Kriminologe Christian Pfeiffer Der Provokateur tritt ab

Christian Pfeiffer: Er machte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) bekannt
Foto: Ole Spata/ dpaSein vielleicht größter Fehler liegt 15 Jahre zurück. Ein kleiner Junge in der sächsischen Kleinstadt Sebnitz sollte von Rechtsextremisten getötet worden sein, das behauptete die Mutter. Christian Pfeiffer hielt die Frau für glaubwürdig - und trat eine Medienwelle los. Rasch kam heraus, dass die Vorwürfe nicht stimmten. Der Tod des Jungen war ein Unfall. Der prominente Professor aus Niedersachsen stand düpiert da.
Typisch Pfeiffer, ätzen Kritiker noch heute. Steile These, lautes Echo, wenig dahinter. Doch wer den 71-Jährigen als unseriös abtut, greift zu kurz. Mit einer penetranten Rastlosigkeit hob er in den vergangenen Jahrzehnten Themen auf die Agenda, die sonst wohl deutlich weniger Gehör gefunden hätten: Gewalt in der Familie, Übergriffe in Gefängnissen, Opferschutz.
Pfeiffer machte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) zu einer bundesweit bekannten Marke. Heute tritt der langjährige Direktor aus Altersgründen ab und übergibt seinen Posten an den Rechtspsychologen Thomas Bliesener.
Pastorale Attitüde
Als junger Mann wollte Pfeiffer Pfarrer werden. Und wenn man die Karriere des gelernten Juristen Revue passieren lässt, dann hat die pastorale Attitüde stets eine entscheidende Rolle gespielt. Eine Attitüde, die das Wort braucht und die Menschen und die Medien. Noch heute klettert der SPD-Mann, der auch mal Justizminister in Niedersachsen war, gelegentlich auf die Kanzel und predigt.
"Ich bin nie auf die Idee gekommen, regelmäßig Fachzeitschriften zu lesen", sagt Pfeiffer. Lieber gehe er Biertrinken mit Polizisten. Der zweifache Vater wittert Themen, die das Volk bewegen, lässt seine Mitarbeiter forschen - und formt die Ergebnisse zu spitzen Botschaften.
Im Jahr 2000 stellte er einen Zusammenhang her zwischen der Horterziehung in der DDR und ausländerfeindlichen Gewalttaten in den neuen Ländern. "Töpfchen-Pfeiffer" nannten ihn manche danach, ihn störte das wenig. Am Telefon schildert er die Anekdote ungefragt.
Pfeiffer bezog Position gegen Hauptschulen als Nährboden krimineller Karrieren, kämpfte für die Gesetze, die seit einigen Jahren Gewalt in Ehe und Familie unter Strafe stellen. Viel Ärger brachte ihm sein Konflikt mit der katholischen Kirche: Das KFN sollte den Missbrauchsskandal aufarbeiten. Man überwarf sich, Pfeiffer sprach von "Zensur", die katholische Kirche wies das zurück. Das Projekt machen jetzt andere.
Man kann das Streitlust nennen und Eitelkeit. Der "Stern" hielt ihm 2010 vor, er sei ein Quartals-Talker - als brauche er das Rotlicht der Kamera wie der Trinker den Schnaps. Aber will nicht jeder, der etwas zu sagen hat, die große Bühne? Der Pastor, der Journalist, der Forscher?
Das Prinzip Pfeiffer fußt auf einem engmaschigen Netzwerk. Der schlanke und asketisch wirkende Forscher ist ständig in Bewegung, schnappt hier was auf, wirbt da um Geld. Vielleicht ist es neben fachlichen Einwänden auch eine Spur Neid, der Kollegen hinter vorgehaltener Hand raunen lässt, der eloquente Selbstdarsteller arbeite methodisch unsauber.
Pfeiffer kontert solche Kritik an seiner Arbeit mit einer Erfolgsbilanz: 25 Professoren habe das kleine KFN in den vergangenen drei Jahrzehnten hervorgebracht. Im vorigen Jahr habe man 1,8 Millionen Euro von Dritten für Forschungsprojekte bekommen - dafür müsse man gute Anträge schreiben. Nur 1,5 Millionen Euro kamen vom Staat.
Der Schreibtisch in Hannover bleibt
So richtig aufhören wird er auch nach dem Wechsel an der KFN-Spitze nicht. Er behält einen Schreibtisch in Hannover, nur vorübergehend bis zum Herbst wird er in den USA forschen. Den Amerikanern will er gewaltfreie Erziehung nahebringen. Noch immer würden 70 Prozent der Menschen dort die Prügelstrafe befürworten.
Es ist die zentrale Botschaft seiner Arbeit, die Pfeiffer nun für den Export vorbereitet: "Mehr Liebe, weniger Hiebe". Eine gewaltfreie und liebevolle Erziehung sei Basis für ein friedliches Zusammenleben. Als guter Netzwerker hat sich Pfeiffer die Finanzierung für sein US-Vorhaben über einen Freund gesichert: Drogerie-Unternehmer Dirk Rossmann stellt die nötigen Mittel zur Verfügung. Dafür schreibt Pfeiffer in der Rossmann-Kundenzeitschrift Gast-Kolumnen.
Nach seiner Rückkehr will Pfeiffer auch in Deutschland präsent bleiben. Er plant ein Buch, hat sich kürzlich für einen Verlag entschieden. Es werde "ein Buch für die Bahnhofsbuchhandlungen, nicht für die Wissenschaft", sagt Pfeiffer. Er kann nicht anders. Er braucht die Bühne.
Zusammengefasst: Der Jurist Christian Pfeiffer tritt als Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ab. Der 71-Jährige gilt seit Jahrzehnten als prominente Stimme der Zunft. Er löste mehrfach Kontroversen aus - etwa mit Äußerungen über einen Zusammenhang zwischen Erziehung in der DDR und rechtsextremen Gewalttaten in den neuen Ländern.