Ermittlungen Multikulturelle Terrortruppe gibt Fahndern Rätsel auf

Die mutmaßlichen Rucksackbomber sind gefasst, die Hintermänner weiterhin unbekannt. Nun versuchen die Fahnder, über ein Profil der Attentäter auf die Auftraggeber zu schließen. Doch ein radikal-islamistischer Hintergrund ist bislang nicht zu erkennen, die Täter kommen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern.

London - Viel Schlaf dürften die vier Terror-Verdächtigen des 21. Juli in der Nacht zum Samstag nicht bekommen haben. Sofort nach ihrer dramatischen Festnahme am Freitagnachmittag rasten maskierte Anti-Terror-Fahnder mit Muktar Said Ibrahim, Ramsi Muhammad und seinem Bruder Whabi zu der schwer gesicherten Polizeistation Paddington Green. Dort begannen mehrere Teams sofort, sie getrennt zu vernehmen und alle ihre Aussagen ständig miteinander zu vergleichen. Ein vierter Verdächtiger, der Somalier Yassin Hassan Omar, war bereits am Dienstag in Birmingham geschnappt worden und wird seitdem in London befragt. Bisher soll er schweigen.

Immer wieder betont die Polizei, dass die Festnahmen kein Grund zur Selbstzufriedenheit seien. Nicht nur die Pessimisten unter den Terror-Jägern gehen davon aus, dass es sich bei den festgenommenen Verdächtigen nur um so genannte "Fuß-Soldaten" handelt. Demnach führten die Männer in London nur einen Auftrag aus, als sie am 21. Juli mit vier oder möglicherweise sogar fünf Rucksäcken loszogen und vier von ihnen in Bussen und U-Bahnen ablegten. Die Frage ist nun, wer ihnen den Auftrag gab, wer die Bomben herstellte und vor allem, ob es noch weitere Bomben und weitere Rekruten für neue Anschläge gibt.

Wer ist der Auftraggeber?

Erste Details aus den Aussagen des in Italien festgenommenen Hussain Osman, der fünf Tage nach den missglückten Anschlägen über Frankreich nach Rom flüchten konnte, bestätigen die Furcht der britischen Ermittler. Laut italienischen Zeitungsberichten sagte er bei seinem ersten Verhör aus, dass ihm bisher nicht genannte Männer den Rucksack mit der Bombe gegeben hätten - inklusive den Auftrag, ihn in der U-Bahn abzustellen. Wer diese Männer waren, steht nun im Mittelpunkt der Ermittlungen. Weil Osman bisher der einzige Verdächtige ist, der redet, drängen die Briten auf eine schnelle Auslieferung nach London.

Neben den weiteren Ermittlungen aber ergibt sich für die Fahnder ein anderes Problem, wenn sie die Fakten über die Festgenommenen zusammentragen. Gerade erst hatten die Ermittler nach den Anschlägen am 7. Juli ein neues Profil für mögliche Attentäter erstellt. Damals waren es drei in Großbritannien geborene Pakistaner, die vier Bomben in drei U-Bahnen und einem Bus platzierten und selber bei den Anschlägen getötet wurden. Neu war an der Tätergruppe, dass es sich um Terroristen mit britischen Pässen handelte. Wegen ihrer Bewegungsfreiheit mutierte plötzliche eine ganze Bevölkerungsgruppe Englands zu potentiellen Terroristen.

Die wenigen Details aus Recherchen im Umfeld der am Freitag festgenommenen, ersten Aussagen der Polizei und britischen Medienberichten wiederum zeichnen ein vollkommen neues Bild für ein Profil möglicher weiterer Attentäter. Statt in England geborenen Pakistanis handelt es sich nun um Männer aus verschiedenen afrikanischen Ländern, die in jungen Jahren nach England gekommen sind. Nicht bei allen waren vor den Anschlägen Anzeichen für eine Radikalisierung zu erkennen, allerdings hatte mindestens einer Kontakt zu einer der bekannten Islamisten-Moscheen in London.

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Fahndung: Die Jagd nach den Terrorverdächtigen

Foto: REUTERS

Puzzle aus vielen kleinen Hinweisen

  • Muktar Said Ibrahim wird verdächtigt, am 21. Juli einen Rucksack mit einer Bombe im Bus mit der Nummer 26 abgelegt zu haben. Mehrere Video-Überwachungsbilder zeigen den in Eritrea geborenen Mann, wie er den Bus verlässt. Ibrahim kam 1992 nach Großbritannien, nachdem er mit seinen Eltern unter anderem auch in Saudi-Arabien gewohnt hatte. Die Eltern riefen nach den Anschlägen bei der Polizei an, weil sie ihren Sohn auf den Fahndungsfotos erkannt hatten. Sie haben seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn.

