Fälle Peggy Knobloch und Uwe Böhnhardt Alte Verbrechen, neue Rätsel
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Peggy Knobloch und dem "Nationalsozialistischen Untergrund"? Die Aufregung ist groß, seit Ermittler die DNA von Uwe Böhnhardt an einem Gegenstand feststellten, der in einem Waldstück zwischen Thüringen und Bayern gefunden wurde. Dort, wo ein Pilzsammler das Skelett des Mädchens entdeckt hatte. Zwei der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands scheinen mit einem Mal verbunden. Ist Böhnhardt womöglich der Mörder der neunjährigen Peggy?
Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang. Aber das Bundeskriminalamt (BKA) sieht keine Hinweise für eine Verunreinigung oder Verwechslung der DNA-Spur. Der Fund habe auch das BKA sehr überrascht, sagte Präsident Holger Münch: "Der Fall NSU zeigt, dass nichts unmöglich ist."
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nennt die neue Entwicklung "unfassbar". Die Linken-Abgeordnete Katharina König verweist auf Überschneidungen zwischen der thüringischen Naziszene und Fällen von Kindesmissbrauch. Und Clemens Binninger, der Vorsitzende des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, fordert eine "Generalrevision" der DNA-Spuren im Zusammenhang mit der rechten Terrorserie.

Tod eines Mädchens: Der Fall Peggy Knobloch
Schon jetzt rücken weitere, bislang ungeklärte Details aus dem NSU-Komplex wieder in den Fokus. Es geht unter anderem um einen zweiten ungeklärten Kindermord, eine Sandale in einem ausgebrannten Wohnmobil und um Kinderpornos auf dem Computer von Beate Zschäpe.
Mord an dem neunjährigen Bernd B.
Am 6. Juli 1993 kam der neunjährige Bernd B. in Jena von der Schule nicht nach Hause. Gegen 15.45 Uhr wurde er noch von einer Schulfreundin in der Innenstadt gesehen, so stellte es die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" vom 2. September 1994 dar. Das Mädchen sagte Bernd, dass seine Familie ihn suche. Doch Bernd ging nicht nach Hause. Gegen 22 Uhr alarmierten seine Eltern die Polizei. Etwa zur selben Zeit sahen Zeugen das Kind nahe einem Hochhaus in Jena-Lobeda, wo Bernds Großeltern wohnten. Doch die Großeltern waren verreist. Die Ermittler vermuten, dass der Junge deshalb ziellos durch die Straßen lief - seinem Mörder in die Arme. Bernds Leiche wurde zwölf Tage später, am 18. Juli 1993, am Ufer der Saale gefunden.

Urlaubsfoto von Uwe Böhnhardt
Foto: Getty Images/ PolizeiGanz in der Nähe der Leiche lag der weiße Außenbordmotor eines Boots. Motor und Boot gehörten Enrico T., einem Freund des damals 15-jährigen Uwe Böhnhardt. Enrico T. und Böhnhardt klauten in ihrer Jugend Autos, verübten Einbrüche. Durch den Außenbordmotor geriet Enrico T. in Verdacht, etwas mit dem Kindermord zu tun zu haben. Er bestreitet das.
Bei der Polizei gab T. an, der Motor sei ihm vor dem Mord gestohlen worden. Im April 2012 sagte er dem BKA plötzlich, Böhnhardt sei womöglich in den Mord verwickelt. "Uwe wusste, wo mein Boot lag, weil wir zuvor auf der Saale gefahren waren. Es kann also sein, dass der mir etwas in die Schuhe schieben wollte, weil wir uns irgendwann nicht mehr so gut verstanden", sagte T.
Böhnhardt ist in Jena-Lobeda aufgewachsen. Kurz vor dem Mord war er nach einer viermonatigen Freiheitsstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden.
Ein anderer Freund von damals, Thomas B., belastete hingegen Enrico T. "Soweit ich mich erinnern kann, stand T. auch auf kleine Kinder", sagte Thomas B. im April 2012 dem BKA. Auch im NSU-Prozess sagte Thomas B. als Zeuge aus. Vor dem Oberlandesgericht München relativierte er seine Aussage: Es sei eine bloße Vermutung gewesen. Enrico T. selbst sagte im Juli 2014 im NSU-Prozess, er erinnere sich weder an sein Verhältnis zu Uwe Böhnhardt noch an Thomas B.
Der Mord an dem kleinen Bernd ist bis heute nicht aufgeklärt. Ermittelt werde nach wie vor gegen unbekannt, sagt der stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Gera, Oberstaatsanwalt Steffen Flieger. Die Ermittlungen gegen einen Mann, der zwischenzeitlich als Beschuldigter gegolten habe, seien 2006 eingestellt worden. Dabei habe es sich weder um Böhnhardt noch um Enrico T. gehandelt. "Der Fall ist nach wie vor offen und mit vielen Fragezeichen versehen", so Flieger. Alle Spuren, die damals gesichert wurden, seien inzwischen ergebnislos abgearbeitet worden. Ein Bezug zu Uwe Böhnhardt oder Enrico T. habe sich nicht ergeben.
Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow erinnert sich an den Fall Bernd B. und eine mögliche Verbindung zu Böhnhardt. Der Linken-Politiker fordert: "Das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten."
Enrico T. soll übrigens auch daran beteiligt gewesen sein, dass die Mordwaffe des NSU, die Ceska-Pistole, aus der Schweiz in die Hände von Böhnhardt und Mundlos gelangen konnte.
Der Kinderschuh im Wohnmobil

