Demjanjuk-Prozess "Ukrainische Wachmänner waren schlimmer als die SS"

John Demjanjuk wird in den Gerichtssaal gebracht: "Das sind schlimmere Leute"
Foto: ddpMünchen - Die Brutalität ukrainischer Wachleute nahm durch die Schilderungen des Überlebenden im Zeugenstand erschütternd Gestalt na. "Wir haben das gesehen, dass die ukrainischen Wachmänner schlimmer waren als die SS", sagte der 88-jährige Jules Schelvis am Dienstag vor dem Münchner Schwurgericht. Während er zum Torfstechen selektiert wurde, sei seine 20-jährige Frau Rachel mit fast allen anderen sofort nach der Ankunft direkt in die Gaskammer geführt worden. "Ich konnte sie nicht mehr grüßen oder küssen", sagte Schelvis.
Wenig später habe er erlebt, wie zwei ukrainische Wachmänner an der Straße zwei Juden erschossen und mit deren Kleidung davonspaziert seien. "Da haben wir gesehen, das sind schlimmere Leute als die anderen", sagte Schelvis.
Der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk ist angeklagt, von März bis September 1943 in Sobibor als Wachmann im Sold der SS beim Mord an 27.900 Juden geholfen zu haben.
Schelvis sagte, mit seiner Großfamilie sei er am 26. Mai 1943 von Amsterdam ins Zwischenlager Westerbork gebracht und von dort in Güterwaggons weiter nach Sobibor in Ostpolen transportiert worden. Während der viertägigen Fahrt mussten sie eng gedrängt stehen: "Es war nicht genügend Platz da, um zu sitzen." In dem Güterwaggon seien nur ein Wasserfass und ein leeres Fass zum Verrichten der Notdurft gewesen.
Bei der Ankunft in Sobibor hätten SS- und ukrainische Wachmänner die Waggons umstellt. Männer und Frauen wurden getrennt und mussten sich sofort ausziehen, um in angebliche Duschkammern geführt zu werden. Dass an jenem Tag mehr als 2.800 Menschen vergast wurden, habe er erst später von anderen Überlebenden des Lagers erfahren. "Sie sahen jeden Tag eine Menschenmenge hineingehen, aber nie Menschen hinauskommen. Nur Flammen waren zu sehen", sagte er. Weil er selbst deutsch sprach, 22 Jahre alt und gesund war, sei er mit seinem Schwager sofort zur Arbeit in einem anderen Lager abkommandiert worden. Seine Frau und 18 weitere Verwandte aber seien in Sobibor vergast worden, sagte Schelvis. Mehr als 20 weitere Verwandte seien in Auschwitz umgebracht worden.
"Junge Kinder und alte Männer wurden an Ort und Stelle totgeschossen"
Im Lagerghetto Radom habe er zunächst gemeint, er komme "von der Hölle in den Himmel", weil er als Drucker arbeiten durfte. Aber im November 1943 wurde das Ghetto mit Panzern und Maschinengewehren liquidiert: "Junge Kinder und alte Männer wurden an Ort und Stelle auf der Straße totgeschossen - das habe ich gesehen", sagte der 88-Jährige und sank schluchzend in seinem Zeugenstuhl zusammen. "Ich kann nicht darüber sprechen, was ich alles gesehen habe", sagte er mit zitternder Stimme.
Bei der Deportation in Amsterdam habe er seinen Rucksack und seine Gitarre mitnehmen können, weil die Deutschen gesagt hätten: "Ihr geht zur Arbeit in den Osten", sagte Schelvis. Trotz des schrecklichen Transports, stehend und ohne Essen, habe er nach der Ankunft in Sobibor wieder kurz Hoffnung geschöpft: "Das sah nicht so schlimm aus. Man sah Holzhäuser mit Gardinen und Blumen", sagte er. Dann aber hätten die Gefangenen sofort ihr Gepäck ablegen, sich nach Männern und Frauen trennen und ausziehen müssen.
Die Frauen seien kahlgeschoren, die Männer direkt ins Gas geführt worden. Bis sie in den Abgasen eines Panzermotors erstickt waren, "das dauerte etwa 25 Minuten", sagte Schelvis. Das habe er allerdings erst später erfahren.
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch sprach am Dienstag von einem "internationalen Justizkomplott" und forderte erneut, das Verfahren wegen Befangenheit und Willkür der Richter sofort auszusetzen.
Demjanjuk bestreitet, nach seiner Kriegsgefangenschaft als sogenannter Trawniki Handlanger der Nazis beim Massenmord gewesen zu sein. Auch am Dienstag nahm er auf einem Bett liegend mit geschlossenen Augen an der Hauptverhandlung teil.
Der Prozess wird am 12. Januar fortgesetzt. Das Urteil soll im Mai verkündet werden.