Flutkatastrophe im Ahrtal Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung

Dernau im Ahrtal, Rheinland-Pfalz, nach der Hochwasserkatastrophe
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Nach der Unwetterkatastrophe im Ahrtal prüft die Staatsanwaltschaft Koblenz die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Es gebe den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung, weil gar nicht oder zu spät gewarnt worden ist. Das teilte die Behörde am Montag mit.
In die Prüfung würden neben Presseberichten auch Feststellungen aus Todesermittlungsverfahren und weitere polizeiliche Hinweise einbezogen. Es lägen inzwischen auch polizeiliche Erkenntnisse zum Tod von zwölf Menschen in einer Betreuungseinrichtung in Sinzig vor, hieß es weiter. Diese würden daraufhin ausgewertet, ob sich aus ihnen der Anfangsverdacht von Straftaten ergebe.
Die Prüfung werde etwas Zeit benötigen, erklärte Oberstaatsanwalt Harald Kruse. Es wäre fatal »Menschen, die in der Katastrophennacht sicherlich schwierige Entscheidungen zu treffen hatten, auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage mit Ermittlungen zu überziehen«, erklärte er. Ermittlungen könnte umso zielgerichteter geführt werden, je fundierter der Anfangsverdacht geklärt werde.
Nach den Unwettern und dem darauffolgenden Hochwasser in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern Mitte Juli wurden inzwischen mehr als 180 Todesopfer registriert.
Die Zahl der Menschen, die im Ahrtal ihr Leben verloren haben, ist am Montag auf 138 gestiegen. Weiterhin vermisst werden 26 Bewohner, wie das Polizeipräsidium Koblenz mitteilte. Bis zum Wochenende waren 135 Menschen tot geborgen worden. Identifiziert seien bislang 106 Menschen, sagte ein Sprecher.
Voralarm hätte Leben retten können
Ein Voralarm hätte im Kreis Ahrweiler viele Hochwasseropfer verhindern können, sagt der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen Ahrweilers Landrat Jürgen Pföhler. Trotz präziser Warnungen seien die Bürgerinnen und Bürger zu spät über die Gefahren informiert worden.
Das Katastrophenschutzmanagement gehöre zur Kernfunktion jedes Kreischefs und jedes Oberbürgermeisters, so der Wissenschaftler. »Keine Bundeskanzlerin, kein Ministerpräsident ist so gut darauf vorbereitet, eine solche Krise zu bewältigen«, sagte Roselieb der »Rhein-Zeitung« .
Der Landkreis Ahrweiler wurde laut SPIEGEL-Informationen vor der Flutkatastrophe in der Nacht auf den 15. Juli präzise gewarnt, ohne jedoch rechtzeitig zu reagieren. »Viele menschliche Opfer hätten verhindert werden können«, sagt Roselieb.
Dass der Voralarm im Kreis Ahrweiler ausblieb, hält der Forscher für unerklärlich. Ihm zufolge hätte die Auslösung eines Voralarms bereits am frühen Abend des 14. Juli erfolgen können, »um Notmaßnahmen einleiten zu können«. Dies sei etwa möglich, wenn »die Pegelstände steigen und steigen, ohne dass schon was Schlimmeres passiert ist«.
Landrat Jürgen Pföhler begründete seine abwartende Haltung mit einem zwischenzeitlichen Knick in den Niederschlagsprognosen. Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) kündigte an , die Abläufe an dem Abend würden »exakt aufgearbeitet« werden.
»Alles, was möglich war, getan«
Der Einsatzleiter Heinz Wolschendorf verteidigte am Montag den Rettungseinsatz im Ahrtal. »Wir haben letztendlich alles, was möglich war, getan, um die Bevölkerung zu unterstützen und Rettungsaktionen durchzuführen«, sagte er. Wegen der Dimension des Einsatzes seien »gewisse Dinge« am Anfang aber einfach nicht zu überblicken gewesen.
15 Millionen Euro Soforthilfe
Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal sind bislang mehr als 15 Millionen Euro aus der Soforthilfe des Landes Rheinland-Pfalz an Bewohner der Region ausgezahlt worden. Wie das Statistische Landesamt am Montag weiter mitteilte, wurden bislang rund 7500 Anträge bewilligt.
1600 Anträge seien mehrfach eingereicht worden. Eine dreistellige Zahl von Anträgen werde noch bearbeitet. Als offensichtlich unbegründet sei eine mittlere zweistellige Zahl an Anträgen zurückgewiesen worden, darunter auch einige wenige, bei denen eine betrügerische Absicht zu vermuten sei, teilte die Behörde mit. Diese Fälle würden an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergegeben.
Die Soforthilfe von maximal 3500 Euro je Haushalt soll akute Notlagen finanziell überbrücken. Neben der Soforthilfe für Privatleute gibt es kurzfristige finanzielle Unterstützung auch für Unternehmen und Kommunen in dem vor fast drei Wochen von der Flutkatastrophe betroffenen Gebiet an der Ahr.