Zoll Polizei übt massive Kritik an Geldwäsche-Spezialeinheit

Zollwappen
Foto: Maurizio Gambarini/ dpaIm Sommer hatte das Bundesfinanzministerium exzellente Nachrichten zu verkünden. Die hochumstrittene Geldwäsche-Spezialeinheit des Zolls, so ließ man die Presse in Berlin wissen, sei "jetzt bereit durchzustarten" und ihre "Vorteile voll auszuschöpfen". Die "Anlaufschwierigkeiten" seien "beseitigt" worden, es gebe nun endlich den lange ersehnten "Neustart", hieß es in einer Präsentation.
Der Mann, der diesen Neustart verkörpern soll, ist Christoph Schulte. Er hat im August, nach einem desaströsen Jahr, die sogenannte Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls als Leiter übernommen. Der freundlich-verbindliche Spitzenbeamte wirbt nun um neues Vertrauen - um das der Sicherheitsbehörden, die teilweise entsetzt sind über die Zustände in der FIU, und um das der Öffentlichkeit. "Man muss zugeben", sagt Schulte auf einer Veranstaltung der Kripo Akademie in Bergisch Gladbach, "dass die Startphase nicht glücklich gelaufen ist. Es gab deutliche Schwierigkeiten".
Dass Schulte Fehler eingestehen darf, liegt auch daran, dass der ihm vorgesetzte Finanzminister nicht mehr Wolfgang Schäuble heißt. Der CDU-Politiker war es nämlich, der die FIU gegen die Bedenken vieler Fachleute im Sommer 2017 vom Bundeskriminalamt (BKA) in sein Ressort überführen ließ. Dabei war die Truppe mit ihrer Aufgabe vom ersten Moment an überfordert.
Binnen kürzester Zeit stauten sich beim Zoll in Köln Zehntausende Hinweise auf verdächtige Transaktionen, die vor allem Banken gegeben hatten. Alle Geldinstitute in Deutschland sind dazu verpflichtet, auffällige Kontobewegungen zu melden. Unter diesen Hinweisen waren auch Verdachtsmeldungen auf Terrorfinanzierung, wie der SPIEGEL und der Bayerische Rundfunk herausfanden. Der Zoll sprach damals von "unvorhergesehenen Dysfunktionalitäten", dabei waren sie alles andere als unvorhergesehen. Fachleute hatten genau vor diesen Problemen gewarnt.
Der Zoll will einiges besser machen
Jetzt will der Zoll vieles anders und einiges besser machen: deutlich mehr Personal einstellen, ein Risiko- und Steuerungsmanagement etablieren, die internen Abläufe überprüfen lassen, mit Banken, Polizei und Staatsanwaltschaften enger zusammenarbeiten. Dazu wird ein "Managementplan zur weiteren Prozessoptimierung" erarbeitet, wie es in einem vertraulichen Dokument heißt. Auf Arbeitsebene soll mit großem Einsatz ausgebügelt werden, was die Politik einst angerichtet hat. "Die Reform der FIU ist für unser Haus hochprioritär", sagt die zuständige Beamtin aus dem Finanzministerium: "Wir sehen die Problemlage."
Wird also schon bald alles gut?
Daran gibt es erhebliche Zweifel. Interne Dokumente aus der FIU und der Polizei, die dem SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk vorliegen, zeigen nun erstmals, wie desaströs die Situation wirklich ist. So hat das BKA in einem Bericht die Erfahrungen aller Landeskriminalämter mit der FIU zusammengetragen. Die Landesbehörden sind für die Ermittlungen in den Verdachtsfällen zuständig, die die FIU als relevant einstuft und ihnen weiterleitet. Das Dokument, erst vor gut zwei Wochen erstellt, listet auf zwölf Seiten die Mängel und Versäumnisse der Zoll-Einheit auf.
- Demnach sind die Berichte der FIU, die an Polizei und Staatsanwaltschaften gehen, häufig unvollständig, fehlerhaft und insgesamt nutzlos. "Inhaltliche Analysen von Sachverhalten und Umsätzen sind kaum vorhanden", heißt es in dem Papier.
- Zudem werden eilige Fristfälle gar nicht oder erst mit erheblicher Verspätung übermittelt.
- In komplexen Fällen lässt der Zoll aus unerfindlichen Gründen immer wieder bestimmte Personen in seinen Berichten unerwähnt.
- Oft schicken die FIU-Mitarbeiter ihre Meldungen an irgendein Landeskriminalamt, ohne dass ersichtlich ist, warum dieses für den Fall zuständig sein soll.
Die bundesweite Umfrage unter den Behörden stützt die vernichtende Kritik, die im vergangenen Jahr aus dem Thüringer Landeskriminalamt verlautet war. Damals hieß es, aus dem Chaos bei der FIU sei "ein erhebliches Risiko für die innere Sicherheit" erwachsen.
"Kein Mehrwert für die polizeiliche Arbeit"
Das aktuelle BKA-Papier kommt zu dem Ergebnis, dass in der Zwischenzeit "lediglich eine leichte Verbesserung" in der Qualität der FIU-Berichte festzustellen sei. Die Mehrzahl der übersandten Analysen stelle aber "bislang keinen Mehrwert für die polizeiliche Arbeit" dar, so das BKA unter Berufung auf die Landesämter - die Arbeit Hunderter FIU-Mitarbeiter ist demnach schlichtweg wertlos für die Polizei und Staatsanwaltschaften. Auch seien die Qualitätsunterschiede der Berichte enorm, "was eine inhomogene Qualifikation der Mitarbeiter der FIU vermuten lässt".
