Fall Chantal Jugendamt ignorierte Hinweise auf Drogen in Pflegefamilie

Nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal in Hamburg hat die zuständige Behörde schwere Fehler des Jugendamts eingeräumt: Über mehrere Jahre hinweg waren dort Hinweise auf Drogenmissbrauch in der Pflegefamilie eingegangen - doch das Jugendamt tat dies als Mobbing ab.
Leiterin des Hamburger Jugendamts, Pia Wolters: Von Aufgaben freigestellt

Leiterin des Hamburger Jugendamts, Pia Wolters: Von Aufgaben freigestellt

Foto: dapd

Hamburg - Stück für Stück wird nach dem Methadon-Tod der elfjährigen Chantal das Versagen der Hamburger Behörden deutlich. Über mehrere Jahre hinweg habe das Jugendamt von Nachbarn und Bekannten insgesamt fünf Hinweise auf Drogenkonsum der Pflegeeltern erhalten, erklärte der Chef des Bezirksamts Mitte, Markus Schreiber, am Dienstagabend vor dem Familienausschuss der Hamburger Bürgerschaft. "Dem ist nicht genug nachgegangen worden", so Schreiber. Die Hinweise seien von den Mitarbeitern des Jugendamts aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses zu der Pflegefamilie als Mobbing abgetan worden.

"Bei den zuständigen Sozialarbeitern hat teilweise eine Betriebsblindheit geherrscht", sagte Schreiber im Rathaus. Es sei aus Sicht des Bezirksamts nicht nachzuvollziehen, dass über so lange Zeit Hinweisen auf eventuelle Mängel und Risiken nicht nachgegangen wurde. "Eine Vertrauensbasis zwischen Sozialarbeiter und Pflegefamilie darf nicht zu solchen Fehleinschätzungen führen", so der Bezirksamtsleiter.

Das Jugendamt habe zu sehr auf die erste Prüfung der Familie durch den Bezirk Harburg und durch den freien Träger Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) verlassen. "Die Sozialarbeiter hätten die Wohnung selbst aufsuchen müssen", sagte Schreiber.

Chantal war am 16. Januar an einer Methadon-Vergiftung gestorben. Die Pflegeeltern nehmen seit Jahren an einem Methadon-Programm teil. Gegen sie und den leiblichen Vater des Mädchens besteht der Verdacht der fahrlässigen Tötung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt außerdem wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht gegen das Jugendamt und den freien Träger, den Verein Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen. Die Ermittlungen richteten sich aber noch gegen "bislang unbekannte Mitarbeiter", sagte Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers.

Inzwischen wurden erste personelle Folgen angekündigt: Die umstrittene Leiterin des Jugendamtes, Pia Wolters, wurde bis auf weiteres von ihren Aufgaben freigestellt. Von Mittwoch an solle Wolters nur noch für die Ermittlungen und die Aufarbeitung des Falls Chantal zuständig sein. Das Bezirksamt sucht nach eigenen Angaben nun eine neue Anstellung für Wolters. Ob weitere personelle Einschnitte beim Jugendamt folgen, soll laut Schreiber erst nach Abschluss der Ermittlungen beschlossen werden. Zu seiner Verantwortung sagte Schreiber: "Bis jetzt sehe ich keine persönliche Schuld."

siu/dpa
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