Frühere Sektensiedlung in Chile Opfer der Colonia Dignidad kritisieren deutsches Hilfskonzept

In der Colonia Dignidad wurden Menschen misshandelt, vergewaltigt, getötet. Deutschland will Überlebenden helfen - auch finanziell. Betroffene halten die Zusagen allerdings für völlig unzureichend.
Gebäude in der einstigen Colonia Dignidad

Gebäude in der einstigen Colonia Dignidad

Foto: MARIO RUIZ/EPA-EFE/REX

Deutschland hat ein Hilfskonzept für die Opfer der Colonia Dignidad vorgelegt - doch die Betroffenen halten es für unzureichend. Eine gemeinsame Kommission aus Bundesregierung und Bundestag hat sich auf mehrere Punkte geeinigt.

  • Den Betroffenen soll zum einen über einen Hilfsfonds für individuelle Zahlungen geholfen werden - etwa für gesundheitliche Leistungen wie Psychotherapien, aber auch für Leistungen in Pflege, Bildung und Arbeit. Die Zahlungen haben eine Obergrenze von 10.000 Euro.
  • Zum anderen soll ein Fonds Pflege und Alter für Opfer aufgelegt werden, die nicht vom deutschen Sozialsystem profitieren. Viele Betroffene leben heute noch auf dem Gelände der früheren Siedlung - heute Villa Baviera - oder anderswo in Chile, Dutzende andere sind nach Deutschland zurückgekehrt.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) soll den Hilfsfonds betreuen und die Opfer beraten. Insgesamt haben etwa 240 Personen aus Deutschland und Chile Anspruch auf Hilfszahlungen. Für die finanziellen Hilfen hat der Bundestag bereits eine Million Euro im Haushalt 2019 bewilligt. Das Gesamtvolumen der Zahlungen wird auf etwa 3,5 Millionen Euro geschätzt.

Das ist Opfern der Colonia Dignidad nicht genug. Ein Betroffener, Horst Schaffrick, sagte, die deutschen Entschädigungen seien eine "Hilfe", aber unzureichend für diejenigen, die sexuellen Missbrauch und Folter erleiden mussten. "Es ist eine Hilfe, aber es löst nicht das Problem - wir sind eine verlorene Generation." Die Summe sei gering im Vergleich zu 40 Jahren Arbeit ohne Bezahlung, sagte Schaffrick.

Winfried Hempel, der in der Colonia Dignidad zur Welt kam und bis zu seinem 20. Lebensjahr dort wohnte, nannte das Konzept einen Schritt nach vorn, aber sicherlich noch nicht genug. Man verlange für ehemalige Bewohner in entsprechendem Alter eine angemessene Rente - "nicht mehr und nicht weniger". Hempel setzt sich als Anwalt in Chile für die Opfer sein.

Winfried Hempel

Winfried Hempel

Foto: Pablo COZZAGLIO/AFP

Die Menschenrechtsorganisation Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte teilte mit, Deutschlands Außenministerium ducke sich vor der Verantwortung weg, die Opfer umfänglich zu entschädigen; viele chilenische Opfer blieben außen vor.

In der 1961 gegründeten sektenartigen Siedlung Colonia Dignidad wurden zur Zeit der chilenischen Militärdiktatur von Augusto Pinochet in den Jahren 1973 bis 1990 zahlreiche Menschen vergewaltigt, gefoltert und getötet. Die Siedlung war von dem Deutschen Paul Schäfer gegründet worden, einem aus Deutschland geflohenen ehemaligen Wehrmachtsgefreiten. Schaefer war 2005 in Argentinien festgenommen worden. Er wurde in Chile unter anderem wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und starb 2010 im Gefängnis im Alter von 88 Jahren.

Vorwürfe gegen andere Führungsfiguren der Colonia Dignidad werden wohl nie aufgeklärt: Anfang Mai stellte die Staatsanwaltschaft Krefeld ihre Ermittlungen gegen den einstigen Arzt der Sektensiedung ein. Im Januar hatte bereits die Staatsanwaltschaft Münster Ermittlungen gegen einen Mann eingestellt, dem vorgeworfen wurde, an Verbrechen in der Colonia Dignidad beteiligt gewesen zu sein.

ulz/AFP
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