »zum Hass aufgestachelt«, heißt es darin, seine Aussagen seien »ein Angriff auf die Menschenwürde«.

Großes Missverständnis

»Im Zuge der Waffengleichheit« beantragt Latzels Verteidiger daraufhin die Verlesung der Berufungsbegründung. Dem Pastor sei es schließlich eine »Herzensangelegenheit« gewesen, das Verfahren ohne öffentliche Hauptverhandlung gegen Zahlung einer Geldauflage zu beenden. »Die Bereitschaft, einer Einstellung nach Paragraf 153a Strafprozessordnung zuzustimmen, besteht weiterhin«, sagt der Anwalt geflissentlich. Doch die Staatsanwältin beharrt auf das öffentliche Interesse, eine Einstellung komme nicht infrage.

Die Sätze, mit denen der Anwalt die Berufung begründet, klingen nach großem Missverständnis: Mit »Verbrechern« habe der Pastor lediglich die »militanten Aggressoren« gemeint, die seit Jahren die St.-Martini-Gemeinde mit Störaktionen terrorisierten.

»An die Bibel gebunden«

Der Pastor ergänzt mit eigenen Worten, er spricht pointiert und präzise. Das Eheseminar habe im geschlossenen Kreis stattgefunden. »Mit Leuten, die jeden Sonntag in der Kirche sind, die die Ausrichtung unserer Gemeinde kennen und den Unterschied zwischen Sünder und Sünden«, betont Latzel.

Die Bibel nämlich stufe Homosexualität als Sünde ein, unterscheide aber zwischen der Sünde und dem Sünder. Und: »Für mich ist die Bibel das unfehlbare Wort Gottes.« Das sei heutzutage nicht mehr für jeden Theologen selbstverständlich. »Das ist unsere konservative Ausrichtung«, sagt der Pastor. »Mein Glaube ist an die Bibel gebunden, auch wenn Theologen und Gesellschaft heute einiges anders sehen.« Er könne nicht anders über Homosexualität reden, als es die biblische Auslegung zulasse.

Dennoch seien Homosexuelle »Teil unserer Gemeinde«, so Latzel. Und nicht nur da. Auch in seiner Familie, in seinem Freundeskreis gebe es Homosexuelle – »ich grenze sie nicht aus, aber wie ich mit Homosexualität umgehe, ist etwas anderes«. Der Prediger wendet sich dem Richter zu und sagt, er sei entschieden gegen die Ausgrenzung von Menschen. »Das geht komplett gegen mein christliches Verständnis und widerspricht zutiefst dem Evangelium.«

Er wiederholt sich, als wolle er diesen Sätzen Nachdruck verleihen. Mehrfach habe er sich entschuldigt, sagt er, »um nicht volksverhetzend zu wirken«.

»Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung.«

Pastor Latzel

Latzel ist seit fast 15 Jahren Pastor der St.-Martini-Kirche, er ist verheiratet, Vater einer Tochter. Auch seine beiden Geschwister sind evangelische Pfarrer. In evangelikal ausgerichteten Kreisen gilt Olaf Latzel als Popstar, der sich traue, auch radikale politische Ansichten von der Kanzel zu predigen; der im »Netzwerk Bibel und Bekenntnis« mit seinem konservativen Bibelverständnis eine Heimat gefunden zu haben scheint. Gemeinden, die ihn als Gastredner fern von Bremen buchen, verzeichnen volle Zuschauerreihen. Latzel interpretiert dann biblische Motive in seiner ihm eigenen Art.

Zehntausende verfolgen auf YouTube die Predigten des Pastors, der wegen Tierquälerei vorbestraft ist, weil er seinen eigenen Schäferhund erschoss. In der Flüchtlingskrise 2015 hetzte der Gottesmann, es sei Sünde, mit Moslems »Zuckerfeste und anderen Unsinn« zu feiern.

Klare Ordnungen

Vor den Seminarteilnehmern sagte Latzel im Oktober 2019, so ist es im Gerichtssaal zu hören: Gott habe klare Ordnungen geschaffen wie die Ehe, in der Mann und Frau zusammenlebten. »Andere erzählen jetzt vom dritten Geschlecht«, doziert Latzel in dem Mitschnitt. »Das sind Erfindungen von Menschen, die haben mit der Schöpfung nichts zu tun. Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch. Das zerstört unsere gesamte Zivilisation.«

Latzels »biblische Sichtweise auf die Ehe« fiel an jenem 19. Oktober 2019 auf fruchtbaren Boden. Einer der Teilnehmer erscheint als Zeuge im Gericht und erklärt, wenn ein Mann einen Mann liebe, sei das »nicht in Ordnung«. »Das ist jedem Christen bekannt«, sagt der 41-Jährige. Aber diese Menschen seien keineswegs »weniger wert«. Pause. »Das sind Menschen wie wir.«

Am Freitag wird der Prozess fortgesetzt.

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