Nach offiziellen Angaben beläuft sich das Stammpersonal der FIU derzeit auf 125 Mitarbeiter. Hinzu kommen 234 sogenannte Geschäftsaushilfen, die sowohl in der Zentrale in Köln als auch an neun weiteren Standorten im Bundesgebiet eingesetzt werden.
Auch der Zoll hat erhebliche Zweifel an der Eignung der außerhalb der Hauptstelle eingesetzten Hilfskräfte. So verfüge "der größte Teil kaum über fachspezifisches Wissen im Bereich der Geldwäschebekämpfung", steht in einer vertraulichen Analyse der FIU. Weiter heißt es: "Die Qualität der Arbeitsergebnisse ist Quelle erheblicher - berechtigter - Kritik der Strafverfolgungsbehörden." Das Bundesfinanzministerium hatte im Juli in seiner Präsentation noch von "mehr als 200 versierten Geschäftsaushilfen" gesprochen.
Die FIU will nun zusätzliches fachkundiges Personal finden, doch das ist alles andere als leicht. Die Beamten hoffen darauf, möglicherweise Mitarbeiter darbender Banken rekrutieren zu können.
Das entscheidende Problem
Die Qualifikation der Mitarbeiter ist zwar ein erhebliches, aber nicht das entscheidende Problem. Erfahrene Geldwäsche-Ermittler sehen noch eine Schwierigkeit, die sich nicht lösen lassen wird. Es geht um Daten und um die Berechtigung, sie nutzen zu können.
Anders als die Vorgängereinheit im BKA haben die Zöllner als Filterstelle zu fungieren. Das heißt, sie sollen nur die wertigen Verdachtsmeldungen an Polizei und Staatsanwaltschaften weiterleiten - alles andere müssen sie aussortieren. Das ist der vorgebliche Sinn der FIU, dafür soll es sie geben.
Doch die FIU hat bis heute keinen Zugang zu den sensiblen Datenbanken der Landeskriminalämter, in denen etwa Islamisten oder Mafiosi oder deren Kontaktpersonen gespeichert werden. Wie soll sie also wissen, welchen Hintergrund der Sender oder der Empfänger einer verdächtigen Überweisung hat? Auf welcher Grundlage sortiert sie die Meldungen der Banken in gute und schlechte? Zumal professionell operierende Terroristen oder Schwerkriminelle wohl in den seltensten Fällen heikle Transaktionen selbst tätigen. Eher ist anzunehmen, dass sie solche Bankgeschäfte Personen aus ihrem Umfeld überlassen, die bislang unbescholten sind.
"Es gab Geldwäsche-Ermittlungen", sagt der Finanzexperte der Linkspartei im Bundestag, Fabio de Masi, "bei denen es wichtig war zu wissen, ob ein Verdächtiger in der Vergangenheit einen Verkehrsunfall gehabt hat und wer daran beteiligt war. Solche Umstände kann die FIU schlichtweg nicht kennen", so de Masi. Dafür brauche es die Expertise der Kriminalpolizei. "Finanzminister Scholz betont gerne, wer Führung bei ihm bestelle, bekomme sie auch. Bei Geldwäsche und Terrorgeldern duckt er sich aber weg", kritisiert de Masi.
"Großes Desaster"
"Mein Fazit fällt vernichtend aus", sagt auch Markus Herbrand von der FDP-Bundestagsfraktion. "Die FIU benötigt aus meiner Sicht dringend Hilfe, auch aus dem politischen Betrieb. Deswegen muss auch das SPD-geführte Bundesfinanzministerium endlich mit der Wahrheit herausrücken, wie schlimm die strukturellen Defizite wirklich sind." Und Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sagt, die Lage nach der Verschiebung der FIU zum Zoll sei ein "großes Desaster". Binnen eines Jahres "ist die Bekämpfung der Geldwäsche in Deutschland zusammengebrochen", so Fiedler.
Damit die FIU effektiv tun könnte, was sie tun sollte, wäre ein automatisierter Zugriff auf die heikelsten Informationen aller Staatsschutz- und Organisierte-Kriminalität-Abteilungen der Länderpolizeien nötig. Doch den wird es nicht geben. Die Landeskriminalämter haben unlängst auf der 182. Tagung der AG Kripo den Zugriff der FIU auf kritische Dateien "aus polizeifachlichen Gründen" abgelehnt, wie es in einem Schriftstück heißt. Die Ermittler mögen ihre sensibelsten Daten nicht automatisiert von einer Stelle durchforsten lassen, die sie kaum kennen und der sie noch weniger vertrauen. "Das ist ein struktureller Webfehler und hat nichts mit angeblichen Anfangsschwierigkeiten zu tun", sagt BDK-Chef Fiedler.
Ein erfahrener Geldwäsche-Ermittler prophezeit, dass sich dieses Problem nicht lösen lassen wird: "Diese Geschichte hat kein Happy End."
Zusammengefasst: Das Chaos in der umstrittenen Geldwäsche-Spezialeinheit des Zolls ist offenbar größer als bislang bekannt. Interne Dokumente der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) und der Polizei, die dem SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk vorliegen, zeigen nun erstmals, wie desaströs die Situation wirklich ist. Hinzu kommt, dass sich ein entscheidender Konstruktionsfehler der FIU nicht beheben lassen dürfte.
Video: Schwarzgeld-Jäger - Großkontrolle des Zolls (SPIEGEL TV 2010)