Fall Peggy K. Das Versagen des Verteidigers von Ulvi K.

Ulvi K. im Landgericht Bayreuth: Schlecht vertreten im ersten Prozess
Foto: Timm Schamberger/ dpaTrägt das Urteil eines Landgerichts über ein Kapitalverbrechen nicht zum Rechtsfrieden bei, drängt sich in der Regel die Frage nach dem oder den Schuldigen auf. Haben die Richter das Recht gebeugt? Ist eine publicity-süchtige Staatsanwaltschaft wieder einmal übers Ziel hinausgeschossen? Hat die Polizei versagt? Fragen, mit denen die Öffentlichkeit meist schnell bei der Hand ist. Mit den Antworten auch.
Das Landgericht Bayreuth verhandelt zurzeit den Fall Peggy, dem seit dem Jahr 2001 im oberfränkischen Lichtenberg spurlos verschwundenen Kind, das angeblich von dem geistig beschränkten Ulvi K. umgebracht worden sein soll. Er wurde vom Landgericht Hof 2004 deswegen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die der Bundesgerichtshof bestätigte.
Was in Hof seinerzeit unangenehm auffiel - der Eindruck, hier habe ein Gericht schon vor Prozessbeginn eine unumstößliche Überzeugung von Tat und Täterschaft gefasst -, ist in Bayreuth nicht zu spüren. Die 1. Jugendkammer mit dem Vorsitzenden Michael Eckstein behandelt den Wiederaufnahmefall nach allen Seiten offen. Ihrem Urteil werden am Ende des Prozesses, der einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte, wohl sehr viel weniger Zweifel begegnen als dem Gericht in Hof.
Chefermittler fahndete in NSU-Fällen
Es ist wohlfeil, bei der Frage nach dem oder den Schuldigen an einem Urteil zuallererst auf die Polizei einzuschlagen. Natürlich werden Hypothesen aufgestellt, wenn ein Kind verschwindet. Werden Ideen entwickelt, was passiert sein könnte und wer mit dem Verschwinden am ehesten etwas zu tun haben könnte. Eine Neunjährige mag weglaufen von zu Hause; im Normalfall tauchen solche Kinder innerhalb kürzester Zeit wieder auf. Verunglücken sie, werden sie im Normalfall bald gefunden. Werden sie entführt, erhalten die Eltern im Normalfall einen Erpresserbrief. Verschwinden Kinder im Alter zwischen neun und zwölf Jahren, denkt die Polizei immer auch an ein Sexualverbrechen. Das ist alles andere als vorwerfbar.
Der Chefermittler der Soko Peggy II, die eingesetzt wurde, weil die erste Soko keinen rechten Ermittlungserfolg erzielte, hat später im Zuge der Ermittlungen wegen der NSU-Mordtaten in Nürnberg die umstrittene Soko "Bosporus" geleitet. Sie ermittelte hauptsächlich im Milieu der organisierten Kriminalität, ohne den wahren Tätern auf die Spur zu kommen. Die Angehörigen warfen den Ermittlern später vor, vorschnell und einseitig nur gegen Ausländer ermittelt zu haben. Alternativtäter nicht gleichermaßen im Blick gehabt zu haben - ein Vorwurf, der möglicherweise auch auf den Fall Peggy zutreffen könnte.
"Zu 75 Prozent überzeugt, dass mein Mandant der Täter ist"
Das hat einen Grund. Nach zwei Verhandlungstagen in Bayreuth scheint festzustehen, dass sich ohne die katastrophalen Fehler des damaligen Verteidigers von Ulvi K. die ganze Causa anders entwickelt hätte. Ulvi K. gestand 2002 die Tat, just nachdem sich sein Verteidiger wegen eines anderen Termins entfernt hatte. Ein Tonband lief nicht mit. K. öffnete sich überdies jenem Polizisten, der offenbar ganz gezielt ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm aufbauen sollte - eine zulässige List der Polizei. Der Verteidiger hielt es nicht für nötig, gegen die Verwertung dieses undurchsichtigen Geständnisses etwas zu unternehmen.
Als die Polizei weitere Vernehmungen K.s sowie Tatrekonstruktionen für nötig hielt, verabschiedete sich der Verteidiger in den Urlaub mit dem Hinweis an seinen Mandanten, der Polizei alles zu sagen und zu zeigen.
Die Ermittler versuchten zu erreichen, dass K. das Geständnis nochmals in Anwesenheit seines Verteidigers wiederholt - vergeblich. Beide Termine, die die Polizei vorschlug, sagte der Anwalt ab. Die Ermittler fragten den Verteidiger sodann, ob er Einwände gegen weitere Vernehmungen in seiner Abwesenheit habe. Er hatte keine. Wörtlich habe der Anwalt gesagt, so der Chefermittler als Zeuge vor Gericht: "Ich bin jetzt auch zu 75 Prozent überzeugt, dass mein Mandant der Täter ist."
Wer will der Polizei vorwerfen, das weit geöffnete Tor zu ausgiebigen Vernehmungen des geistig beschränkten Mannes genutzt zu haben? Wer will sich darüber empören, K. allerlei vorgeredet zu haben an Stellen, an denen dieser nicht weiterwusste oder sich in Widersprüche verwickelte? Aufgabe seines Verteidigers wäre es gewesen, seinen Mandanten, dessen geistigen Horizont er kannte, vor der List und den Vernehmungstricks der Ermittler zu schützen. Doch er gab ihn preis - mit der Folge, dass potentielle andere Verdächtige möglicherweise aus den Augen verloren wurden.
Der Erfolg hat viele Väter. Der Misserfolg aber auch.