Fall Marc Dutroux Der Alptraum endet nie

Tausende kinderpornografische Bilder fanden Ermittler auf dem Computer eines belgischen Anwalts. Die bittere Randnotiz: Der Mann vertrat die Eltern zweier Achtjähriger, die Opfer des Kinderschänders Marc Dutroux wurden. Unfassbar, findet SPIEGEL-ONLINE-Redakteurin Annette Langer.

Vor ein paar Tagen war ich in Brüssel. Die Stadt sah grau und verbraucht aus - wie eine in die Jahre gekommene Hure. In meinem Hotelzimmer klebten die Kippschalter in ihrer Fassung, über dem Klappbett wehte ein zerrissener Vorhang. Ich mag Brüssel, die Stadt kann nichts dafür, dass ich, wenn ich dort bin, immer nur die Stiege sehe, die steile Kellertreppe, den blätternden Putz in der Absteige von Charleroi, wo "das Monster" einst seine Opfer quälte.

Marc Dutroux

, Sohn eines Lehrers und Leninisten, notorischer Dieb und Ex-Stricher, der seine Mutter und Geschwister schlug und schon in der Schule Pornobilder verkaufte. Der Julie und Melissa entführte, sie in ein Verlies sperrte, missbrauchte und seine Schandtaten filmte, um Geld mit den Aufnahmen zu verdienen. Der dasselbe mit Eefje, 19, und An, 17, tat, bevor sie lebendig begraben wurden. Der verhaftet wurde und während seiner Zeit im Gefängnis Julie und Melissa verhungern ließ.

Schon immer hat mich die immense kriminelle Energie, mit der Dutroux zu Werke ging, verstört. Der ganze Fall war obszön und hässlich, vor allem das Versagen der Ermittlungsbehörden. So hörte ein Beamter bei einer Hausdurchsuchung die Stimmen der eingekerkerten Julie und Melissa, verfolgte aber die Spur nicht. Den zahlreichen Hinweisen, Dutroux arbeite für einen Kinderhändlerring und "versorge" auch Prominente mit Mädchen, wurde nie ernsthaft nachgegangen. Während des Gerichtsverfahrens kamen 27 Zeugen unter bisweilen mysteriösen Umständen ums Leben - ein unglaublicher "Zufall", den der TV-Journalist Piet Eekman dokumentierte.

Nebenklägeranwalt sah sich Tausende Pornobilder an

Dutroux wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt - doch der Fall sorgte weiter für Furore. Am 14. Oktober 2010 verurteilte ein Gericht in Lüttich einen Mann namens Victor Hissel zu einer zehnmonatigen Haftstrafe. Der Anwalt hatte zwischen 2005 und 2008 mehr als 7500 kinderpornografische Bilder angesehen. Hissel war nicht irgendein Jurist, er vertrat die Familien der Opfer von Marc Dutroux vor Gericht. Ein Pädophiler also, der für die Verurteilung eines Kinderschänders kämpfte. Der eigene Sohn stieß ihm dafür fünfmal ein Messer in den Leib und muss sich nun seinerseits vor Gericht verantworten.

"Hissel war ein bekannter Aktivist gegen Kindesmissbrauch, er hatte die Aura eines Helden", sagt Dirk Depover von der Kinderschutzorganisation "Child Focus". "Wenn jemand wie er sich als Pädophiler erweist, ist das ein verheerendes Signal." Vor Gericht versuchte Hissel sich damit herauszureden, dass er ja keine kinderpornografischen Darstellungen gekauft, sondern sie nur angeschaut habe. Er ist inzwischen gegen das Urteil in Berufung gegangen.

Julies Vater Jean-Denis Lejeune  will nicht mehr viel über Hissel reden und endlich mit der Vergangenheit abschließen. "Selbstverständlich haben wir nichts von den pädophilen Neigungen unseres Anwalts geahnt, sonst hätten wir ihn nie beauftragt", sagt er heute. "Wir hatten das Gefühl, der Alptraum würde nie enden."

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