Bushido als Zeuge im Abou-Chaker-Prozess
»Der hat mich in der Mitte durchgebrochen, wie einen Zahnstocher«
Bushido schildert vor dem Landgericht Berlin seinen Streit mit dem Angeklagten. Er selbst sei seitdem traumatisiert. Seine Ehefrau jedoch habe keine Angst vor dem Clanchef und entschieden, zu handeln.
Bushido im Zeugenstand (Archivbild aus dem August)
Foto: PAUL ZINKEN / AFP
»Wie geht es Ihnen?« Der Vorsitzende Richter blickt zum Rapper. Bushido wirkt etwas überrascht. »Sie wirkten beim letzten Mal etwas angespannt«, sagt Richter Martin Mrosk. »Ja, nein«, sagt Bushido, »mir geht’s gut.«
Seit Wochen vernimmt die 38. Große Strafkammer am Landgericht Berlin Anis Ferchichi alias Bushido als Zeugen. Es geht um Bushidos Geschäftsbeziehung zu Arafat Abou-Chaker. Der Berliner Clanchef ist der Hauptangeklagte und der Rapper der wichtigste Belastungszeuge in dem Prozess. Abou-Chaker ist unter anderem wegen versuchter räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt.Nach fast dreiwöchiger Verhandlungspause ging der Prozess in dieser Woche weiter.
Zwangsehe mit dem Teufel
Bushido hat vor Gericht bereits ausführlich über sein ambivalentes Verhältnis zu Abou-Chaker gesprochen. Ihre Partnerschaft währte bald 15 Jahre lang. Einvernehmlich war sie nicht, wenn stimmt, was Bushido sagt. Er stellt ihre Beziehung als eine Art Zwangsehe dar – und Abou-Chaker als Teufel.
Am Montag lässt das Gericht auf Antrag der Verteidigung von Arafat Abou-Chaker ein paar Sekunden aus einem Interview mit einem Radiosender vorspielen. Der Beitrag stammt aus dem September 2015. Bushidos Stimme ist zu hören. Er spricht über Abou-Chaker. Er nennt den Clan »die Gang« und »meine Familie«. Und er sagt, dass ihr Verhältnis »nicht auf Angst oder Unterdrückung«, sondern auf »Liebe und Vertrauen« basiere.
Verteidiger Martin Rubbert fragt, ob stimmt, was er da sagt. »Nein«, sagt Bushido. »Das war falsch?«, fragt Rubbert. »Ja.« »Da haben Sie gelogen?«, fragt er noch einmal. »Ja«, sagt Bushido.
Es ist die Frage, um die sich in diesem Prozess alles dreht. Lügt Bushido? Sagt er die Wahrheit? Wie glaubhaft sind seine Angaben vor Gericht?
»Was ist das für'n Quatsch?«
Zum Beispiel seine Aussage zum 18. Januar 2018. Es ist der Tag, an dem sich Arafat Abou-Chaker laut Anklage der Freiheitsberaubung und gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hat.
Am Montag und an diesem Mittwoch erzählt Bushido, was sich damals zugetragen haben soll. Abou-Chaker habe ihn ins Büro bestellt. Bushido habe sich gefreut, weil er gedacht habe, dass Abou-Chaker ihm endlich sagen würde, wie ihre geschäftliche Trennung vollzogen werden soll. Seit Monaten habe Abou-Chaker ihn immer wieder vertröstet. Bushido aber habe sich endlich lossagen, sich vom Clanchef nicht mehr ausbeuten lassen wollen. So stellt er es dar. »Ich dachte, wir kommen jetzt einen Schritt weiter.«
Im Büro habe Arafat Abou-Chaker ihn nicht allein, sondern zusammen mit drei Brüdern erwartet. Ein Bruder verließ das Büro, zurück blieben Bushido, Arafat, Nasser und Yasser Abou-Chaker. Alle drei Brüder sitzen auf der Anklagebank.
Arafat Abou-Chaker habe wortlos die Tür abgeschlossen und den Schlüssel in die Hosentasche gesteckt. Dann habe Yasser Abou-Chaker ihm eine »komplette Ansage« gemacht: »Du wirst hier erst lebendig wieder rauskommen, wenn du uns die Wahrheit gesagt hast.« Bushido sagt, er habe gar nicht verstanden, worum es ging. »Was ist das für'n Quatsch?«, habe er gefragt. »Dann ist Arafat komplett die Hutschnur geplatzt.« Er habe rumgebrüllt, ihn als »Lügner«, »Betrüger«, »Hund«, »Hurensohn« und »Bastard« beschimpft.
