Bundesgerichtshof über verdeckte Ermittler Bei zu viel Druck gibt's keine Strafe

Marihuana-Joint (Symbolbild): Schwunghafter Kleinhandel, um sich den eigenen Drogenkonsum zu finanzieren
Foto: Daniel Karmann/ picture-alliance/ dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Marihuana konsumierte der in einem Flüchtlingsheim bei Freiburg lebende Mann aus Pakistan regelmäßig, immer wieder auch Kokain. Um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, kaufte er kleinere Mengen für den Eigengebrauch und verkaufte einen Teil davon weiter, an verschiedene Abnehmer. Trotz der Kleinmengen betrieb der heute 36-Jährige doch einen schwunghaften Handel. Zuerst allein, später mit seinem eigentlich in Italien lebenden jüngeren Bruder, der ihn besucht hatte, wegen der Corona-Reisebeschränkungen aber zunächst nicht mehr zurück nach Italien konnte.
Im Frühjahr 2020 kaufte ein angeblich aus Afghanistan stammender Mann bei den Brüdern mehrfach Drogen, erst für um die 100 Euro, dann auch für mehrere hundert Euro. Er bohrte immer wieder nach, ob es auch möglich sei, eine »größere Menge« zu erwerben; drei Kilogramm Marihuana und bis zu 100 Gramm Kokain wollte er haben, im Wert von um die 20.000 Euro. Die Brüder sagten nach einigem Zögern zu, konnten aber zunächst eine so große Menge gar nicht beziehen, jedenfalls nicht über ihre bisherigen Lieferanten. Doch der Mann aus Afghanistan ließ nicht locker. Schließlich taten die Brüder einen Berufskraftfahrer auf, der sich bereit erklärte, die Ware zu beschaffen.
Auf einem Parkplatz kam es zur Übergabe von annähernd drei Kilogramm Marihuana, in Anwesenheit der beiden Lieferanten des Stoffes, die der Lkw-Fahrer aufgetan hatte. Doch als die Brüder den Kaufpreis entgegennehmen wollten, griff die Polizei zu – denn der vermeintliche Großkunde war ein verdeckter Ermittler.
Wie wirkt sich eine Tatprovokation auf die Strafbarkeit aus?
Das Landgericht Freiburg verurteilte die Brüder dennoch aufgrund dieser Tat und anderer – aber deutlich kleinerer – Drogengeschäfte wegen »bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge« zu Freiheitsstrafen: Den älteren zu drei Jahren und zwei Monaten, den jüngeren zu zwei Jahren. Den Lkw-Fahrer verurteilte das Landgericht zu zwei Jahren, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurden. Dass der verdeckte Ermittler als sogenannter Agent Provocateur die Brüder erst zu dem – weit härter sanktionierten – Handel mit den größeren Mengen angestiftet hatte, berücksichtigte das Landgericht in allen drei Fällen strafmildernd.
Der jüngere Bruder, der inzwischen abgeschoben wurde, ließ das Urteil rechtskräftig werden, doch der ältere und der Lkw-Fahrer legten beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision ein: Das Verhalten des Ermittlers sei eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation gewesen; die Strafmilderung sei nicht ausreichend, vielmehr sei das Verfahren in dem Punkt einzustellen gewesen.
Nun hatte der BGH über den Fall zu entscheiden – und hob die Verurteilung der Brüder auf (1 StR 197/12) . Hier sei »aus einem kleinen Dealer unter Mitwirkung eines V-Mannes ein größerer Dealer geworden«, erklärte der Senatsvorsitzende Rolf Raum. In einem solchen »Aufstiftungsfall« – wenn also der Täter zwar bereits von sich aus Straftaten begeht, aber durch Anstiftung diese in eine andere Größenordnung getrieben werden – komme es darauf an, so Raum, »in welchem Umfang Druck ausgeübt wird« vom Tatprovokateur auf den Täter. Alles, was seitens des verdeckten Ermittlers »geeignet sei, manipulativ einzuwirken«, sei in den Blick zu nehmen, erklärte Raum in der Urteilsverkündung: also bereits »starkes Nerven« oder wie im vorliegenden Fall die Verweise auf die landsmannschaftliche Verbundenheit. Dass das Geschäft vorliegend jedenfalls »sehr mühevoll« gelaufen sei, zeige sich auch schon daran, dass die Kleindealer »heftige Probleme hatten, die erwartete Menge überhaupt zu beschaffen«.
Weil das Landgericht Freiburg hierzu aus Sicht des BGH zu wenige Feststellungen getroffen hatte, verwies der Senat die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Die Revision des Lkw-Fahrers verwarf der BGH indes. Ihm gegenüber hätte sich durch das Tätigwerden des verdeckten Ermittlers keine Besonderheit ergeben. Er sei ja nicht von dem Agent Provocateur direkt angestiftet worden. Und auch dafür, dass sich der Druck, der möglicherweise auf die Brüder ausgeübt worden sei, mittelbar auch auf ihn ausgewirkt habe, gebe es keinen Anhaltspunkt.
Der Täter muss »tatgeneigt« gewesen sein
Der 1. Strafsenat des BGH schwenkte damit nun auf eine Linie ein, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach vorgegeben hatte , der aber zunächst nur der 2. Strafsenat des BGH unter seinem damaligen Vorsitzenden Thomas Fischer gefolgt war: Verdeckte Ermittlungen sind zulässig, wenn sie sich auf die rein passive Untersuchung einer bereits im Gang befindlichen kriminellen Aktivität beschränken; Polizisten dürfen dabei auch als Scheinkäufer auftreten, sie dürfen aber nicht die Schwelle der Provokation überschreiten, der Täter muss schon zuvor »tatgeneigt« gewesen sein. Dabei kommt es vor allem darauf an, ob der Täter schon zuvor in entsprechende Delikte verwickelt war – auch in der Größenordnung, und inwieweit der verdeckte Ermittler physischen und psychischen Druck aufgebaut hat.
Dabei geht es auch um die Frage, was gegebenenfalls aus einem Verstoß gegen diese Vorgaben folgt: Ist dann – nur – ein Strafnachlass zu gewähren? Oder liegt ein sogenanntes Verfahrenshindernis vor, mit der Folge, dass das Strafverfahren – jedenfalls soweit es sich um eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation handelt – einzustellen ist?
Deutsche Gerichte, auch das Bundesverfassungsgericht, hatten lange Zeit die erste Variante, die Strafzumessungslösung, favorisiert. Der EGMR verlangte aber mehr . Der Erste Senat des BGH folgte dem jetzt: Würde sich ergeben, dass hier eine nach den Vorgaben des EGMR rechtsstaatswidrige Provokation vorlag, »dann würde dies ein Verfahrenshindernis darstellen«.
Der Verteidiger des älteren Pakistaners, der Freiburger Rechtsanwalt Jan-Georg Wennekers, zeigte sich nach der Urteilsverkündung »sehr froh, dass nun klar ist, dass es hier um ein Verfahrenshindernis geht, und nicht nur um Strafzumessung«.
An dem Fall, so Wennekers, zeige sich auch das Dilemma der polizeilichen Ermittlungstaktik: Die verdeckten Ermittler kämen oft nur an die Kleindealer heran – bei den Mengen, die diese handelten, und der damit zu erwartenden eher geringen Strafe sei deren Einsatz aber kaum zu rechtfertigen, wenn es nicht gelänge, auch die Hintermänner zu ermitteln. Das immerhin gelang hier – die Lieferanten des Lkw-Fahrers wurden gesondert strafrechtlich verfolgt.
Auch der Gesetzgeber dürfte diese Thematik in Kürze in den Blick nehmen: Die Ampel hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf »das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation« geeinigt.