Fall Eric Garner Jury-Beschluss treibt Tausende auf die Straße

Ein weißer Polizist würgt einen schwarzen Familienvater mutmaßlich zu Tode - und wieder entscheidet eine US-Jury, den Beamten nicht anzuklagen. Im ganzen Land demonstrieren Tausende, andere haben die Hoffnung auf Änderung schon aufgegeben.
Fall Eric Garner: Jury-Beschluss treibt Tausende auf die Straße

Fall Eric Garner: Jury-Beschluss treibt Tausende auf die Straße

Foto: ERIC THAYER/ REUTERS

Darnell Moore fehlen die Worte. "Ich wünschte mir ehrlich, ich hätte etwas Tröstendes, Poetisches zu sagen, aber mit fällt nichts mehr ein", schreibt der afro-amerikanische Aktivist. "Ich bin fertig. Ehrlich gesagt, ich glaube, dass das System laut genug gesprochen hat."

Mit diesen Worten, die der US-Autor und Essayist am Mittwochabend auf Facebook postete, sprach er nicht nur vielen Schwarzen aus dem Herzen. Erneut ist ein Schwarzer Opfer der Gewalt eines weißen Polizisten geworden. Erneut hat eine Grand Jury über strafrechtliche Folgen für den Polizisten beraten. Und erneut gibt es keine Anklage.

Amerika schwankt zwischen Resignation und Aufstand. Die Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze nehmen kein Ende - und immer wieder sendet das System, das sie eigentlich beschützen soll, das gleiche Signal aus: Wer Afro-Amerikaner tötet, bleibt ungestraft.

Das Video des Vorfalls in Endlosschleife im TV

Dabei scheint dieser Fall noch eindeutiger als der des erschossenen Teenagers Michael Brown aus Ferguson: Am 17. Juli stürzten sich Beamte des New York Police Departments (NYPD) auf Eric Garner, einen sechsfachen Vater und städtischen Gärtner, weil er unweit der Staten Island Ferry illegal Zigaretten verkauft haben soll. Ein Beamter nahm Garner, 43, in den Schwitzkasten, eine in New York seit 1993 untersagte, aber nicht illegale Methode.

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Der Fall Eric Garner: Proteste nach Jury-Entscheidung

Foto: ERIC THAYER/ REUTERS

Garner, schwergewichtig und Asthmatiker, röchelte noch gut ein dutzendmal: "Ich kriege keine Luft." Dann starb er an Herzversagen.

Wie bei Michael Brown befasste sich eine Grand Jury mit der Sache. Das Votum der Geschworenen, mindestens so empörend wie das in Ferguson, kam am Mittwoch, nach nicht mal einem Tag Beratungen: Es gebe keinen Anlass, Daniel Pantaleo, den Polizisten, der Garner im Würgegriff hatte, anzuklagen.

Obwohl der Gerichtsmediziner den Tod Garners als "Tötungsdelikt" klassifiziert hatte. Obwohl Pantaleo, 29, schon zweimal zuvor wegen brutalen Vorgehens aufgefallen war. Obwohl der Vorfall auf einem Video festgehalten wurde, das nun in einer schwer zu ertragenen Endlosschleife durchs US-Fernsehen flimmert.

Garners letzte Worte sind der neue Schlachtruf

Landesweit gingen erneut Abertausende auf die Straße. In New York marschierten sie vom Union Square zum Rockefeller Center, wo gerade die live im TV-übertragene Wohlfühlzeremonie zur Einweihung des traditionellen Weihnachtsbaums lief. Sie drängten sich zwischen den Polizeiabsperrungen am Times Square, legten sich zu einem "Die-In" auf den Columbus Circle, blockierten den Rush-Hour-Verkehr am West Side Highway und die Pendlermengen der Grand Central Station.

Anders als in Ferguson aber blieben die Proteste vorerst friedlich. "I can't breathe", skandierten die Demonstranten - die letzten Worte Garners, nun ihr neuer Schlachtruf.

Die Garner-Entscheidung fiel, in bitterer Ironie, am selben Tag, da in Cleveland in Ohio der zwölfjährige Tamir Rice beerdigt wurde. Rice, ebenfalls schwarz, war im November auf einem Spielplatz von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er mit einem Spielzeuggewehr hantiert hatte. "Er hat keinen einzigen Tag gefehlt", erinnerte sich seine Lehrerin Carletta Goodwin, bevor sie schluchzend abbrach.

Die bewegendsten Äußerungen kommen von einem Weißen

Wieder musste US-Präsident Barack Obama Stellung nehmen, ohne Partei zu ergreifen, diesmal tat er es mit etwas bestimmteren Worten als zu Ferguson: "Wenn jemand in diesem Land unter dem Gesetz nicht gleich behandelt wird, dann ist das ein Problem." Wieder kündigte der scheidende Justizminister Eric Holder an, die staatlichen Ermittler würden nachhaken, wo die kommunalen versagt hätten - eine Aufgabe, die in diesem Fall ausgerechnet seiner designierten Nachfolgerin Loretta Lynch zukommt, der US-Staatsanwältin für New York.

Die bewegendsten Äußerungen kamen diesmal freilich von einem Weißen: Bürgermeister Bill de Blasio sagte seine Teilnahme an der Feier im Rockefeller Center ab und eilte stattdessen nach Staten Island, wo Eric Garner wohnte und starb. Seine Emotionen hielt de Blasio dabei nur mühsam zurück. Kein Wunder: Er ist mit der schwarzen Aktivistin und Schriftstellerin Chirlane McCray verheiratet, sein Sohn Dante und seine Tochter Chiara sind beide Teenager.

"Dies ist zutiefst persönlich für mich", sagte de Blasio. Seit langem schon warne er Dante vor den "Gefahren, die ihn konfrontieren könnten" - "wegen der Geschichte, die über uns hängt".

Vielleicht liegt es an de Blasios respektierter Person, dass die Folgen dieses neuen Falles zunächst ruhiger blieben als in Ferguson. Vielleicht liegt es am betont vorsichtigen, deeskalierenden Vorgehen der Polizei bei den Protesten. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass viele müde geworden sind: "Was sollen wir noch tun?", fragte einer der Protestler am Times Square. "Wenn es selbst trotz Videobeweis keine Anklage gibt, wird es nie eine geben. Die Polizei hat freie Hand."

Eric Garners Tod blieb allerdings nicht ganz ohne strafrechtliche Folgen. Die Polizei nahm kurz darauf Ramsey Orta fest, den Mann, der die fatale Episode mit Video aufgezeichnet hatte. Der Vorwurf: illegaler Waffenbesitz. Die Grand Jury verlor keine Zeit und klagte ihn an.

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