
Camp der G20-Gegner: Die Gesichter des Protests
G20-Protestcamp Die Unermüdlichen
Es war eine harte Nacht, aber letztlich haben sie dann doch noch ganz gut geschlafen. Am Montagmittag, wenige Stunden, nachdem sie von mehreren Hundertschaften der Polizei eingekesselt und mit Tränengas besprüht worden waren, vertreten sich Fanny und ihr Partner Steve am Rande des G20-Protestcamps in Hamburg-Entenwerder die Füße. "Wir haben uns einfach in eines der Versammlungszelte gelegt und dort übernachtet", sagt Fanny, eine kleine, hagere Frau mit rotem Kapuzenpullover. Sie ist für den Protest gegen Trump, Putin und die Entartungen des Kapitalismus extra aus Frankreich angereist.
Andere Aktivisten haben es ihr gleich getan, haben sich ebenfalls Unterschlupf in einem der insgesamt zehn wackligen Versammlungszelte und Pavillons gesucht und dort die kalte, windige Hamburger Nacht ausgeharrt - obwohl es nach aktuellem Rechtsstand verboten ist, in dem Camp zu schlafen. Die Demonstranten sagen, sie seien geblieben, um die bereits stehende Infrastruktur zu bewachen. "Nach den heftigen Attacken misstrauen wir der Polizei", sagt eine der Pressesprecherinnen des Camps, die sich Bex nennt. Die Beamten könnten schließlich jederzeit wiederkommen und alles einreißen.
Bis zu zehntausend G20-Gegner wollen eigentlich in dem Protestcamp auf einer Halbinsel unweit der Hamburger Elbphilharmonie unterkommen und der Welt nach eigenen Angaben vorleben, dass ein solidarischeres, gleichberechtigteres Zusammenleben möglich ist. Zudem möchten die Organisatoren all jenen eine Heimat geben, die ihren Unmut gegen die bestehende Weltordnung direkt vor den Toren des G20-Gipfels ausdrücken wollen. Doch nun geraten Polizei und Demonstrierende schon beim Aufbau des Camps aneinander.

Camp der G20-Gegner: Die Gesichter des Protests
Das Hamburger Verwaltungsgericht hat das Übernachten in dem Park in Entenwerder ausdrücklich verboten, die Protestierenden sehen dadurch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt und widersetzen sich. Der Konflikt gibt einen Vorgeschmack auf den erbitterten Machtkampf, den Polizisten und Protestierende in den kommenden Tagen auf Hamburgs Straßen ausfechten dürften.
Am Sonntag hatte es zunächst ein Verwirrspiel gegeben. Am Nachmittag ließ die Polizei die Demonstranten stundenlang gar nicht auf die Grünfläche, auf der sie ihr Protestcamp errichten wollten. Daraufhin begannen manche Aktivisten, direkt vor der Polizeisperre zu campieren. Gegen 19.45 Uhr durften die Protestierenden dann doch noch auf das vorgesehene Gelände. Doch zum Einbruch der Dunkelheit kesselten mehrere Hundertschaften die Demonstranten ein und rissen nach mehreren Vorwarnungen unter Einsatz von Tränengas elf Schlafzelte wieder ab.
"Die Polizisten knickten mir das Handgelenk ab, zerrten mich aus meinem Zelt und nahmen meine Personalien auf", berichtet ein junger Mann mit Che-Guevara-Bart, der sich Marco nennt. "Wenig später ließen sie mich wieder frei. Mein Zelt nahmen sie mit."

G20-Gipfel in Hamburg: Polizei räumt Protestcamp in Entenwerder
Am Tag nach der Räumungsaktion herrschen im Protestcamp gleichzeitig Alarmismus und geschäftiger Alltag. Manche Demonstranten errichten neue Zelte, andere schließen Solarzellen an, wieder andere schlagen Pflöcke in den Boden und hängen daran Protestbanner auf. "We are here, and we will camp" steht auf einem zu lesen.
Jogger und Polizeihubschrauber
Das Camp ist in mehrere sogenannte barrios geteilt - was auf Deutsch Stadtviertel heißt und größenordnungstechnisch recht schmeichelhaft ist. Schließlich stehen bis jetzt nur zehn Zelte, und praktisch jedes davon ist ein eigenes barrio. Das armeefarbene Zelt zum Beispiel ist das barrio der Queer- und Feministenszene, das schwarze Zelt mit den bunten Lampions das Reich der Klimaschützer.
Über den paar Zelten und ihren vielleicht 50 Demonstranten kreist regelmäßig ein Polizeihubschrauber. Auf dem Sandweg neben der Protestwiese müssen sich verblüffte Jogger und Radfahrer um eine Polizeipatrouille herumschlängeln, die die Demonstranten gerade darauf hinweist, dass sie zwar Versammlungszelte aufstellen dürfen, aber keine Pavillons.
"So viel Aufwand wegen der paar Zelte", sagt ein Protestler mit buntem Ringelpullover, schwarzer Totenkopf-Krawatte und Clownsnase, der sich Marcel nennt. "Es ist eigentlich ein Witz. Nur leider ist es überhaupt nicht witzig."
Ultimatum an die Polizei
Tatsächlich hat der überdimensioniert wirkende Polizeieinsatz wohl System. Taktik der Polizei scheint zu sein, alle Formen nichtgenehmigten Protests im Keim zu ersticken. Bislang hat sie damit offenbar Erfolg. "Ich bin mit Vertretern von Hunderten Demonstranten im Gespräch, die eigentlich längst angereist sein wollten, nun aber verunsichert sind, wo sie unterkommen", sagt Protestcamp-Sprecherin Bex.
Einschüchtern lassen wollen sich die Demonstranten aber auch nicht. "Wir werden uns unseren Schlafraum nehmen", sagt Frank, ein muskulöser Mann, der ein Sicherheitsschloss als Ohrring trägt. Tatsächlich haben die Camp-Aktivisten der Polizei eine Art Ultimatum gestellt. Auf der linksautonomen Plattform Indymedia kursiert ein Aufruf, überall in Hamburg öffentliche Plätze mit Zelten zu besetzen, falls die Polizei bis Dienstag 10 Uhr kein Schlafcamp genehmigt.
Ob sich diese davon beeindrucken lässt, bleibt abzuwarten. "Der Aufruf ist uns bekannt", sagt ein Polizeisprecher. "Derzeit wird bewertet, ob Maßnahmen dagegen eingeleitet werden oder nicht." Auch in der kommenden Nacht dürften wieder G20-Gegner im Camp ausharren. Und die Polizei könnte erneut einschreiten.
Ein Windstoß fegt durch das Camp und reißt das "We are here, we will camp"-Banner herunter. Mehrere Demonstranten heben es auf und kleben es wieder an einem der Zelte fest. So wie dem Transparent scheint es derzeit mit dem ganzen Camp zu sein: Trotz aller Bemühungen seiner Bewohner, bleibt es bislang ein fragiles Gebilde.