
Adams Altlasten: Verleugnete Morde, verschwiegene Vergewaltigungen?
IRA-Vergangenheit Was wurde aus den Mordvorwürfen gegen Gerry Adams?
Seine Festnahme Anfang Mai 2014, beteuert Sinn-Fein-Chef Gerry Adams, sei gar keine Festnahme gewesen. "Das war nur ein Treffen, das ich der Polizei öffentlich angeboten hatte." Und mit dem Mord habe er nichts zu tun.
"Der Mord" ist etwas, das dem umstrittenen Politiker als Gerücht seit Jahrzehnten anhängt. Im Dezember 1972 verschleppten IRA-Terroristen die zehnfache Mutter Jean McConville aus Belfast. Sie wurde ermordet und verscharrt, weil sie angeblich Informationen an die Briten weitergegeben hatte.
Angeblich war Gerry Adams damals ein hochrangiges IRA-Mitglied. Ende 2013 wurde eine Aussage publik, derzufolge Adams den Befehl zur Entführung und Ermordung McConvilles gegeben hatte. Der Sinn-Fein-Chef stellte sich darauf im Frühjahr 2014 der Befragung durch die nordirische Polizei, die ihn unter Arrest stellte. Nach vier Tagen wurde er ohne Anklage entlassen.
Doch der Mordvorwurf ist nicht vom Tisch - und er ist auch nicht der einzige, dem sich Gerry Adams immer wieder stellen muss.
War Adams IRA-Mann oder nicht?
Jean McConville gehört zur Gruppe der "Disappeared" - 16 Frauen und Männer, die mit einer Ausnahme von der IRA entführt, hingerichtet und an geheimen Orten verscharrt wurden. Eine unabhängige Kommission ist seit 1999 damit befasst, die "Verschwundenen" zu finden. Es ist Teil des Versuchs, im Rahmen des Friedensprozesses alte Wunden zu schließen. Informationen, die der Kommission gegeben werden, dürfen Polizei und Gerichte nicht als Beweismittel nutzen. Das hat zur Aufklärung mehrerer Fälle beigetragen, ohne dass die Täter von damals eine Strafverfolgung fürchten müssen.
Doch Jean McConvilles Überreste wurden 2003 zufällig von einem Strand-Spaziergänger gefunden. Und es gibt Aussagen, die Adams in dieser Sache schwer belasten.
So behauptete der ehemalige IRA-Kommandeur Brendan Hughes, einst ein enger Vertrauter von Adams, dass dieser die Ermordung von Jean McConville angeordnet habe. Auch die inzwischen verstorbene, nach eigenen Angaben an der Verschleppung beteiligte Dolours Price sagte aus, dass Adams ihr den Auftrag gegeben habe - damals angeblich ihr "Befehlshaber".
Das seien nichts als Lügen, sagt Adams.
Und die Tatsache, dass die IRA, die 1972 mit der britischen Regierung in London über einen Waffenstillstand verhandelte, Adams aus der Haft freipresste, weil er unbedingt zur Delegation gehören müsse?
Auch das habe nichts zu bedeuten, sagt Adams. Zu keinem Zeitpunkt sei er ein IRA-Mann gewesen, geschweige denn Kopf der Organisation. Nur in der Partei sei er tätig gewesen. Sinn Fein galt früher allerdings als "politischer Arm" der IRA.
Zu beweisen war ihm bisher nichts. Für die Partei, die in Nordirland an der Regierung beteiligt ist und es in der Republik Irland gern wäre, ist die nicht enden wollende Flut der Vorwürfe jedoch ein Problem. Bisher schreckten auch die grausamsten Details über Untaten der Siebzigerjahre die Wähler nicht ab. Doch wird diese Wählerschaft auch so einfach über jüngere Skandale hinwegsehen? Und gilt das auch für die Wähler in Irland?
Mitwisser von Vergewaltigungen?
Im Oktober 2014 sendete die BBC unter dem Titel "Eine Frau allein mit der IRA" eine Reportage über Mairia Cahill . Die junge Frau aus Belfast, deren Großonkel Joe Cahill einst führendes Mitglied der IRA war, wurde im Alter von 16 Jahren monatelang von einem IRA-Mitglied sexuell missbraucht.
Als Cahill sich dagegen wehrte, untersuchte die IRA das intern im Rahmen eines sogenannten "Kangaroo Court" und zwang sie, ihrem Peiniger über Monate immer wieder gegenüberzutreten. Für den Täter hatte der "Prozess" kaum Konsequenzen. Hochrangige Sinn-Fein-Mitglieder sollen vom Missbrauchsvorwurf und den internen IRA-Untersuchungen gewusst haben.
Auch Adams, den Cahill persönlich informiert haben will? Der streitet das ab.
Ein erstes Verfahren scheiterte - nicht zuletzt, weil auch die nordirische Staatsanwaltschaft den Fall nicht angemessen behandelte. Am 22. Mai 2015 hat sich der Generalstaatsanwalt öffentlich dafür entschuldigt - und den Druck auf Adams und Sinn Fein damit wieder erhöht.
