Fall Strauss-Kahn Staatsanwalt demontiert Belastungszeugin

Dominique Strauss-Kahn kann aufatmen: Die New Yorker Staatsanwaltschaft hat ihre Anklage zurückgezogen - und übte harsche Kritik an der Belastungszeugin Nafissatou Diallo.
Zimmermädchen Diallo: Anklage sieht wiederholte Widersprüche und Lügen

Zimmermädchen Diallo: Anklage sieht wiederholte Widersprüche und Lügen

Foto: MARIO TAMA/ AFP

New York - "Es fällt uns schwer, um den Abschluss des Verfahrens zu bitten", gesteht Manhattans Oberstaatsanwalt Cyrus Vance in seinem Antrag - aber er habe keine andere Wahl: Dem ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, bleibt ein Strafprozess in den USA wegen des Vorwurfs der versuchten Vergewaltigung aller Voraussicht nach erspart. Die Staatsanwaltschaft beantragte am Montag bei Richter Michael Obus, alle Anklagepunkte fallenzulassen und das Verfahren einzustellen. Es ist fest davon auszugehen, dass der Richter der Empfehlung der Staatsanwaltschaft bei einer für Dienstag angesetzten Anhörung folgen wird.

Grund für die Entscheidung des Staatsanwalts waren laut dem Antrag die wiederholten Widersprüche und Lügen der Zeugin, die ihre Glaubwürdigkeit erschüttert hatten. Nafissatou Diallo habe "in fast allen Gesprächen" mit der Staatsanwaltschaft die Unwahrheit gesagt. Diese Lügen hätten bei einem Prozess "verheerende Wirkung" gehabt, erklärt Vance - und skizziert die 32-Jährige als notorische Lügnerin.

Da der Fall gegen den einst mächtigsten Banker der Welt mit der Aussage der einzigen Zeugin "steht und fällt", sehe er keinen anderen Weg, als die Anklage aufzugeben, schreibt Vance. Diallo erregte mit ihrer ersten Schilderung vom angeblichen Tathergang keinen Verdacht, verteidigt sich der Staatsanwalt. Bei weiteren Nachfragen habe sie dann aber bis zu drei verschiedene Versionen von wichtigen Details geliefert.

Keine eindeutigen Beweise

In dem 25-seitigen Antrag bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass es zwischen Strauss-Kahn und dem Zimmermädchen, das ihm Vergewaltigung vorwirft, einen "kurzen sexuellen Kontakt" von sieben- bis neunminütiger Dauer gegeben habe. Einige Indizien sprächen auch dafür, dass dieser Kontakt "nicht-einvernehmlich" gewesen sein könnte. Doch gebe es dafür keine eindeutigen Beweise. So habe Diallo keine Verletzungen gehabt, die eindeutig auf eine versuchte Vergewaltigung hinwiesen. Leichte Schäden an ihrer Unterwäsche könnten auch von normalem "Verschleiß" herrühren. Ein Blutfleck auf dem Bett in Strauss-Kahns Hotelsuite stamme von dem ehemaligen IWF-Direktor, der unter einer Hautallergie an seinen Händen leide.

Strauss-Kahn war am 14. Mai kurz vor seinem Abflug nach Frankreich im Flugzeug verhaftet worden. Das Zimmermädchen beschuldigte ihn, sie zuvor in seiner Suite im New Yorker Sofitel-Hotel unter anderem zum Oralsex gezwungen zu haben. In der Folge kamen jedoch Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auf. Die aus Guinea stammende Einwanderin hatte etwa bei ihrem Aufenthaltsantrag für die USA unter Eid gelogen. Zudem sprach sie am Tag nach dem angeblichen Übergriff am Telefon mit einem inhaftierten Freund über das Vermögen Strauss-Kahns.

Am schwersten wogen offensichtlich die falschen Angaben in ihrem Asylantrag, wonach sie schon einmal in Guinea Opfer einer Vergewaltigung geworden sei. In einer Sitzung mit den Ermittlern wirkte sie bei der Nacherzählung dieser Geschichte so überwältigt, dass sie selbst die Staatsanwälte zu Mitleid rührte. Später dann habe sie zugegeben, dass sie den "Angriff frei erfunden" habe. Die "Fähigkeit, diese erfundene Geschichte mit völliger Überzeugung als wahr auszugeben", hätte die Verteidigung in einem Prozess erfolgreich ausschlachten können, so Vance. Das mache es der Staatsanwaltschaft unmöglich, die Anklage gegen Strauss-Kahn zweifelsfrei vor einer Jury zu vertreten.

Erleichterung bei Sozialistischer Partei

Die Entscheidung des Staatsanwalts stieß bei den Anwälten des Zimmermädchens auf scharfen Protest, Strauss-Kahns Anwälte begrüßten sie. In Paris reagierten führende Vertreter von Strauss-Kahns Sozialistischer Partei erleichtert auf die dramatische Wende. "Ich bin sehr glücklich", sagte Parteichefin Martine Aubry. "Ich freue mich", sagte ihr Mitbewerber um die sozialistische Präsidentschaftskandidatur, François Hollande. Über die politische Zukunft Strauss-Kahns, dem vor dem Skandal ein Sieg bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr zugetraut worden war, wollten sich die meisten Vertreter nicht äußern.

Sollte das Verfahren wie erwartet eingestellt werden, könnte Strauss-Kahn noch in dieser Woche die USA verlassen und nach Frankreich zurückkehren. Dort allerdings muss er mit einer weiteren Anklage wegen sexueller Übergriffe rechnen. Zudem hat Diallo eine Zivilklage gegen Strauss-Kahn eingereicht und fordert finanzielle Entschädigung von ihm.

Korrektur: Die ursprüngliche Version dieses Artikels war mit der Zeile "Eine notorische Lügnerin" überschrieben. Diese basierte auf einem Bericht der dpa. Mittlerweile hat die Nachrichtenagentur ihre Angaben revidiert und das der New Yorker Staatsanwaltschaft zugeschriebene Zitat "notorische Lügnerin" gestrichen. Es handelte sich nicht um ein wörtliches Zitat, sondern eine zusammenfassende Formulierung der dpa-Autorin. Die Staatsanwaltschaft schreibt in ihrer Begründung, die Klägerin habe beharrlich, und manchmal unerklärlicherweise, die Unwahrheit gesagt. Wir haben das Zitat daher aus dem Text genommen.

wit/AFP/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren