Polizistenmorde von Dallas Amerika am Siedepunkt

Polizeiwagen in Dallas
Foto: BRANDON WADE/ REUTERS"Der Verdächtige erklärte, dass er Weiße töten wollte, vor allem weiße Polizisten." - David Brown, Polizeichef von Dallas
Es war wohl nur eine Frage der Zeit. Schon im Sommer 2014, als in Ferguson im US-Bundesstaat Missouri ein weißer Cop den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss, prophezeiten manche: Eines Tages wird jemand zurückschießen.
Allein die Vorstellung ließ Beobachtern kalte Schauer über den Rücken laufen. Ein offener Krieg zwischen Schwarzen und Weißen, Zivilisten und Polizisten? Amerikas Rassenkonflikt, zum sinnlosen Gemetzel eskaliert?
Dieser Tag scheint nun gekommen. Fünf Beamte starben in der Nacht zum Freitag in Dallas, niedergestreckt von einem Heckenschützen. Es war das schlimmste Polizeimassaker seit 9/11.
Ausgerechnet Dallas
Noch ist vieles unklar, auch die Zahl der Täter. Ein mutmaßlicher Schütze wurde nach langem Feuergefecht getötet. US-Medien identifizierten ihn als Micah Johnson, einen schwarzen Armeeveteran, der unter anderem in Afghanistan eingesetzt war. Der Todesschütze habe ausdrücklich weiße Polizisten umbringen wollen, sagte der ebenfalls schwarze Polizeichef David Brown.
Die USA haben den Siedepunkt erreicht. "BÜRGERKRIEG", titelte die "New York Post" unter einem Foto, das die Leichen zweier Dallas-Cops zeigt.
Rassismus, Polizeigewalt, Waffenwahn, Selbstjustiz: Der Horror von Dallas kommt am Ende einer besonders brutalen Woche.
Dienstag: Zwei Polizisten erschießen den Schwarzen Alton Sterling in Louisiana. Mittwoch: Ein Cop erschießt den Schwarzen Philando Castile in Minnesota. Donnerstag: Abertausende marschieren durch New York, Washington und andere US-Städte, um gegen diese Fälle zu protestieren.
Und nun dieser Gewaltakt, den keiner gutheißt, der keinem hilft, der alles nur noch schlimmer macht. Auge um Auge, bis alle blind sind? Wer will das?
Ausgerechnet Dallas: Die Millionenmetropole rühmt sich ihrer ethnisch diversen Polizeitruppe, ihrer guten Beziehungen zwischen Cops und Bürgern. Sie wollten es vormachen: "Von allen großen US-Städten hatten wir dieses Jahr die wenigsten Polizei-Schießereien", sagt Bürgermeister Mike Rawlings.
Polizeichef Brown sieht das etwas anders: "An den meisten Tagen spüren wir nicht viel Unterstützung", sagt er. "Bitte, wir brauchen eure Unterstützung!"
"Ihr werdet unsere Hilflosigkeit nie verstehen"
Die Krux ist: Alle fühlen sich inzwischen verlassen, verkannt, unverstanden.
Die Polizisten fühlen sich pauschal als rassistische Mörder dämonisiert. Die Schwarzen fühlen sich pauschal als Kriminelle verunglimpft. Diese Vorurteile prägen längst jedes Zusammentreffen, ob unbewusst oder offen.
Beide Seiten rüsten auf. Die Polizeitruppen werden zu paramilitärischen Organisationen. Die Schwarzen bewaffnen sich ihrerseits, auch um sich gegen weiße Hassgruppen zu verteidigen, wie sie gerade in Texas aufblühen.
Doch das laxe US-Waffenrecht gilt nur für Weiße. In Texas darf man zwar offen Waffen tragen. Aber als der Schwarze Mark Hughes mit einem - ungeladenen - Gewehr an der Demo in Dallas teilnimmt, wird er sofort als mutmaßlicher Täter festgenommen. Die Polizei jagt sein Foto durch alle Social-Media-Kanäle - bevor sie ihn ohne Entschuldigung wieder freilässt. Nun bekommt er Morddrohungen. Einem Weißen wäre das nicht passiert.
"Ihr werdet unsere Hilflosigkeit nie verstehen", schreibt der schwarze Soziologe Michael Eric Dyson in einem offenen Brief an seine weißen Mitbürger. "Die Polizei ist Teil eines unerklärten Krieges gegen Schwarze."
Dyson schreibt das am Tag vor den Dallas-Morden, mit denen jemand diesen Krieg nun offenbar zu erklären hoffte. Kaum ist der Name des getöteten mutmaßlichen Täters bekannt, beginnen die Reporter, sein Facebook-Profil nach Motiven zu durchforsten. Dort finden sie ein Poster: "Black Power."
Es ist eine Perversion der berechtigten Wut, die Amerikas Schwarze täglich aufwühlt. Und deshalb könnte diese Tat nun auch genau das Gegenteil eines Rassenkrieges bewirken: Sie könnte erreichen, was Tränen, Appelle und Demos nicht schafften - sie könnte beide Seiten enger zusammenbringen.
"Dies ist kein Krieg", schreibt die Kolumnistin Jacquielynn Floyd in der Tageszeitung "Dallas Morning News". "Sie haben uns alle angegriffen." Und Polizeichef Brown sagte bei einer Gedenkfeier: "Dallas ist eine Stadt, die liebt."