Carsten S. im NSU-Prozess "Dann erfuhr ich das! Das war schon bitter"

Münchner Fragenflut: Im NSU-Prozess wird Carsten S. von den Nebenklage-Anwälten ins Verhör genommen. Sie entlocken dem Mitangeklagten Aussagen über seine rechtsextreme Vergangenheit. Dann äußert er seine Verwunderung über den Verfassungsschutz.
Angeklagter Carsten S.: Münchner Fragenflut

Angeklagter Carsten S.: Münchner Fragenflut

Foto: Andreas Gebert/ dpa

"Die Nebenklage Kubasik, bitte". Der Vorsitzende Manfred Götzl eröffnet an diesem Dienstag, dem 11. Verhandlungstag im NSU-Prozess, die nächste Fragerunde. Noch immer sagt der Mitangeklagte Carsten S. aus.

Ihm wird vorgeworfen, dem NSU die Ceska besorgt zu haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mutmaßlich neun Menschen erschossen. Heute will Carsten S. mit der rechtsextremen Szene nichts mehr zu tun haben.

Die Nebenklage hält sich an die vom Vorsitzenden bestimmte Reihenfolge. Insgesamt neun Anwälte vertreten die Familie Kubasik. Mehmet Kubasik war im April 2006 erschossen worden, das mutmaßlich achte Opfer der Mordserie des NSU. Als erste meldet sich die Rechtsanwältin Antonia von der Behrens, deren Thema der "Thüringer Heimatschutz" (THS) ist und die Nähe der rechten Szene zum Verfassungsschutz. Im rechtsextremen Bündnis THS waren Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe in den neunziger Jahren aktiv.

Die Älteren durften vorne sitzen

Von der Behrens nimmt S. offenbar vieles nicht ab. Sie leitet zum Beispiel eine Frage mit den Worten ein: "Am Ende dessen, was Sie Ausstieg aus der rechten Szene nennen..." Mehrfach interveniert der Vorsitzende: "Stellen Sie bitte nicht immer wieder Suggestivfragen! Fragen Sie offen! Sonst bringt das doch nichts!" Frau von der Behrens wechselt das Thema, kommt auf einen der Mitangeklagten zu sprechen: "Vertrat Ralf Wohlleben Ihnen gegenüber rassistische Positionen?"

S. antwortet, wie so oft an den vergangenen Sitzungstagen, dass er eine konkrete Erinnerung nicht habe. "Wir sangen Lieder", sagt er, "und Ralf sang mit." Den Klang hat er anscheinend noch im Ohr. Er gibt zu, dass die Band "Eichenlaub" das Untertauchen des Trios besungen habe. Die beiden Uwes, Böhnhardt und Mundlos, und Beate Zschäpe hatten offenbar Kultstatus in der Szene.

"Wurden sie bewundert? Wer bewunderte sie? Gab es einen Unterschied in der Szene zwischen den Älteren und den Jüngeren?" Edith Lunnebach hat so viele Fragen, dass ihr der Mund fast überfließt. Sie will, als Nebenklagevertreterin im Fall des Anschlags Probsteigasse in Köln in der Weihnachtszeit 2000, von potentiellen Unterstützern des NSU in Köln erfahren. Götzl bremst. S. weicht aus: Den Älteren, die schon länger der Szene angehörten, sei Respekt entgegengebracht worden; sie hätten zum Beispiel im Auto vorn sitzen dürfen, die Jüngeren saßen hinten. Bewunderung für die Untergetauchten? S. windet sich an dieser Stelle.

"Würden Sie sich als 'rechte Hand' Wohllebens bezeichnen?" Von der Behrens möchte zu gern von S. einmal eine konkrete Antwort haben. "Es gab eine Zeit, da waren wir viel unterwegs", antwortet der zögernd. "Unterwegs sein", diese Formulierung gebraucht er oft, wobei nicht immer klar ist, ob damit gemeinsame Unternehmungen gemeint sind oder eine ähnliche Gesinnung oder nur Fahrten in einem Auto.

