Doping-Razzia Schlag gegen die Muskelmafia
Berlin - Uwe Schmidt sitzt auf seinem Stuhl im "Blauen Salon" im fünften Stock des Berliner Landeskriminalamtes und scheint fest entschlossen, seinen Erfolg nicht zu sehr auszukosten. Unbewegt berichtet der Leiter der Abteilung "Organisierte Kriminalität" von den Ermittlungserfolgen des Tages.
Rund 240 Beamte durchsuchten seit fünf Uhr morgens 52 Wohnungen und Sportstudios in Berlin, Hannover, in Brandenburg und Polen. Die Fahnder stießen auf Anabolika und Wachstumshormone, Mittel zur Muskelmast, mit denen ein florierender Handel getrieben worden war. Die Ermittler erwarteten offenbar heftigen Widerstand hinter verschlossenen Türen, an mehreren Orten wurden Beamte der Spezialeinheit GSG 9 eingesetzt. "In diesen Fällen kam es dann nicht mehr zu Problemen", sagt Schmidt und lächelt fein.
"Wir ermitteln seit rund einem Jahr wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung", sagt Staatsanwalt Thorsten Cloidt, "wir gehen davon aus, dass wir es mit einem europaweiten Netz von Leuten zu tun haben, die gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben." Gegen acht Personen seien Haftbefehle erlassen, zwei weitere vorläufig festgenommen worden. Die Beschuldigten stammen aus der Bodybuilderszene, unter ihnen sind Deutsche, Türken, Kroaten und ein Brite. Einige von ihnen sind bereits bei Bodybuildingwettbewerben in Erscheinung getreten, zum Teil seien sie in der Szene international bekannt.
Der Anabolika-Ring muss hervorragend organisiert gewesen sein. Der 30-jährige Boris K., mutmaßlich einer der Köpfe der Doping-Mafia, wurde von polnischen Polizisten um sechs Uhr morgens in einem kleinen Dorf in der Nähe von Danzig festgenommen. In seiner Wohnung fanden die Ermittler drei Laptops und zehn Handys, mit denen der Bodybuilder Kontakt zu seiner internationalen Kundschaft gehalten haben soll. K. soll zudem Anabolika-Produkte in einem Labor in seiner Wohnung hergestellt haben, die Fahnder stellten Hunderte Packungen mit Medikamenten sicher.
"Die Allgemeinheit bezahlte mit"
Neben Anabolika und Wachstumshormonen hat die Polizei sechs Fahrzeuge, Bargeld in Höhe von 80.000 Euro sowie eine scharfe Waffe sichergestellt. "Es gibt in dieser Szene ein hohes Gewaltpotential", so Staatsanwalt Cloidt, "Aussteiger werden unter Druck gesetzt." So sei ein Abtrünniger unter einem Vorwand in ein Sportstudio gelockt und dort "physisch bearbeitet" worden, so Cloidt.
Der Medikamentenvertrieb war höchst professionell aufgezogen, für jede Region habe es eine Art Statthalter gegeben, sagte Cloidt. Ein sichergestellter BMW habe als "Bunker" für die Medikamente gedient, "große Lager sind in dieser Szene nicht üblich."
Die Beschaffung der in Fitness-Studios begehrten Substanzen sei unterschiedlich organisiert worden. Es habe Lieferungen aus Thailand gegeben, die in Deutschland zum Teil zum zehnfachen Preis weiterverkauft worden seien. Noch profitabler dürften die in Polen selbst produzierten Anabolika gewesen sein. "Zum Teil wurden die Mittel auch in Deutschland mit Hilfe von gefälschten Rezepten besorgt", so Cloidt, "dann durfte auch noch die Allgemeinheit mitbezahlen."
Spätestens seit Tour-de-France-Sieger und Leichtathletikstars in Serie unter Dopingverdacht stehen, gerieten große Bereiche des Profisports in den Ruch, unlautere Methoden zu verwenden. Jede Leistungssteigerung unterliegt seitdem dem Generalverdacht, mit pharmazeutischen Mitteln illegal unterstützt worden zu sein.
Allerdings ist Medikamentenmissbrauch keineswegs auf den Spitzensport beschränkt, anabole Steroide werden auch von Hobbysportlern, vor allen Dingen von Bodybuildern, genommen. Die synthetisch hergestellten Substanzen ähneln dem männlichen Sexualhormon Testosteron, ihre Einnahme führt bei gleichzeitigem intensivem Krafttraining zu einem enorm beschleunigten Muskelaufbau.
Gefährliche Langzeitfolgen
Allerdings sind die begehrten Hormone für zahlreiche schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt, etwa Akne, starke Gewichtszunahme durch Wassereinlagerungen, Gefäßveränderungen und Schädigungen des Herzmuskels. Werden Anabolika über längere Zeit eingenommen, können irreversible Leberschäden bis hin zu Krebs auftreten. Außerdem können die Steroide höhere Aggressivität verursachen. Neuere Studien legen zudem den Verdacht nahe, dass regelmäßige Anabolika-Einnahme abhängig machen und beim Absetzen Depressionen hervorrufen kann.
Längerer Missbrauch führt bei Frauen zu einer nicht umkehrbaren Vermännlichung, etwa zu Bartwuchs und einer tieferen Stimme. Bei Männern wurde eine abnorme Vergrößerung der Brust beobachtet, jugendliche Anabolika-Konsumenten riskieren, dass ihr Wachstum durch das Hormon vorzeitig gestoppt wird.
Die Fahnder freuen sich zwar über ihren Erfolg, dennoch hat keiner von ihnen Illusionen über das wahre Ausmaß der internationalen Doping-Szene. Im Vergleich zum Rauschgifthandel werde dem Vertrieb von Dopingmitteln in der Öffentlichkeit deutlich geringere Bedeutung beigemessen. "Diese Leute segeln im Schatten des Rauschgifthandels", so LKA-Mann Schmidt, "und erfahrungsgemäß wächst schnell Ersatz für verurteilte Täter nach."
Die kriminelle Energie des Anabolika-Rings scheint immens - und wird wohl nur noch von der Schlichtheit ihrer Kunden übertroffen. "Weißt du eigentlich, was du dir da antust", soll ein Beamter einen Konsumenten während der Razzia gefragt haben, "denk doch mal an die Langzeitfolgen." Doch der muskelbepackte Mann habe nur mit den Schultern gezuckt. "Wieso? Ich nehme das schon seit zwei Wochen, und mir geht es gut."