Umfragen zeigten schon nach Ausstrahlung des BBC-Programms negative Auswirkungen für die Partei und ihren Chef. Die Popularität von Sinn Fein, die zeitweilig zur stärksten Partei in Irland aufgestiegen war, fiel um drei auf 21 Prozent zurück. Zeitgleich sanken Adams' persönliche Sympathiewerte um sieben Punkte auf immerhin noch 40 Prozent. Viele der Befragten nannten Cahills Vorwürfe als Grund.
Ende Oktober 2014 gab Martin McGuinness, stellvertretender Regierungschef von Nordirland und einst angeblich Chef der IRA, öffentlich zu, dass "die republikanische Bewegung" Cahill eine Entschuldigung schulde. Sie sei vergewaltigt worden , und der Umgang der IRA damit sei "nicht angemessen" gewesen. Adams räumte ein, dass die IRA Vergewaltiger aus den eigenen Reihen in die Republik Irland, nach England oder in die USA abgeschoben habe. Laut seiner Stellvertreterin McDonald, um die Opfer zu schützen - in Zeiten, in denen die nordirische Polizei ihnen nicht geholfen hätte.
Wie viele dieser Täter sich derzeit in Irland befinden, ist nicht klar. Mairia Cahill hat der Polizei 40 Namen genannt. Gerry Adams selbst übergab der Polizei in West Belfast medienwirksam Namen von mutmaßlichen republikanischen Vergewaltigern. Seine Behauptung, dass man ihm die Liste heimlich nachts in den Briefkasten seines streng bewachten Hauses geworfen habe, gilt als eher unglaubwürdig. Stammen sie aus internen Akten der "Kangaroo Courts"?
Im März 2015 berichtete Paudie McGahon in einer BBC-Sendung von seiner Vergewaltigung durch einen IRA-Mann. Zu den anschließenden "Kangaroo Courts" sei auch ein weiteres männliches Opfer gezwungen worden, das zur Tatzeit minderjährig war. Der nach Irland abgeschobene pädophile IRA-Mann soll später in Dublin einen Zwölfjährigen vergewaltigt haben .
Die Tatsache, dass zum ersten Mal auch Kinder als Opfer selbsternannter Freiheitskämpfer offenbart wurden, führte in den Tagen nach der Ausstrahlung des BBC-Programms zu Tumulten im irischen Parlament. Inzwischen wurden weitere Fälle von Kindesmissbrauch innerhalb der republikanischen Bewegung bekannt. Die Umfragewerte für Sinn Fein sanken.
"Altlasten" sind für Sinn Fein ein Dauerproblem
Bei den Wahlen zum britischen Unterhaus Anfang Mai verlor Sinn Fein einen von fünf Sitzen in der Provinz Nordirland. Spätestens zum Jahresbeginn 2016 aber stehen in der Republik Irland für Sinn Fein äußerst wichtige Wahlen an: Erstmals in der Geschichte steht die Partei nicht chancenlos da, auch in Dublin eine Beteiligung an der Macht zu erreichen.
Gerry Adams sucht noch nach Partnern für eine mögliche Koalition. Echte Chancen hätte Sinn Fein aber nur, wenn die Partei nicht weiter in die Defensive gerät - die "Altlasten" ihrer militanten Zeiten belasten ihre Zukunft.
Und mitunter sorgt Adams selbst dafür. Im US-Fernsehen zum Mord an Jean McConville befragt sagte er: "Solche Dinge passieren nun mal im Krieg."
McConvilles Hinterbliebene empört das - sie würden gern sehen, dass es endlich zu einem Gerichtsverfahren kommt.
Und das könnte tatsächlich bald passieren. Zurzeit prüft die nordirische Staatsanwaltschaft Akten, die Ivor Bell in Bedrängnis bringen dürften. Wieder geht es um den McConville-Mord.
Bell war in den Siebzigern angeblich einer von Adams Stellvertretern in der IRA, wurde dann Kopf der Organisation. Allerdings trennte er sich 1985 im Streit von ihr - auch sein Verhältnis zu Adams gilt seither als belastet.
Bell wurde 2014 wegen Mitschnitten aus vertraulichen Interviews verhaftet, die der Journalist Ed Maloney mit Ex-Terroristen geführt hatte und die eigentlich erst nach deren Tod veröffentlicht werden sollten. Britische Fahnder erstritten sich jedoch Zugang zu den Bändern. Laut Polizei ist Bell einer der Interviewten. Verriet er etwas zu McConville?
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, aufgrund der Mitschnitte ein Verfahren einzuleiten, wird in Kürze erwartet. Abzuwarten ist, ob Bell, mit seinen eigenen Aussagen konfrontiert, dann redet.
Gerry Adams wird gespannt zuhören. Für ein Interview stand er SPIEGEL ONLINE nicht zur Verfügung.

Die Recherche-Serie bei SPIEGEL ONLINE: Nur selten erfahren wir, wie es mit den Menschen und Geschichten weitergeht, wenn sie nicht mehr "Nachricht" sind. "Was wurde aus...?" spürt den Themen nach. Sie sagen uns, was Sie wissen wollen, und wir erzählen Ihnen, wie die Geschichten ausgingen. Was würden Sie gern wissen? Wir freuen uns auf Ihre Anregungen und Hinweise an waswurdeaus@spiegel.de . Selbstverständlich behandeln wir Ihre Angaben vertraulich.