Zugang zur Bushido-Villa
Foto: Paul Zinken/ dpa
Abou-Chaker habe getobt. Er habe Bushido vorgeworfen, zu viel Zeit mit einem gemeinsamen Bekannten zu verbringen. Er wisse, dass der Freund ihn häufig zu Hause besuche. »Ich sollte nicht denken, dass irgendwelche Leute mich vor ihm beschützen können. Es gibt niemanden, der mich beschützen kann.« Dann habe Abou-Chaker ihm verboten, in sein Haus in Kleinmachnow zu ziehen. Bushido und Abou-Chaker haben dort ein gemeinsames Grundstück. Sie wollten dort Villa an Villa wohnen.
»Mir sind die Tränen gelaufen.«
Abou-Chaker habe verlangt, dass Bushido ihm seinen Teil verkauft. Die Summe würde er von den Millionen Euro abziehen, die Bushido ihm angeblich noch schulde. »Das ist nicht Dein Ernst?«, habe Bushido gefragt. Abou-Chaker sei explodiert, habe weiter rumgeschrien. Dann sei er mit einem Mal ganz ruhig geworden und habe gedroht: »Ich werde deinen Vater ficken. Dann ficke ich deine Mutter. Dann ficke ich deine Frau. Dann ficke ich deine Kinder. Und wenn ich damit fertig bin, dann ficke ich dich.«
Immer wieder betont Bushido, wie sehr ihn das getroffen habe. »Es hat mich so sehr gekränkt und beleidigt und verletzt, dass mir die Tränen gekommen sind. Das war mit das Schlimmste, was er sagen konnte.« Seine Mutter und sein Vater waren damals schon tot. Für Bushido seien Abou-Chakers Worte die ultimative Beleidigung gewesen. »Mir sind die Tränen gelaufen.«
Arafat Abou-Chaker habe ihm gesagt: »Ich soll nicht denken, dass ich einfach so aus der Sache rauskomme.« Entweder er akzeptiere den Preis, den Abou-Chaker ihm irgendwann nennen werde, »oder ich würde bis an mein Lebensende Geld an ihn bezahlen, ob ich möchte oder nicht.«
Abou-Chaker sei immer wütender geworden. Er habe eine Plastikwasserflasche genommen, die auf dem Tisch stand, ausgeholt – »und dann hat er mir mit der halb vollen Wasserflasche ins Gesicht gehauen«.
»Tat es weh?«, fragt der Richter.
»Es war unangenehm. Es war sehr unangenehm.« Bushido zögert. Es falle ihm schwer, darüber zu sprechen. »Seit drei Jahren machen sich Leute über mich lustig, dass ich nur mit einer Wasserflasche geschlagen wurde.«
Abou-Chaker habe den Freund, mit dem Bushido aus seiner Sicht zu viel Zeit verbracht hat, per Telefon ins Büro zitiert. Gemeinsam hätten sie auf dessen Ankunft gewartet.
»Wollten Sie nicht einfach abhauen?«, fragt der Richter.
»Nein, keine Chance«, sagt Bushido.
»Das ist mein Hund«
Dem gemeinsamen Bekannten, Veysel K., habe Abou-Chaker eine klare Ansage gemacht. »Ich will dir nur eines sagen: Das ist mein Hund, nur ich gehe mit ihm Gassi.« Der Hund war Bushido. Der Freund aber habe sich nicht beeindrucken lassen. Sie hätten sich angeschrien. Schließlich habe Veysel K. Bushido aufgefordert, mit ihm zusammen das Büro zu verlassen. Doch Bushido blieb sitzen. »Ich war einfach paralysiert«, sagt er. »Ich saß da einfach.«
Der Freund verschwand, Abou-Chaker habe Bushido weiter angebrüllt. »Auf einmal, ganz spontan, hat Arafat einen Stuhl gegriffen und zu mir geworfen.« Der Stuhl habe ihn an seiner linken Seite getroffen.
»Hatten Sie Schmerzen?«, fragt der Richter.
