Duisburger Mafia-Massaker Killerkommando auf Rachefeldzug in Deutschland
Duisburg - Nach dem Läuten an dem schmucklosen Mehrfamilienhaus in Duisburg dauert es einen Moment. Dann knarzt es in der Gegensprechanlage. Eine heisere Männerstimme flüstert: "Wir sind erschüttert und vollkommen schockiert. Mehr möchten wir nicht sagen. Gehen Sie, bitte!" Eine Nachbarin kommt in diesem Augenblick aus der Tür. Sie möchte ihren Namen nicht nennen und eigentlich auch nicht über die italienische Familie sprechen, über die in der vergangenen Nacht das Unheil hereingebrochen ist. Nur so viel: "Die arme Frau hat die ganze Nacht lang geweint."
Die Familie ist nach ersten Ermittlungserkenntnissen Opfer des bisher brutalsten Verbrechens eines italienischen Kriminellen-Clans in Deutschland geworden. "In dieser Größenordnung hat es das hierzulande noch nicht gegeben", sagt am Abend der renommierte Mafiaexperte Jürgen Roth.
Sechs Italiener sind in der Nacht auf Mittwoch in einem Blitzüberfall binnen weniger Minuten vor dem Restaurant "Da Bruno" massakriert worden, zwischen 2.10 und 2.24 Uhr, mit mindestens 70 Schüssen - die Killer machten kurzen Prozess.
Die Opfer: Wirt Sebastiano S., 38, sein Lehrling Tommaso-Francesco V., 18, die Brüder Francesco, 21, und Marco P., 19, Francesco G., 16, und Marco M., 25.
Sebastiano S., Marco und Francesco P. lebten in dem schmucklosen Mehrfamilienhaus in der Nähe des Restaurants, alle bis auf den Lehrling waren miteinander verwandt - und alle hatten Wurzeln in der Ortschaft San Luca in Kalabrien. Der Hochburg der mächtigen kriminellen Organisation 'Ndrangheta.
Die italienische Polizei stuft das Verbrechen als Teil einer Fehde rivalisierender Clans ein, die seit 1991 andauert: der "Vendetta von San Luca". Bei den verfeindeten Mafia-Familien handle es sich um die Pelle-Romeo und Strangio-Nirta. Beide gehören der 'Ndrangheta an, der kalabrischen Mafia.
Sie ist mit 35 Milliarden Euro geschätztem Jahresumsatz eine der mächtigsten kriminellen Vereinigungen Europas, Spezialgebiet: Kokainhandel. 7000 Mafiosi sind inoffiziellen italienischen Angaben zufolge in ihr organisiert, gegliedert in rund 100 Familienclans; 160 Mitglieder sollen sich in Deutschland niedergelassen haben - vor allem im Ruhrgebiet, in Erfurt und in Leipzig.
Eines der Opfer war dem italienischen Innenminister Giuliano Amato zufolge offenbar in einen Mord in der Familienfehde verwickelt. Er sei vermutlich auf der Flucht vor den Killern nach Deutschland gekommen, "um sich zu bewaffnen und zu verteidigen", sagte Amato am Abend. Doch "diejenigen, die Rache üben wollten, erreichten ihn eher als die Justiz".
Italienische Zeitungsberichte legen nahe, dass es sich bei diesem Mann um den 25-jährigen Marco M. handeln könnte. Er sei auf jeden Fall bis Samstag in Kalabrien gewesen, habe an dem Tag einen Polizeitermin gehabt und sich danach mutmaßlich nach Deutschland abgesetzt. Die Ermittler würden nun die Hypothese prüfen, dass er das Hauptziel des Mordanschlags war.
Die Duisburger Polizei wollte die Mafia-Theorien am Nachmittag zunächst nicht bestätigen. Man ermittle in alle Richtungen, sagte Sprecher Rolf Holz SPIEGEL ONLINE, und fahnde "beobachtend" an allen Flughäfen nach Verdächtigen: "Also nach allen Männern im tatrelevanten Alter zwischen 15 und 85 Jahren."
