Ex-Abgeordneter vor Gericht Tauss gibt den Anti-Porno-Sheriff

Jörg Tauss im Karlsruher Landgericht: "Ein definitives Ja"
Foto: Uli Deck/ dpaDer Anzug ist dunkel, Krawatte und Seitenscheitel sitzen akkurat. Jörg Tauss entert den Saal federnden Schrittes, sichtlich schmaler geworden, aber demonstrativ gute Laune versprühend. "So", sagt der ehemalige SPD-Politiker, und "schauen wir mal", als er gefragt wird, was er von diesem ersten Prozesstag erwarte. Es klingt fast, als warte er lediglich auf den Beginn eine Mammutsitzung im Bundestag.
Als die Staatsanwaltschaft die Anklage verliest, hat der 56-Jährige dann die eckige Lesebrille ganz unten auf die Nase gesetzt, scheinbar konzentriert blättert er in seinen Unterlagen, macht Notizen. Wie damals als Abgeordneter, als er, wie alle im Parlament, Meister darin war, die stundenlangen Reden nur mit halbem Ohr zu verfolgen. Doch in dem Vortrag der Staatsanwaltschaft geht es nicht um Steuergesetze oder Datenschutz. Es geht um Kinder, die Oral- und Analverkehr "vornehmen". Die "Masturbationshandlungen ausüben". Die sich "den Zeigefinger in den After einführen" müssen.
Kinder, vor allem Jungs, die manchmal nur vier bis sechs Jahre alt sind, an denen die widerlichsten sexuellen Misshandlungen verübt werden. Staatsanwältin Stephanie Egerer-Uhrig beschreibt in ihrem nüchternen Juristendeutsch jede einzelne der weit mehr als 200 Bild- und Videodateien, die vor einem Jahr auf einem Handy des damaligen Bundestagsabgeordneten gefunden wurden. Auch der Inhalt der drei DVDs, die sich in Tauss' Dienstwohnung in Berlin fanden, wird detailliert wiedergegeben. Weit länger als eine Stunde dauert das Verlesen dieser fürchterlichen Anklage.
Kandidatur für den Bundestag "just for fun"
Als die blonde Juristin endlich fertig ist, das Mikrofon ausschaltet und tief ausatmet, meldet sich einer von Tauss' Anwälten zu Wort. Man hätte das Gesagte auch an der ein oder anderen Stelle zusammenfassen können, sagt Michael Rosenthal, ohne an Präzision zu verlieren. Rosenthal und sein Kollege Jan Mönikes, die Tauss gemeinsam verteidigen, wittern mittlerweile überall Stimmungsmache. Und sind längst zur Gegenattacke übergegangen.
Denn in diesem Prozess geht es nicht mehr nur um die Frage, ob Jörg Tauss als Abgeordneter besagtes Material als Privatmann sammelte oder einen "Kinderpornoring sprengen" wollte, wie Tauss einmal erklärte. Und ob er derart eigenmächtig vorgehen durfte oder nicht. Es geht auch um die Frage, ob Tauss im Vorfeld "sozial exekutiert" wurde. Ob die Staatsanwaltschaft ihn "fertiggemacht hat", wie Rosenthal unverblümt erklärt.
Weit über ein Jahr ist es nun her, dass die Karlsruher Ermittler Tauss' Immunität vom Bundestag aufheben ließen, seine Büros, sein Haus in Kraichtal-Gochsheim und sein Berliner Appartement durchsuchen ließen und dabei Hunderte Fotos und Filmchen mit Kinder- und Jugendpornografie auf einem Handy fanden.
Vor jenem 5. März 2009 war das Dasein des SPD-Politikers selten besonders erwähnenswert. 1990 kandidiert der gelernte Versicherungskaufmann erstmals für den Bundestag, "just for fun", sagt er. 1994 schafft er den Sprung ins Parlament - dann bleibt er dort, für 15 Jahre. Irgendwann findet Tauss in den Neuen Medien sein berufliches Steckenpferd. Er sitzt in zahlreichen Ausschüssen zu dem Thema, ist irgendwann Fraktionssprecher für Bildung, Forschung und Medien und ansonsten im Bundestag vor allem für etwas poltrige Auftritte und unzählige nervende Zwischenrufe bekannt. Den "Brüllaffen von der SPD-Fraktion" tauft ihn der CDU-Politiker Steffen Kampeter.
"Er hat doch die maximale Strafe schon bekommen"
Doch an jenem Tag im März, als Ermittlungsbeamte plötzlich in seinem Büro und bei ihm zu Hause alles auseinandernehmen, sei Tauss zerstört worden, wie seine Anwälte danach immer wieder betonen. Noch während der Razzien laufen die ersten Nachrichten über den Ticker, mit Statements der Staatsanwaltschaft, die wenig später auch schon die schmuddeligen Funde vor Ort kommentiert. Die Anklage sei schon an die Presse gegeben worden, bevor Tauss überhaupt Akteneinsicht bekam, monieren seine Anwälte außerdem.
Tatsächlich musste Tauss nach den ersten Artikeln mit schmutzigen Details über den Skandal alle Ämter in der SPD niederlegen. Seine Parteikollegen hätten ihm kaum mehr die Hand gegeben, heißt es. "Er hat doch die maximale Strafe schon bekommen", erklärt sein Anwalt Mönikes.
Die Darstellung der verzweifelten persönlichen Lage Tauss' gehört denn auch zur Verteidigungsstrategie. Mittlerweile sei er nur noch ehrenamtlich als Politiker tätig - in der Piratenpartei, erzählt Tauss also mit voller Stimme vor dem Gericht. Er lebe von dem Geld seiner Frau, einer Gewerkschaftssekretärin, und von seinem Übergangsgeld als Ex-Abgeordneter. Rund 5000 Euro brutto im Monat mache das aus, sagt Tauss. Die Hälfte seiner früheren Bezüge.
Tauss hat offenbar keinerlei Problem mehr damit, seine Finanzen vor aller Öffentlichkeit auszubreiten. Als Staatsanwältin Stephanie Egerer-Uhrig wissen will, ob er Schulden habe, sagt er ohne zu zögern "ja". 700.000 Euro. Der Bau des Eigenheims sei aus dem Ruder gelaufen, weil damals "das halbe Dorf vom Einsturz bedroht war". Mittlerweile stehe der Bau zum Verkauf. Deshalb sei die finanzielle Lage auch so prekär.
"Unorthodox um solche Dinge gekümmert"
"Vorverurteilt" fühlt sich Tauss. Deshalb gebe er auch gerne Auskunft, betont er, als der Richter ihn fragt, ob er sich zur Sache äußern wolle. Seine Haltung hat er nicht geändert: Der ehemalige Medienspezialist der SPD will nur seine Arbeit gemacht haben. Schließlich sei es seine Aufgabe gewesen, sich über die schmutzige Szene zu informieren. Auch wenn er sich vielleicht "unorthodox um solche Dinge gekümmert" habe, wie Tauss vor Gericht sagt.
Die Erklärung klingt grotesk lapidar, bedenkt man, was Tauss da vom 6. Mai 2007 bis zum 25. Januar 2009 getrieben hat. Er ließ sich Bild- und Videomaterial auf sein Handy schicken, wie er selbst offen zugibt. Zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten. Einige Dateien kamen am 31. Dezember 2008, an Silvester, mitten in der Nacht, die letzte um 23.58 Uhr.
Er habe sich eben in der Szene "tummeln" müssen, um Zugang zu bekommen, lautet die schlichte Begründung, die Tauss dafür hat. Sein Ziel? Er habe im Kampf um Zensur bestimmter Internetseiten den Bundestagskollegen zeigen wollen, dass Kinderpornos längst über andere Kanäle vertrieben werden.
Ist es wirklich denkbar, dass ein gestandener Politiker bei einem solch heiklen Thema derartige Alleingänge startet? Dass er gezielt an Behörden und Kriminalpolizei vorbei agierte und sich selbst zum Sheriff im Kampf gegen Kinderpornografie ernannte? Und dann mit dem gefundenen Material noch derart nachlässig umgeht?
"Herr Tauss ist hier, weil er Kinderpornos versendet und besessen hat"
Zwei DVDs versteckte Tauss in seiner Berliner Wohnung im Bücherregal. Eine finden die Ermittler in einem Jackett im Kleiderschrank. Unter dem Bett liegt ein verstaubter Koffer mit Porno-Magazinen, Sexutensilien und Videos aus der Homosexuellen-Szene. Legales Material, das Tauss allerdings teilweise über seine Kontakte in die verbotene Szene bekommen haben soll.
Tauss habe in der Wohnung nur ein Zimmer bewohnt, das andere sei vermietet gewesen, sagen seine Anwälte. Deshalb sei das Schmuddelzeug, das auch als Tauschmaterial eingesetzt worden sei, unter dem Bett verschwunden und dort in Vergessenheit geraten.
Tauss ist für seine Alleingänge bekannt. In den Neunzigern manipulierte er die Telefonbuchse in seinem Büro, weil die Verwaltung ihm E-Mail- und Internetzugang verweigerte. Es gab viel Ärger. Eine typische Tauss-Geschichte.
Doch in diesem Prozess geht es nicht um solche Kleine-Jungen-Streiche. "Herr Tauss ist hier, weil er Kinderpornos versendet, sich verschafft und besessen hat", wie Staatsanwältin Egerer-Uhrig irgendwann noch einmal ganz ruhig wiederholt. Sie hat außer Vernehmungsbeamten auch Kontaktpersonen aus der pädophilen Szene geladen, mit denen Tauss Kontakt gehabt haben soll.
Doch der sagt, er habe sich vom Bundeskriminalamt und der Regierung "getäuscht" gefühlt. Weil man sich dort im Kampf gegen die Kinderpornografie völlig verbohrt allein aufs Internet konzentriert habe. Deshalb habe er allein gehandelt.
Doch reicht das dem Gericht als Begründung?
Wem hat Tauss "konkret" das Material gezeigt?
Tauss jedenfalls erklärt an diesem ersten Prozesstag, dass er sich immer noch "unverändert im Sinne des Gesetzes für unschuldig" halte. Er sei der Fachmann für die Verbreitung von Kinderpornos gewesen, schon seit Beginn der neunziger Jahre. Bundestagsabgeordnete seien regelmäßig in sein Büro gekommen, um sich zu informieren und auch einmal zu sehen, über was man da eigentlich rede. In seiner Stimme klingt jede Menge Selbstverständlichkeit mit.
Ob er mit der Strategie durchkommt, ist fraglich. Die Staatsanwältin Egerer-Uhrig jedenfalls stellt Tauss ziemlich bohrende Fragen. Wem er denn konkret, wann und wo ähnliche Videos gezeigt habe, will sie wissen. Und ob das auch bedeute, dass er schon seit Beginn der neunziger Jahre ähnliches Material besessen habe.
Tauss versucht es mit einer typischen Politikerantwort: "Es ist richtig, dass ich seit Beginn der neunziger Jahre damit zu tun hatte", sagt er. Als Egerer-Uhrig nicht lockerlässt, motzt er irgendwann ein "definitives Ja" in den Raum.
Er scheint wirklich überzeugt davon, dass er nichts falsch gemacht hat.