Bushido als Zeuge im Abou-Chaker-Prozess »Der Stuhl sollte mich treffen«

Rapper Bushido im Landgericht Berlin (im August 2020): Dem Clan ausgeliefert
Foto: Paul Zinken / dpa»Leave me alone« – »lass mich in Ruhe« – steht in Großbuchstaben auf der schwarzen Jacke, die Anis Ferchichi alias Bushido an diesem Tag im Saal 500 des Landgerichts Berlin trägt. Die Aufschrift passt ganz gut zu der Botschaft des Rappers an die vier Angeklagten.
Bushido ist der wichtigste Belastungszeuge gegen Arafat Abou-Chaker und dessen Brüder Yasser, Nasser und Rommel. Der Rapper Bushido und der Clanchef Arafat Abou-Chaker waren rund 14 Jahre lang Geschäftspartner. Sie machten Millionen. Doch wenn es stimmt, was Bushido vor dem Berliner Landgericht sagt, dann war es eine erzwungene Zusammenarbeit, eine Art Zwangsheirat. Im Herbst 2017 habe der Rapper aufbegehrt. Er habe Abou-Chaker gesagt, dass er die Beziehung beenden wolle, und ihn gebeten, gemeinsam nach einem Weg zu suchen, die Trennung zu vollziehen. Er habe sich von Arafat Abou-Chaker lossagen wollen. »Leave me alone« gewissermaßen. Doch Abou-Chaker habe ihn nicht gehen lassen wollen.
»Es geht hier um sehr viel Geld«, erklärt Bushido dem Gericht am Mittwoch, »und um Ansehen.« Abou-Chaker habe ihn monatelang hingehalten. Am 18. Januar 2018 habe der Clanchef ihn schließlich ins gemeinsame Büro bestellt. Und was sich dort laut Bushido über viereinhalb Stunden ereignet haben soll, macht den Hauptvorwurf der Anklage gegen Abou-Chaker aus.
Er käme nur lebend raus, wenn er die Wahrheit sage
Arafat Abou-Chaker soll ausgerastet sein. Er soll das Büro von innen abgeschlossen haben und dann Bushido bedroht, beleidigt und angegriffen haben, so sagt es Bushido. Er soll ihn mit einer Plastikflasche geschlagen und einen Stuhl nach ihm geworfen haben. Das alles hatte Bushido bereits am letzten Verhandlungstag des Prozesses im vergangenen Jahr gesagt.
An diesem ersten Verhandlungstag im neuen Jahr will die Beisitzende Richterin alles noch einmal ganz genau hören. Sie fragt nach Details. War es ungewöhnlich, dass Abou-Chaker die Tür verschloss? Wie empfand Bushido das Eingesperrtsein? Wie hat er reagiert?
»Mir war nicht von Anfang an klar, dass das jetzt gefährlich werden könnte«, antwortet Bushido. Er habe zunächst gedacht, dass Abou-Chaker einfach habe verhindern wollen, dass irgendjemand in das Gespräch platze. Bis zu jenem Moment, als Arafats Bruder Yasser, der mit im Büro war, zu ihm gesagt habe, er, Bushido, käme erst lebend wieder aus dem Raum, wenn er ihnen die Wahrheit sage.
Welche Wahrheit denn, fragt die Richterin. Gute Frage, sagt Bushido, auch er habe erst nicht verstanden, was sie von ihm wollten. Dann sei ihm klar geworden, dass Arafat Abou-Chaker glaubte oder noch immer glaube, dass ein anderer Berliner Clan hinter Bushidos plötzlicher Rebellion steckte.