"Gegen Kapitalismus und und und"

Der nächste Kubasik-Anwalt, Sebastian Scharmer, befasst sich mit dem Thema Bundeswehr. S. war einberufen worden, dies wurde jedoch aus "organisatorischen Gründen" wieder rückgängig gemacht. Weil er bei der NPD gewesen sei? Scharmer zitiert aus einem Vermerk des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), dass S. angeboten worden sei, an einem Aussteigerprogramm teilzunehmen. Dass er dies jedoch abgelehnt habe, ja, dass er sich sogar beschwert habe deswegen, da er sich der "nationalen Bewegung" voll und ganz verpflichtet fühle. "Stimmt das?" "Nein!" sagt S., diesmal mit Nachdruck. Ihm sei nie ein Aussteigerprogramm angeboten worden. "Sonst hätte ich mich ja nicht so schwer getan, da wieder rauszukommen."

Fragen nach Motiven, nach Feindbildern, nach ideologischer Überzeugung weicht S. häufig aus. Bis Rechtsanwalt Turan Ünlücay ganz direkt fragt: "Sie wollten Jugendliche 'für die Sache' gewinnen. Welche denn?" "Für ein Nationalbewusstsein", S. stockt, "gegen Kapitalismus und und und, diese Themen waren das." "Haben Sie sich mit diesen Themen identifiziert?" "Ja", sagt S. erstmals ohne zu zögern. "Wollten Sie, dass die türkische Bevölkerung in Deutschland auswandert?" Ünlücays Fragen sind eindeutig. S.s Antwort ist es auch: "Wir waren dafür, ja."

War zu Beginn des Verfahrens in vielen Medien von einer Antragsflut der Verteidigung die Rede und von Prozessverschleppung - was tatsächlich nicht zutraf -, müsste inzwischen von einer nicht enden wollenden Fragenflut die Rede sein. Die Nebenkläger haben das Recht zu fragen oder ihre Anwälte fragen zu lassen. S. sagt nun bereits den sechsten Tag aus. Ein Nebenklageanwalt folgt auf den anderen. Es entstehen neue Eindrücke: Was fragt wer? Wer neigt zu Suggestivfragen und muss sich vom Vorsitzenden maßregeln lassen? Götzl tut es in bester Absicht: Der Senat will mit unbeeinflussten, unverfälschten Antworten arbeiten können, nicht mit von Vorgaben kontaminierten.

"Sie sagten, Sie hätten die Szene-Musik lustig gefunden"

Rechtsanwältin Christa Clemm: "Sie sagten, Sie hätten die Szene-Musik lustig gefunden. Geht es da um die Tötung von Ausländern?" "Ja", antwortet S. "Was fanden Sie daran lustig?" S. zögert. Denkt nach. "Die Zillertaler Türkenjäger - ja, was fand ich lustig? Das Sich-über-Normen-Hinwegsetzen." "Haben Sie mitgesungen?" Natürlich. Das sei üblich gewesen in der Szene.

Schließlich sind Doris Dierbach und Thomas Bliwier an der Reihe. Dierbach bereitet vor: "Haben Sie nicht überlegt, dass, wenn Wohlleben überwacht wird, Sie dann auch?" Er habe sich sicher gefühlt, antwortet S. Bliwier fährt fort: "Haben Sie mal mit jemandem besprochen, dass nun Sie den Kontakt zu den Untergetauchten übernommen haben?" Es stellt sich heraus, das diese Person wohl der ehemalige V-Mann Tino Brandt war.

"Hatten Sie eine Vorstellung, dass Ihre Kontaktaufnahmen zeitgleich beim Verfassungsschutz landeten?" Nein, sagt S. Davon habe er erst im Gefängnis erfahren, als er die Akten gelesen habe. "Haben Sie sich die Frage gestellt", fährt Bliwier fort, "warum damals - 1999 - niemand eingeschritten ist? Wenn man weiß, wie nahe der Verfassungsschutz an der Kontaktaufnahme dran war!"

S. wendet sich Bliwier zu: "Als ich festgenommen wurde, dachte ich, ich sei der einzige gewesen, der von Chemnitz (also der Waffenübergabe) wusste. Und dann erfuhr ich das! Das war schon bitter."

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