»Keine Ahnung«, sagt Bushido, »weiß ich nicht.«
»Hat sich ein blauer Fleck entwickelt?«
»Weiß ich nicht.«
Bushido wirkt ermattet. Er erzählt weiter, doch nicht ganz so übersprudelnd wie sonst.
»Arafat war fuchsteufelswild«, sagt er. Zum Abschied habe Abou-Chaker gesagt: »Du wartest wie ein Hund, bis ich dir sage, welchen Preis du bezahlen wirst. Sonst wirst du bis an dein Lebensende zahlen.« Nach etwa vier Stunden konnte er nach Hause fahren.
»Wie mit einem Wischmopp hat er mit mir den Boden aufgewischt«, sagt Bushido. Seit jenem Tag sei er in psychologischer Behandlung. »Seit drei Jahren laufe ich ständig zum Psychologen.«
Zwei Tage später, an diesem Mittwoch, sagt er vor Gericht: »Das Ereignis vom 18. Januar hat mich sehr, sehr traumatisiert.« Wieder sucht er nach Worten. Abou-Chaker habe ihn zutiefst gedemütigt. »Der hat mich in der Mitte durchgebrochen, wie einen Zahnstocher«, sagt er. »Ich fühlte mich wie Dreck.«
Bushido und seine Frau bei Ihrer Hochzeitsfeier 2012: »Sie hat halt eine Ansage gemacht«
Foto: Jens Kalaene/ picture alliance / dpa
Seine Frau hingegen habe noch an jenem Abend beschlossen, zu handeln. Noch in der Nacht drohte sie Arafat Abou-Chaker, ihn und seine Brüder ins Gefängnis zu bringen. Ihren Mann schickte sie in den Urlaub. Bushido flog erst nach Kenia, dann nach Bangkok. »Meine Frau hat gesagt: ›Du musst hier weg.‹«
»Ich war sehr, sehr aufgeregt«
Nach seiner Rückkehr hatte sie für Anfang Februar ein Treffen mit Abou-Chaker organisiert, in einem italienischen Restaurant. Auch die Polizei hatte sie informiert. Beamte des Landeskriminalamts verfolgten das Treffen von einer Tankstelle gegenüber. So erzählt es Bushido.
»Ich war sehr, sehr aufgeregt«, sagt Bushido. Seine Frau war eher sauer. »Sie hat keine Angst vor Arafat«, sagt er. Sie habe Abou-Chaker zur Rede gestellt, ihn gefragt, was ihm einfalle, ihren Mann so zu behandeln. »Sie hat halt eine Ansage gemacht.«
Bushido selbst will stumm dagesessen haben. »Ich habe gar nichts gesagt.« Sein Gedanke sei gewesen, dass er Arafat Abou-Chaker dazu bringen müsse, in das Ende der Zusammenarbeit einzuwilligen. »Wenn nicht, dann werde ich da nicht mehr rauskommen, dann wird meine Familie da nicht mehr rauskommen.«
Als seine Frau das Restaurant zum Rauchen verließ, habe Abou-Chaker ihn gefragt, warum seine Frau behaupte, dass er ihn geschlagen habe. »Ich habe dich nicht geschlagen«, habe Abou-Chaker gesagt. »Nein, du hast mich nicht geschlagen«, habe Bushido erwidert.
Bushido erwähnt das, weil es eine Aufnahme dieses Gesprächs gibt. Abou-Chaker hatte offenbar die Angewohnheit, Unterhaltungen mit seinem Handy mitzuschneiden. Die Aufnahmen landeten bei der Polizei. Bushido weiß, dass die Aufnahme nun so klingt, als habe es die Attacken mit der Flasche und dem Stuhl nie gegeben.
Anders als seine Frau habe er nicht gewagt, sich gegen Abou-Chaker zur Wehr zu setzen. Abou-Chaker habe das gewusst. »Er wusste um seine Wirkung.« Und das habe er ausgenutzt. Er hätte ihm damals in allem recht gegeben, sagt Bushido. »Ich hätte auch gesagt, die Welt ist eine Scheibe oder Corona ist eine Lüge. Ich hätte alles gesagt.«
Abou-Chakers Verteidiger fragt, ob er damit einverstanden ist, die Aufnahme vor Gericht vorzuspielen. Bushido bittet um Bedenkzeit. Er will zu Hause darüber nachdenken.
Am 6. Januar 2021 soll der Prozess fortgesetzt werden.