Prozess nach Missbrauchsfall von Lügde
Freispruch für 17-Jährigen
In Paderborn musste sich ein 17-Jähriger wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht verantworten, der selbst als Kind von einem der Täter im Fall Lügde missbraucht worden war. Das Gericht sprach ihn frei, es sah keine Verantwortungsreife.
Freispruch trotz Geständnis: Aktenordner aus dem Lügde-Prozess (Archivbild)
Foto: Bernd Thissen/ DPA
Das Landgericht Paderborn hat ein Opfer der Missbrauchsserie von Lügde freigesprochen, dem selbst sexueller Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde. Der Jugendliche habe die ihm zur Last gelegten Missbrauchshandlungen zwar umfassend gestanden, teilte ein Gerichtssprecher mit. Die Kammer habe jedoch die nach dem Gesetz für die Verurteilung eines Jugendlichen notwendige Verantwortungsreife nicht feststellen können.
In dem Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft dem zu Prozessbeginn noch 16-jährigen Angeklagten den Missbrauch von drei Kindern zur Last gelegt. Laut Jugendgerichtsgesetz (JGG) kann ein Jugendlicher nur verurteilt werden, wenn seine geistige Entwicklung dies zulässt. Voraussetzung ist, dass er das Unrecht seiner Taten einsieht und danach handelt.
"Aus Opfern werden relativ häufig Täter"
Dem Gerichtssprecher zufolge blieben der Kammer angesichts der besonderen Umstände Zweifel, dass der Angeklagte im Hinblick auf die konkret vorgeworfenen Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern verantwortungsreif war. Dabei betonte das Gericht ausdrücklich, dass es sich um eine Entscheidung handle, die einen "besonderen Einzelfall" betreffe und sich auf andere Sachverhalte nicht ohne Weiteres übertragen lasse.
Die Psychologin Manuela Dudeck hat eine Studie über Sexualstraftäter betreut, die als Kinder selbst Opfer sexueller Gewalt wurden. "Aus Opfern werden relativ häufig Täter", sagte Dudeck über die Langzeitfolgen sexueller Gewalt in einem Interview mit dem SPIEGEL.
Im Lügde-Verfahren waren Andreas V. und Mario S. im September vom Landgericht Detmold zu dreizehn beziehungsweise zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht ordnete Sicherungsverwahrung gegen die beiden Männer an. Auf einem Campingplatz in Lügde (Nordrhein-Westfalen) hatten sie jahrelang insgesamt 32 Kinder sexuell missbraucht.
Anmerkung: Der Angeklagte war bei Prozessbeginn noch 16, bei der Urteilsverkündung aber bereits 17 Jahre alt. Wir haben die Altersangabe korrigiert.