»Oder ich zahle weiter, bis an mein Lebensende«
Abou-Chaker habe sich über Bushidos engen Kontakt zu Ashraf Rammo aufgeregt. Es klingt, als habe Abou-Chaker gedacht, dass Bushido vom Abou-Chaker- zum Rammo-Clan wechseln wolle. »Das ist Quatsch, das ist Unsinn«, habe er, Bushido, versucht, Abou-Chaker zu beruhigen. Er sei mit Ashraf Rammo befreundet. Aber: »Meine Beziehung mit irgendeiner anderen Person hatte nie Einfluss darauf, dass ich die geschäftliche und dann auch die private Trennung von Arafat wollte.«
Abou-Chaker habe Bushido einen Verräter und einen Lügner genannt und ihm gesagt: »Ich bin sein Eigentum, ich gehöre ihm.« Eine Trennung sei allein zu Abou-Chakers Bedingungen möglich. Er werde sich einen Preis für Bushidos Freiheit überlegen. »Entweder ich akzeptiere den oder ich zahle weiter, bis an mein Lebensende«, vor diese Wahl hätten die Abou-Chakers ihn gestellt.
Arafat Abou-Chaker folgt auf der Anklagebank zunehmend unruhig Bushidos Ausführungen. Abou-Chaker wirkt, als könne er gar nicht glauben, was er da hört. Immer wieder lacht er spöttisch auf, schüttelt den Kopf, tauscht Blicke mit seinen Brüdern aus. Was Abou-Chaker, der schweigende Angeklagte, signalisieren möchte, wird auch ohne Worte klar: Bushido erzählt Märchen.
Die Richterin fragt weiter. Nun nach dem Stuhl, der irgendwann geflogen sein soll. War es eine gezielte Attacke von Arafat Abou-Chacker auf Bushido oder ein eher ungerichteter Wutausbruch? »Das war eine Wutreaktion, die gegen mich gerichtet war«, sagt Bushido. »Der Stuhl sollte mich treffen.« Doch er habe sich wegducken können, sodass der Stuhl ihn nur gestreift habe.
Die Richterin fragt auch nach dem Satz, den Abou-Chaker gesagt haben soll und den Bushido als ultimative Drohung verstanden haben will. »Ich werde Deinen Vater ficken. Dann ficke ich Deine Mutter. Dann ficke ich Deine Frau. Dann ficke ich Deine Kinder. Und wenn ich damit fertig bin, dann ficke ich Dich.« Es sei vielleicht eine etwas seltsame Frage, sagt die Richterin, aber was genau sei mit diesem Verb gemeint? Heiterkeit im Saal.
Er sei bereit gewesen 1,8 Millionen für seine Freiheit zu zahlen
»Der körperliche Akt ist damit nicht gemeint«, erklärt Bushido. »Arafat wollte damit sagen, dass er keinen Respekt vor irgendeiner Grenze hat. Er hat mir klipp und klar gemacht, dass es keine Grenze gibt für seine Reaktion.« Erst als auch die Oberstaatsanwältin noch einmal nachhakt, spricht Bushido Klartext. »Ich habe ernsthaft befürchtet, dass sich meine Familie in Gefahr befindet, wenn ich seine Anordnung nicht befolge.« Und genau deswegen lebten er und seine Familie seit rund zwei Jahren unter Personenschutz. Und deswegen sei er bereit gewesen, Abou-Chaker 1,8 Millionen Euro für seine Freiheit zu zahlen. Aus Sorge um seine Familie.
Es ist ein kurzer Prozesstag. Gegen 13 Uhr unterbricht der Vorsitzende Richter die Verhandlung. Auch künftig will das Gericht Corona-bedingt nicht mehr bis in den Nachmittag hinein verhandeln. Ein Verteidiger von Arafat Abou-Chaker hatte zuvor die Sorge geäußert, der Prozess könne zum »Superspreader-Event« werden. Er hatte das Gericht nach Schutzmaßnahmen gefragt. »Wir fahren auf Sicht«, antwortet der Richter. Sollte sich die Pandemielage weiter verschärfen, könnte die Verhandlung für drei Wochen unterbrochen werden. Erst mal soll es am Montag mit Bushidos Aussage weitergehen.