Anschlag auf rechten Szenetreff in Thüringen Sprengsatz am »Bull's Eye«

Ermittler Montag am Tatort: »Die Gefahr ist groß, dass sich die Gewaltspirale weiterdreht«
Foto: Michael Reichel / dpaDie NPD traf sich hier, der Betreiber ist ein stadtbekannter Neonazi, das Lokal gilt seit Jahren als Treffpunkt der rechtsextremen Szene: Das »Bull's Eye« ist weit über Eisenach hinaus bekannt, nun wurde es zum Ziel eines mutmaßlich linksextremen Anschlags – und steht im Mittelpunkt einer Debatte über politisch motivierte Gewalt.
Die Tat selbst ist gut dokumentiert: Ein online kursierendes Video zeigt, wie mehrere vermummte Personen den Schriftzug »Fight Nazis every day« auf die Fassade schmieren, ein Fenster einschlagen und wenig später einen offenbar selbst gebauten Sprengsatz entzünden. Es handele sich um ein »Objekt, welches es immer wieder verdient hat, angegriffen zu werden, genau wie jeder andere Rückzugsort von Nazis«, heißt es in einem mutmaßlichen Bekennerschreiben. Alles an diesem Fall deutet darauf, dass die Verantwortlichen aus der linksextremen Szene stammen.
Der Polizei zufolge, die das Tatvideo für authentisch hält, wurde bei dem Angriff am Montagmorgen gegen 4.45 Uhr niemand verletzt, demnach wurde abgesehen von der Fassade und Einrichtungsgegenständen ein Auto vor dem Haus beschädigt. Die Folgen sind also überschaubar, die Aufregung ist trotzdem groß – was wohl auch daran liegt, dass es eine Vorgeschichte gibt.
Bereits im Oktober 2019 gab es einen gewalttätigen Übergriff auf das »Bull's Eye«, damals gingen nicht nur Fensterscheiben und Teile des Inventars zu Bruch: Der Inhaber des Lokals sowie mehrere Gäste wurden laut Polizei von mindestens zehn Personen mit Schlagstöcken, Reizstoff und Faustschlägen traktiert, sie erlitten erhebliche Verletzungen.
Hinter dem Überfall stand den Ermittlern zufolge eine Gruppe um eine mutmaßliche Linksextremistin. Demnach hatte die Leipzigerin Lina E. das »Bull's Eye« gleich mehrfach im Visier: Im Dezember 2019 habe sie den Gaststättenbetreiber, einen bekannten Rechtsextremisten und früheren NPD-Stadtratskandidaten, bei einem Überfall mit zwei Hämmern attackieren wollen. Der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes entdeckte sie demnach jedoch rechtzeitig und vereitelte die Tat.
»Eine neue Eskalationsstufe«
Unterstützt von anderen setzte Lina E. ihren Tatplan demzufolge wenig später doch noch um: Die Gruppe soll die Gaststätte observiert, dem Mann in sein Wohnviertel gefolgt sein und diesen dort mit Reizstoff, Schlagstöcken, einem Hammer, Stangen und einem Radschlüssel attackiert haben. Als sie auf Begleiter ihres Opfers aufmerksam wurden, griffen sie laut Ermittlern auch diese brutal an.
Im November ließ die Bundesanwaltschaft Lina E. festnehmen, der 25-Jährigen werden unter anderem gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensbruch sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Sie sitzt in Untersuchungshaft.
Ob all das in direktem Zusammenhang zu dem jüngsten Anschlag auf das »Bull's Eye« steht, ist unklar. Die Urheber des mutmaßlichen Bekennerschreibens, veröffentlicht auf der Plattform Indymedia, bezeichnen sich selbst als eine Gruppe antifaschistischer Frauen. Laut einem MDR-Bericht ermittelt in dem Fall das Landeskriminalamt in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz.
Inzwischen beschäftigt der Fall auch führende Landespolitiker, die Thüringer CDU-Fraktion will die Angelegenheit zum Thema im Innenausschuss des Landtages machen. »Das Sprengstoffattentat in Eisenach stellt eine neue Eskalationsstufe dar«, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Raymond Walk. »Dabei wurden Menschenleben in einem Mehrfamilienhaus ganz konkret gefährdet – zumindest haben die Täter das billigend in Kauf genommen.« Es gebe »Anzeichen von Linksterrorismus«, so Walk, und: »Die Gefahr ist groß, dass sich die Gewaltspirale weiter dreht und Gegenreaktionen folgen werden.«
Auch Innenminister Georg Maier zeigte sich bestürzt. »Die Häufung politisch motivierter Kriminalität in Eisenach erfüllt mich mit Sorge«, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter. »Der Rechtsstaat wird konsequent mit allen Mitteln gegen jegliche Form von Extremismus vorgehen.«
Der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Dirk Bergner zeigte sich besorgt um die politische Kultur. »Selbst, wenn andere Auffassungen und politische Positionen völlig unerträglich erscheinen, rechtfertigt das keine Gewalt.« Es müsse beim staatlichen Gewaltmonopol bleiben.
Eisenach gilt seit Langem als Hochburg der rechtsextremen Szene, insbesondere die NPD hat in der Hochschulstadt viele Unterstützer: 2019 erhielten die Rechtsextremisten bei der Kommunalwahl mehr als zehn Prozent der Stimmen, allein auf den mehrfach vorbestraften Neonazi Patrick Wieschke entfielen 4600 Stimmen.
Die Bedeutung des »Bull's Eye« für die Szene ist indes in den vergangenen Jahren gesunken: Laut Landesinnenministerium fand noch 2014 das »Maifest der NPD« in dem Gebäude statt, seit der Eröffnung des »Flieder-Volkshauses« als NPD-Landesgeschäftsstelle im selben Jahr habe sich dieses jedoch zum zentralen Treffpunkt für Rechtsextremisten aus der Region entwickelt.
Eisenachs Bürgermeisterin Katja Wolf, die selbst seit Jahren einen erbitterten Rechtsstreit mit der NPD ausficht, zeigte sich über den Anschlag auf das »Bull's Eye« erschüttert. Sie verurteile den Angriff aufs Schärfste, sagte die Linkenpolitikerin laut »Thüringer Allgemeine«: »Ich verurteile grundsätzlich jede Form der Gewalt, sie darf niemals Mittel egal welcher Auseinandersetzung sein.«