Wie der Mordanschlag genau ablief, können die Ermittler noch nicht rekonstruieren. Die Eckdaten sind allerdings klar: Die sechs Italiener feierten im "Da Bruno" in den 18. Geburtstag von Lehrling Tommaso-Francesco V. hinein. Um 2.10 Uhr schlossen sie das Restaurant ab. Danach muss es zu der Schießerei gekommen sein: In der Auffahrt des Restaurants wurden die sechs Männer in ihren Autos hingerichtet.
Um 2.24 Uhr verständigte eine Passantin die Polizei - um 2.30 Uhr traf sie ein. Die Polizisten fanden einen schwarzen, gemieteten VW Golf mit Pforzheimer Kennzeichen und einen weißen Lieferwagen, T-förmig gegeneinander gestellt. Die sechs Männer, alle saßen noch in den Autos, hatten Schussverletzungen im Brust- und Kopfbereich. Fünf waren schon tot, der sechste starb wenig später im Notarztwagen.
Die Autos wurden von einer "Vielzahl Kugeln" getroffen, sagen die Ermittler - genau wie die Leichen "eine Vielzahl von Einschüssen aufweisen". Die Obduktion werde vermutlich mehrere Tage dauern. Ob die Killer aus Maschinenpistolen feuerten, müssten die Untersuchungen der Kugeln und Geschosshülsen am Tatort ergeben. Der Chef der Duisburger Mordkommission, Heinz Sprenger, sagte am Nachmittag, einige der Getöteten seien der Polizei bekannt gewesen, allerdings wegen "absolut minimaler Geschichten". Familienmitglieder der Opfer stünden nun unter besonderem Schutz der Polizei.
Spekulationen, dass es sich bei dem Lokal "Da Bruno" um einen berüchtigten Mafiatreffpunkt handelte, der auch der Geldwäsche diente, wollte der deutsche Ermittler nicht bestätigen. Vieles spricht dafür, dass auch Wirt Sebastiano S. zu den Mafiosi im Exil zählte. Das "Da Bruno" pflegte den Anschein eines gehobenen italienischen Restaurants: Als Logo hat der Besitzer einen Hummer gewählt, darunter steht "Da Bruno - einmalig in Duisburg, eine Garantie". Auf der Karte finden sich unter anderem der "Gemischte Fischteller à la Bruno" für 25,50 Euro und der Apéritif "Da Bruno-Royal" mit Prosecco und Pfirsichpüree für 5,50 Euro. Im Fenster prangt ein blauer Aufkleber mit der Aufschrift "Aral Schlemmer-Atlas 2006". Von einem Foto an der Wand lächeln der Restaurantbesitzer und Thomas Gottschalk, von der gegenüberliegenden Seite des Flurs strahlen die Kicker des FC Bayern.
Zu dem Restaurant im Klöckner-Hochhaus unweit des Duisburger Hauptbahnhofes kommen an diesem Mittwoch viele Schaulustige. Viele in der Nachbarschaft sind fassungslos darüber, was in der vergangenen Nacht passiert ist. Ann-Kathrin Steinebach, 19, will nicht glauben, was sie gerade gehört hat - dass in der Auffahrt des Restaurants, in dem sie als Kind oft mit ihren Eltern zu Abend aß, sechs Menschen erschossen wurden. Eine ältere Dame erkundigt sich in der Menschentraube, was los ist. Sie wird informiert, schaut irritiert: "Hier wollte ich eigentlich mal essen gehen." Passanten unterhalten sich über das Lokal, sprechen "von einem edlen Restaurant" - ein Ermittler dagegen sagt: "Ich habe dort auch schon einmal gegessen. Es hat mir nicht geschmeckt."
Plötzlich taucht ein silberner Mercedes auf, schiebt sich durch die Menschenmenge hindurch. Eine Frau springt heraus, legt sechs weiße Rosen nieder - für jeden Toten eine. Schnell ist die Unbekannte wieder verschwunden, so schnell, dass selbst die flinken Fernsehteams ihr nicht folgen können. Ihnen bleiben bloß die Bilder der Blumen und der grünen Polizei-Markierungen der Leichen auf dem Asphalt.