Mythos und Wahrheit Sechs Fakten zu Einbrechern in Deutschland

Urlaubszeit ist Einbruchszeit? Diebe haben es nur auf Reiche abgesehen? Sechs Mythen über Einbrüche - und was an ihnen dran ist.
Einbrecher kommen im Sommerurlaub? Von wegen

Einbrecher kommen im Sommerurlaub? Von wegen

Foto: Andreas Gebert/ DPA

Es war ein warmer Samstag im Frühling, als Gerda Müller* und ihr Mann Klaus* nach der Vorabendmesse eine böse Überraschung erlebten. Das Rentnerpaar wohnt allein in einem Einfamilienhaus im Münsterland, roter Klinker, zwei Garagen, großer Garten. Um Viertel vor sechs waren beide zur Kirche gefahren. Um 19.10 Uhr schloss Gerda Müller die Haustür auf - und erblickte ein Schlachtfeld.

Auf dem Boden zerstreut lagen Schubladen, Wäsche und eine zerstörte Geldkassette. Das Fenster zum Gästezimmer war aufgebrochen, die Spardosen der Enkelkinder geplündert. "Es war ganz schrecklich", sagt Gerda Müller.

Unbemerkt waren Einbrecher über die schlecht einsehbare Rückseite ins Haus gelangt. Mit einem Stemmeisen hatten sie ein Fenster aufgehebelt. Am Ende fehlten Schmuck und Geld im Wert von fast 4000 Euro. Die Polizeistreife kam sofort, ein Ermittler sicherte Spuren - doch vergebens. Die Täter blieben verschwunden.

Alle dreieinhalb Minuten steigen Kriminelle in Deutschland in Wohnungen und Häuser ein. Und es werden immer mehr. Im vorigen Jahr zählte das Bundeskriminalamt 152.000 Fälle, so viele wie seit 16 Jahren nicht, 40 Prozent mehr als 2007.

Wie groß ist die Bedrohung? Sechs Mythen im Check.

Mythos 1: Sommerzeit ist Einbruchszeit

Auch wenn der Sommer Urlaubszeit ist und viele Menschen verreisen - Saison für Einbrecher sind die dunklen Monate von Oktober bis Januar. Nach einer Studie des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft gibt es im Dezember mehr als drei Mal so viele Einbrüche wie im Juli.

Denn im Sommer ist es lange hell, die Nachbarn sitzen bis spät abends draußen - das schreckt Einbrecher ab. Zu Sorglosigkeit sollte das aber nicht verleiten. Wer etwa via Facebook und Twitter darauf aufmerksam macht, dass er länger nicht da ist, lockt Kriminelle an.

Mythos 2: Die Bedrohung durch Einbrecher ist so stark wie nie

Auch wenn die Zahl der Einbrüche stark gestiegen ist in den vergangenen Jahren, sind historische Ausmaße längst nicht erreicht. Anfang der Neunzigerjahre zählten die Statistiker deutlich mehr Fälle als heute - 227.000 allein im Jahr 1993.

Setzt man die Zahl der Taten ins Verhältnis zu den 41 Millionen Haushalten in Deutschland, dann zeigt sich: Einbrecher machten sich 2014 an weniger als 0,4 Prozent der Wohnungen zu schaffen. Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes sagt: "In einer verunsicherten Gesellschaft wie heute wirkt das Phänomen Einbruch bedrohlicher als in der Euphorie nach der Wiedervereinigung."

Mythos 3: Die Polizei klärt etwa jeden siebten Einbruch auf

Nach Angaben der Polizei betrug die Aufklärungsquote im vorigen Jahr 15,9 Prozent. Eine maue Rate, die sich seit Jahren kaum ändert. "Wohnungseinbrüche sind Delikte, die sehr schwer aufzuklären sind", sagt André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Es gibt viele Gelegenheiten, oft fehlen Zeugen und Spuren.

Doch die offizielle Quote schönt sogar noch die Realität. Die Polizei nennt einen Einbruch bereits aufgeklärt, wenn sie einen Tatverdächtigen ermittelt hat - unabhängig davon, ob er danach überführt wird. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat 2500 Fälle aus fünf Großstädten untersucht. Gemessen an der Zahl der Verurteilten ergibt sich demnach eine Aufklärungsquote von nur 2,6 Prozent. Das heißt: Nicht einmal jeder 30. Einbruch wird aufgeklärt.

Mythos 4: Banden aus Osteuropa sind die neuen Täter

Bis hin zu Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) machen Politiker osteuropäische Banden für die Zunahme der Einbruchszahlen verantwortlich. Doch in Wahrheit wissen Forscher wenig über die Täter - schon allein wegen der geringen Aufklärungsquote (siehe Mythos 3).

KFN-Vize Dirk Baier sagt: "Es gibt nicht die eine große Gruppe der Täter." In ihrer Studie zu knapp 2500 Einbrüchen analysierten die Forscher den Hintergrund der 62 verurteilten Täter. Von ihnen waren 28,8 Prozent Osteuropäer, 31,3 Prozent Drogenabhängige. Verallgemeinern aber lassen sich diese Zahlen nicht.

Mythos 5: Mehr Streifenpolizisten schrecken Einbrecher ab

Einbrecher lassen sich von Polizisten in Uniform kaum einschüchtern, vermutet BDK-Chef André Schulz. "Auch wenn man die Zahl der Streifenwagen verdoppeln würde, hätte es keinen spürbaren Einfluss auf die Aufklärungsquote." Im Zweifel geben sich die Täter unscheinbar, bis der Wagen vorbeigefahren ist.

Der "beste Schutz" gegen Einbrecher seien "mechanische Sicherungen an Türen und Fenstern und aufmerksame Nachbarn", sagt Schulz. Zwei bis drei Minuten versuchen Einbrecher höchstens, ins Haus zu kommen. Sie geben heute öfter auf als früher. Offenbar wirken hier bereits die polizeilichen Aufrufe zur Prävention, immer mehr Menschen treffen Vorkehrungen. Das legt die Statistik nahe.

Die Gesamtzahl der Einbruchsfälle umfasst nämlich auch die erfolglosen Versuche. Vor 22 Jahren drangen die Täter in 72 Prozent der Fälle in die Wohnung ein. Heute gelingt das in nurmehr 60 Prozent der Fälle. Das bedeutet: Im vorigen Jahr blieb es bei 63.000 von 152.000 registrierten Taten beim Versuch. "Wir sind auf dem richtigen Weg, das Problem in den Griff zu bekommen", sagt KFN-Vize Baier.

Mythos 6: Einbrecher haben es nur auf Reiche abgesehen

"In deutschen Wohnungen ist viel zu holen", sagt BDK-Chef Schulz. "Jeder kann Opfer von Einbruch werden, auch Menschen in sozial schwachen Vierteln." Handys, Bargeld, Laptops gibt es fast überall. "Gerade Drogenabhängige brechen in ihrer unmittelbaren Umgebung ein", sagt Kriminologe Feltes.

Meist kommt es den Tätern darauf an, das Diebesgut möglichst rasch zu Geld zu machen. Eine KFN-Studie zeigt: Bei der Hälfte aller Taten beträgt der Wert der Beute weniger als 2500 Euro.

*Name geändert

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten