
Anna Chapmann: Liebe Grüße aus Moskau
Ex-Spionin Anna Chapman Lizenz zum Kassieren
Zu Sowjetzeiten führte der berüchtigte Geheimdienst KGB in Moskau ein strenges Regiment: Auf die vom kapitalistischen Klassenfeind enttarnten Agenten warteten nach ihrer Rückkehr in die sozialistische Heimat wochenlange Verhöre. Man wollte von den Spionen letzte Informationen, bevor sie gänzlich nutzlos wurden: Wie wurden sie entdeckt? Machten sie Fehler? Wurden sie verraten?
"Wir versuchten, noch so viel wie möglich über die Arbeit der Gegenseite zu erfahren", erinnert sich ein Oberst a. D. der Gegenspionage. "Das konnte über Wochen gehen. Die aufgeflogenen Agenten wurden unterdessen abgeschottet von der Außenwelt."
Heute ist das anders, heute verteilen die Enttarnten Visitenkarten.
Beispiel Anna Chapman. Die 28-Jährige gehörte zu einem russischen Spionagering, der jüngst in den USA aufflog. Es folgte ein denkwürdiger Agentenaustausch. Bevor "Agentin 90-60-90" in ihre russische Heimat ausgeflogen wurde, musste sie in den USA eine Verfügung unterschreiben, kein Kapital aus der Vermarktung des Spionageskandals zu schlagen.
Doch offenbar hält sich Chapman weder an diese Vereinbarung, noch wird ihr das Schicksal der unglücklichen Vorgänger aus UdSSR-Zeiten zuteil. Vielmehr avanciert sie zum Medienstar - und versucht, ihre Geschichte zu versilbern.
Teure Treffen mit "Agentin 00Sex"
In Verhandlungen mit russischen Medien etwa treibt sie die Preise für ein exklusives Interview in die Höhe. Erst wählten Redakteure der Moskauer Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda" eine Handy-Nummer auf Chapmans Visitenkarte und verhandelten mit deren Schwester Katja. Dann rief "Agentin 00Sex" selbst zurück. "Schicken Sie mir Ihre Fragen und ein Angebot per E-Mail", verlangte Chapman geschäftsmäßig.
Bei der ersten Offerte von tausend Dollar beschied Chapman, das Gespräch sei "uninteressant", und legte nach Darstellung des Blattes den Hörer auf. Attraktiver erschienen gleichwohl die 25.000 Dollar, die die "Komsomolskaja Prawda" danach ins Spiel brachte. "Darüber kann man nachdenken", sagte Chapman demnach. Sie werde zurückrufen, auch "wenn man mir bereits das Zehnfache geboten hat".
Seither wartet die Redaktion auf Chapmans Anruf und ein Treffen.
"Du gewinnst Stärke, Mut und Selbstvertrauen"
Andere Angebote lehnte die Ex-Spionin dagegen sofort ab, das Interesse des US-Pornokonzerns Vivid Entertainment zum Beispiel. "Auch wenn sie als Spionin nicht sehr erfolgreich war, denken wir, dass sie eine vorzügliche Darstellerin in einem unserer nächsten Filme sein kann", schrieb Unternehmenschef Steven Hirsch an Chapmans US-Anwalt, Robert Baum. Anna sei "die heißeste Spionin, die wir seit Jahren gesehen haben".
Auch Berichte einiger US-Sender, die 28-Jährige werde sich für eine Viertelmillion Dollar für den "Playboy" ausziehen, hatte Chapman dementiert. "Das ist eine absolute Lüge", ließ sie via Facebook wissen.
Seit ihrer Entlassung aus der Haft tummelt sich Chapman wieder im Netz - und beglückt eine wachsende Zahl russischer Fans mit Weisheiten der Gattin des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt: "Du gewinnst Stärke, Mut und Selbstvertrauen mit jeder Erfahrung, bei der du innehältst, um der Angst ins Gesicht zu sehen. Dann kannst du dir sagen: Diesen Horror habe ich ausgestanden. Ich kann auch das, was noch kommen mag, durchstehen."
Bereitet sie sich mit solch staatstragenden Weisheiten auf eine Karriere in der Politik vor? In Russland sähe man es tatsächlich lieber, wenn Chapman sich für eine politische und nicht für eine pornografische Laufbahn erwärmen könnte.
Alexander Potapow von der Liberaldemokratischen Partei (LDPR) des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski - in Wahrheit weder liberal noch demokratisch - versprach bereits, er werde "alles tun, um eine Kandidatur für einen Sitz schon bei den nächsten Duma-Wahlen zu fördern": Russland wählt im kommenden Jahr ein neues Parlament.
"Frivole Zeichnungen"
Dann, das hoffen offenbar einige Vertreter, könnte die gescheiterte Spionin ihrem Vaterland doch noch einen Dienst erweisen und der bedeutungslosen Staatsduma zu ein wenig Glanz verhelfen. Jüngst rügte gar Staatspräsident Dmitrij Medwedew die Abgeordneten, die kaum noch selbst zu Sitzungen erscheinen - und bei Abstimmungen Kollegen Knöpfchen drücken lassen, damit ihr Fehlen nicht auffällt.
Chapman, daran bestehe gar kein Zweifel, spöttelt der Moskauer Satiriker Anton Orech, werde die Attraktivität der "nutzlosen und langweiligen" Kammer deutlich heben. Der Sitzungsbesuch werde sprunghaft steigen, "frivole Zeichnungen und sündige Gedanken die Aufmerksamkeit der Deputierten anregen".
Chapman wäre nicht das erste Duma-Mitglied mit zweifelhafter Reputation. Andrej Lugowoi, einst ein Angehöriger des Föderalen Bewachungsdienstes FSO, soll 2006 in London den russischen Geheimdienstüberläufer Alexander Litwinenko mit radioaktivem Polonium vergiftet haben. Großbritannien bemühte sich vergeblich um eine Auslieferung: Lugowoi sitzt inzwischen seit Jahren im Parlament, natürlich für die Liberaldemokraten.
"Es ist für ihn gut gelaufen", sagt LDPR-Mann Potapow. "Es wird auch gut für Anna laufen, wenn sie eine berühmte Politikerin werden will."