Flucht aufs Gefängnisdach Sexverbrecher narrt die Polizei
Hamburg - Im Moment gibt es laut Polizei keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, M. über Gespräche zum Einlenken zu bewegen. Alle anderen Strategien würden unweigerlich die Gesundheit des 36-Jährigen gefährden, der sich zurzeit unter anderem wegen dutzendfacher Vergewaltigung und Entführung der Dresdner Schülerin Stephanie verantworten muss. "Auch wenn es fast unerträglich ist - Mario M. hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit", sagte Polizeisprecher Thomas Herbst SPIEGEL ONLINE. Und im Moment gehe von ihm keine Gefährdung für andere aus. Mario M. war bei einem Hofgang am Morgen seinen Aufpassern entwischt, hatte sich die zehn Meter hohe Fassade eines Gefängnisgebäudes mit vergitterten Fenstern hinaufgehangelt und harrt seitdem auf dem Dach aus.
Es sei unmöglich, den Bereich um das Gebäude mit Sprungtüchern zu sichern. "Das Haus ist viel zu groß, und es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie M. doch noch ungesichert springen könnte." Unbemerkt könne eine solche Aktion ohnehin nicht vonstattengehen. "Das kalkuliert er ja ein", sagte Herbst. Auch der Einsatz eines Betäubungsgewehrs komme nicht in Frage, weil auch dann die Gefahr bestünde, dass M. in die Tiefe stürzt. "All diese guten Ratschläge sind einfach nicht praktikabel." M. müsse unversehrt vom Dach gebracht werden. "Wir müssen damit leben", sagte Herbst.
Seit etlichen Stunden versuchen deswegen zwei Spezialisten vom Landeskriminalamt Sachsen, mit M. zu verhandeln. Offizielle Details zum Inhalt der Gespräche gibt es bislang nicht. Spekulationen zufolge will M. verhindern, dass Videoaufnahmen der Vergewaltigungen Stephanies im Prozess gegen ihn gezeigt werden.
"Wie kann so ein Mensch Hofgang kriegen?"
Stephanies Vater Joachim Rudolph ist außer sich vor Wut. "Wir haben darauf hingewiesen, dass dieses Schwein so gefährlich ist. Aber man hat es immer ignoriert, man hat es ignoriert, man hat es ignoriert", sagte er dem Nachrichtensender N24. "Unfassbar", schimpfte er. Schließlich hatte Mario M. bereits am Montag, dem ersten Prozesstag im Landgericht Dresden, für Tumulte im Gerichtssaal gesorgt, und konnte erst von mehreren Polizisten überwältigt werden. Dort ist der vorbestrafte Triebtäter angeklagt, Stephanie fast fünf Wochen lang eingesperrt, vergewaltigt und missbraucht zu haben.
"Wie kann so ein Mensch Hofgang kriegen?", empörte sich Joachim Rudolph. "Der müsste genauso an Fesseln im Knast sitzen, so wie er es mit der Stephanie gemacht hat. Und was macht er? Spazierengehen. Und dann kann er sich noch aufs Dach stellen und posieren. Es ist doch unglaublich!" Er kündigte an, dass seine Tochter und er morgen nicht vor Gericht erscheinen. "Ich will erstens nicht, dass meine Tochter den totalen Rückschlag kriegt." Außerdem müsse er für ihre Sicherheit jetzt selbst sorgen. "Ich kann mich hier auf niemanden mehr verlassen - es ist traurig, aber wahr."
Ob Stephanie nun zu einem späteren Zeitpunkt aussagt, ist noch unklar. Eine Gerichtssprecherin sagte, darüber, ob und in welchem Umfang das Mädchen aussagen müsse, werde die Kammer entscheiden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Sicherheit der Zeugin im Gerichtsgebäude nicht gewährleistet sei.
Justizminister räumt Panne ein
Warum Mario M. so leicht aus der Obhut der Justizvollzugsbeamten entkommen konnte, ist noch ein Rätsel. Der Leiter der Haftanstalt, Ulrich Schwarzer, hält die Sicherheitsvorkehrungen in dem Gefängnis für ausreichend. "Die Anstalt besteht ja nun seit fünf Jahren, und wir haben schon viele Gefangene gehabt, die als außergewöhnlich fluchtgefährdet galten." Dazu allerdings habe M. nicht gezählt. Der Angeklagte sei in einer besonders gesicherten Station untergebracht und stets von zwei Mitarbeitern der JVA bewacht worden, sagte der Sprecher des sächsischen Justizministeriums, Martin Marx.
Dass es allerdings tatsächlich zu einer Panne in der Haftanstalt gekommen ist, hat Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) inzwischen eingeräumt. Wer dafür zur Verantwortung gezogen wird, sagte er nicht. "Für Schuldzuweisungen ist es noch zu früh", sagte er. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) schloss personelle Konsequenzen indes nicht aus.
mit Material von AP/dpa/ddp