Ausgebranntes Wohnmobil in Eisenach (November 2011)
Foto: Carolin Lemuth/ dpaIn dem Wohnmobil, in dem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach starben, fanden die Ermittler einen Plüschbären, eine Puppe mit Sprachfunktion und eine Kindersandale. An dem Schuh stellten die Ermittler eine weibliche DNA fest, die sie bisher keinem Mädchen zuordnen können - laut BKA-Präsident Münch stammt sie aber nicht von Peggy.
"Es gibt ein Kind im Umfeld des Trios, das bisher nicht identifiziert wurde", sagte Anwältin Antonia von der Behrens schon im Oktober 2015 im NSU-Prozess. Die Opferanwältin sagte auch: "Zu dem Kind müssen auch Erwachsene gehören, was dafür spricht, dass es Unterstützer im Umfeld des NSU gibt, die bisher noch nicht bekannt sind."
In Begleitung eines Kindes sollen Zschäpe und Böhnhardt am 25. Oktober 2011 das Wohnmobil in Zwickau auch angemietet haben. Mitarbeiter der Verleihfirma konnten sich an einen Mann, eine Frau und ein Kind erinnern. Zschäpe und Böhnhardt wurden von Zeugen hinterher auf Fotos erkannt. Ermittler vermuten, dass das Kind eines der Kinder von André E. gewesen sein könnte. André E. ist Mitangeklagter im NSU-Prozess. Zschäpe selbst teilte im Januar dem Gericht mit, dass es sich bei dem Kind tatsächlich um einen Sohn von André E. gehandelt haben soll.
Kinderpornos auf einem Computer von Beate Zschäpe

Zerstörtes Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße (November 2011)
Foto: Arno Burgi/ dpaAuf einem Computer von Beate Zschäpe im Brandschutt des letzten Verstecks des abgetauchten Trios in der Frühlingsstraße in Zwickau entdeckten Ermittler kinderpornografisches Material. Nach Angaben von Anwalt Mehmet Daimagüler, der im NSU-Prozess die Familie eines Mordopfers vertritt, handelt es sich dabei um Videomaterial. Ein Film soll einen Mann zeigen, der sexuelle Handlungen an einem Mädchen vornimmt.
Das Verfahren wegen Besitzes von Kinderpornografie gegen Zschäpe wurde nach Paragraf 154 Strafprozessordnung bereits eingestellt, da die Strafe, die ihr in diesem Fall bei einer Verurteilung drohte, im Vergleich zu der zu erwartenden Strafe im NSU-Prozess nicht ins Gewicht fiele.
Anwalt Daimagüler will Zschäpe nun trotzdem mit Fragen zu diesem Fund konfrontieren. Er möchte von ihr wissen, ob sie Kenntnis von den Kinderpornos hatte und ob sie weiß, wer die Filme auf den Computer geladen hat. Er will sie auch fragen, ob ihr bekannt ist, dass Böhnhardt möglicherweise pädosexuelle Neigungen hatte. Zschäpe wird zu seinen Fragen sicher schweigen. Sie weigert sich generell, Fragen von Nebenklägern und deren Anwälten zu beantworten.
Lesen Sie auch:
- Fragen und Antworten: So aussagekräftig sind Genanalysen
- Report: Die neuen Spuren zum NSU
- Nachricht: Soko soll Kindstötungen in Thüringen neu prüfen