    Ibrahim ist aus der Gruppe bisher der einzige Verdächtige, bei dem es deutliche Hinweise auf eine radikal-islamistische Einstellung gibt. Nachdem er mit 14 Jahren nach England kam, stand er mehrmals wegen Gewaltdelikten vor Gericht und musste er 1996 für fünf Jahre ins Gefängnis. Dort soll er sich nach Aussagen von Freunden dem Islam zugewandt haben und besonders die radikalen Ideen islamistischer Prediger bewundert haben. Später gehörte er zu den regelmäßigen Besuchern der Finsbury-Park-Moschee, wo der europaweit bekannte Hetzprediger Abu Hamsa al-Masri die Gläubigen zum Kampf gegen den Westen aufstachelte.
  • Über Ramsi Mohammed ist bisher kaum etwas bekannt. Bis zum Freitagabend, als der Londoner Polizeichef Sir Ian Blair erstmals seinen Namen nannte, galt er als unbekannter Verdächtiger. Videobilder zeigen den Mann, als er am 21. Juli gegen 12 Uhr einen U-Bahnzug der Northern Line besteigt. Als die Bombe in seinem Rucksack nicht explodierte, verließ er den Zug an der Station Oval und rannte davon. In England wurde er schnell als der Mann mit dem "New York"-Pullover bekannt, das er bei der Flucht trug.

    Gemeinsam mit Ibrahim wurde er am Freitagnachmittag in einem Appartement im Londoner Westen festgenommen. Ob er oder Ibrahim dort wohnten, bleib am Samstag unklar. Mehrere Anwohner konnten sich vage an die beiden Männer erinnern, kannten sie aber nicht. Auch die Rolle seines Bruder Whabi Mohammed, der ebenfalls am Freitag festgenommen wurde, ist noch unklar. Britische TV-Sender bezeichnen ihn als möglichen fünften Bomber. Nahe dem Ort seiner Festnahme war zwei Tage nach dem versuchten Anschlag ein weiterer Sprengsatz gefunden worden, der ebenfalls nicht explodiert war.
  • Yasin Hassan Omar war der erste der Verdächtigen des jüngsten Anschlagsversuchs, den die Polizei in Birmingham festnehmen konnte. Der 24-Jährige kommt ebenfalls aus Somalia und kam als 11-Jähriger mit seiner älteren Schwester nach England. Videobilder zeigen den Verdächtigen, als er eine Bombe in einem Zug an der Station Warren Street ablegte. Über seinen Hintergrund ist noch nicht viel bekannt. Seit Jahren ist Omar in staatlichen Programmen für die soziale Versorgung von Armen untergebracht gewesen.

    Nahe seines Ein-Zimmer-Appartements im Norden Londons, in dem Omar seit Jahren gewohnt hatte, kennt ihn niemand genauer. Das letzte Mal sagen ihn die Anwohner dort am Tag nach den Anschlägen, gemeinsam mit Ibrahim. Ermittler hatten deshalb befürchtet, dass die beiden weitere Bomben aus einem Lager geholt haben könnten. Auch über eine radikale Einstellung gibt es bisher keine Anzeichen. Britische Zeitungen zeigten bereits am Freitag Bilder des Verdächtigen, die ihn auf Partys zeigten und zitierten Freunde, die ihn keineswegs als gläubigen Muslim bezeichneten.
  • Hussein Osman wurde am Freitag in Italien festgenommen. Er ist auf Videobildern zu sehen, die ihn mit einem Rucksack in der U-Bahnstation Westbourne Park zeigen. Osman ist entgegen erster Angaben nicht aus Somalia, sondern aus Äthiopien und heißt wohl mit richtigem Namen Hamdi Isaac. Auch er kam erst als Teenager nach England. Für die nächsten Tage wird sich die Polizei mit ihm intensiv beschäftigen, da er entgegen seinen mutmaßlichen Komplizen bereits erste Aussagen gemacht hat. Über ihn könnten die Fahnder den Hintermännern auf die Spur kommen.
  • Die Suche nach dem Muster

    Ein Muster lässt sich aus den spärlichen Details über die Verdächtigen bisher nicht erkennen, erst recht kein Profil für die Suche nach potentiellen Attentätern erstellen. Zwar waren schon bei früheren Terror-Anschlägen Täter aus dem afrikanischen Raum aufgetaucht, bisher aber galt den Jemen als Schwerpunkt auf. Nun müssen die Fahnder fürchten, dass die Terror-Hintermänner ihre Täter auch aus der riesigen Gemeinde von afrikanischen Migranten rekrutieren können.

    Auf die Polizei kommt eine schwierige Aufgabe zu. Auf der einen Seite muss sie die Hintergründe der Tat vom 21. Juli möglichst schnell aufklären; auch, weil schon in zwei Wochen eine erste Anklage gegen die vier in England festgenommenen Verdächtigen erstellt werden muss. Nebenbei aber müssen sich die Fahnder den Kopf zerbrechen, wie die verschiedenen Täter zusammenpassen. Einfacher wird die Arbeit dadurch nicht.

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