LKA gegen BKA im NSU-Ausschuss Schlampereien, Lügen, Gedächtnislücken

Premiere im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss: Ein LKA- und ein BKA-Ermittler mussten bei einer Gegenüberstellung aussagen. Es ging um eine Liste mit Kontakten des NSU-Terrortrios, die nie ausgewertet wurde. Welcher der beiden ist daran schuld, wer lügt?
Ein Ausschuss, zwei Zeugen: LKA- und BKA-Beamte zeitgleich befragt

Ein Ausschuss, zwei Zeugen: LKA- und BKA-Beamte zeitgleich befragt

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Berlin - Gegenüberstellungen in Untersuchungsausschüssen haben hohen Seltenheitswert. Aber auch hohen Unterhaltungswert, wie man am Freitag im Bundestag erleben durfte. Denn wenn zwei Personen das komplette Gegenteil zum selben Sachverhalt behaupten, ist klar: Einer von beiden sagt die Unwahrheit.

Nun kam es im Berliner Ausschuss, der das Scheitern der Sicherheitsbehörden im Fall der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) aufarbeiten soll, zum Zusammentreffen zweier Ermittler. Geladen waren ein Beamter des Thüringer Landeskriminalamts (LKA) und ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA).

Es ging um eine Liste, auf der die Rechtsterroristen mehr als 30 Adressen und Telefonnummern von Neonazis notiert hatten - aus Jena, aber unter anderem auch aus Hamburg, Nürnberg, Ludwigsburg und Chemnitz. Einige von ihnen haben dem Nazi-Trio nachweislich bei der Flucht und in der Zeit der Illegalität geholfen. Das Papier wurde am 26. Januar 1998 bei der Durchsuchung eines Garagenkomplexes in Jena sichergestellt, am Tag der Razzia tauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter, zwei Tage später wurde Haftbefehl gegen sie erlassen.

Doch die Liste, die die Zielfahnder womöglich zu den Dreien hätte führen können, verschwand im Ermittlungs-Nirvana. Das BKA verließ sich bei der Auswertung angeblich auf das LKA - und umgekehrt. Wer dafür die Verantwortung trägt, darum ging es bei der Gegenüberstellung in der 57. Sitzung des Untersuchungsausschusses.

"Es ist nicht so gelaufen, wie es hätte laufen müssen"

Auf der einen Seite saß Jürgen Dressler vom LKA, damals Leiter der Ermittlungsgruppe Terrorismus/Extremismus, ein kompakter Mann mit türkisfarbenem Hemd und Brille. Auf der anderen: Michael Brümmendorf vom BKA, damals Mitarbeiter beim Staatsschutz. Ein Beamter mit grauen, im Nacken dichten, längeren Haaren. Er war damals mit zwei Kollegen nach Jena gefahren, um die Arbeit des LKA zu unterstützen.

So weit, so deckungsgleich die Angaben der beiden Ermittler. Große Diskrepanz herrschte bei der Beantwortung der Frage: Wusste das Thüringer Landeskriminalamt von der Liste in der Garage? Brümmendorf sagt: Ja. Dressler sagt: Er könne sich an den Fund der Liste nicht erinnern, ihre Auswertung habe er nicht veranlasst.

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) rang nach Worten. Es sei doch naheliegend, wenn man in den Unterlagen von flüchtigen Personen eine Adressenliste finde, dass diese ein "erstklassiger Aufhänger für die Suche" sei? "Da haben Sie recht", sagte Dressler. "Es ist offensichtlich nicht so gelaufen, wie es hätte laufen müssen."

Telefonat vor der Ausschusssitzung

Brümmendorfs Erinnerungen sind erstaunlich präzise: So will er die Liste dem LKA-Kollegen gezeigt und sich vergewissert haben, dass sich dieser darum kümmere. Dieser habe schließlich die sechs Personen aus Jena, die aufgeführt waren, aus vorherigen Ermittlungen gekannt. Er habe Dressler noch gefragt, wo er das untergetauchte Trio vermute. In Jena, habe Dressler geantwortet. Und dass die drei mit Hilfe von Kameraden Unterschlupf gefunden hätten.

Für Brümmendorf sei klar gewesen: Da er die "individuellen Beziehungen" nicht gekannt habe, sei die Überprüfung der Namen auf der Liste Sache des zuständigen Sachleiters - also Dressler. Das habe er ihm so mitgeteilt. "Das ist meine feste Überzeugung."

Dressler zeigte sich erstaunt. Hatte er doch bei Brümmendorf angerufen, noch bevor sie vor einer Woche erstmals vom Ausschuss befragt wurden, da noch getrennt voneinander. Nicht um sich abzusprechen, wie er sagte, nur um sich zu vergewissern, was es mit dieser verschlampten Liste auf sich habe. Brümmendorf habe ihm am Telefon gesagt: Auch er verstehe die derzeitige Aufregung nicht.

Und nun das. Dressler konnte sich weder an die Unterhaltung von 1998 erinnern noch daran, unter welchen Umständen die Liste in den Akten landete, räumte aber ein: "Die Liste hätte Fahndungsansätze geboten."

So gut sich Brümmendorf an den Austausch mit dem LKA-Kollegen vor 15 Jahren erinnerte, so eingetrübt war sein Erinnerungsvermögen in Bezug auf das Telefonat mit Dressler vor wenigen Wochen. "An das Gespräch kann ich mich nicht so gut erinnern", sagte er.

SPD-Obfrau Eva Högl verwunderte dieses Gedächtnisphänomen, sie fragte Brümmendorf ganz direkt: Ob es sein könne, dass er sich seine detaillierte Ausführung von 1998 im Nachhinein zurechtgelegt habe, "um uns weiszumachen, Sie hätten damals korrekt gearbeitet?" Er habe "Aktenstudium betrieben", dabei sei die Erinnerung zurückgekehrt, wehrte sich dieser.

Notiz wäre Volltreffer gewesen

CDU-Obmann Clemens Binninger knöpfte sich den BKA-Mann vor: "Ihre Aufgabe war es doch, die Asservate nach Fahndungsansätzen auszuwerten." Dass sich Brümmendorf bei den Kameraden aus Jena, die auf der Liste standen, zurückhalten wollte, könne er verstehen.

"Aber für all die anderen Adressen, bundesweit, sind Sie als BKA doch da. Das wäre ein Volltreffer gewesen", sagte Binninger. Zumal Brümmendorf gar eine Notiz machte: "Thomas S.s Unterschlupf?" Damit traf er - wie man inzwischen weiß - ins Schwarze: Bei Thomas S. aus Chemnitz kam das Trio nach seiner Flucht aus Jena unter.

Brümmendorf will die Liste mit einem Vermerk versehen und an das LKA weitergeleitet haben. Dass die Liste überprüfungswürdig war, erwähnte er offenbar nicht. "Warum nicht? Das wäre professionelle Arbeit gewesen", sagte Binninger.

Doch von Professionalität war man damals weit entfernt: Brümmendorf informierte weder andere Landeskriminalämter noch die Zielfahndung und schon gar nicht den Staatsschutz von der Liste. Er habe auf die Absprache mit Dressler vertraut, dass dieser als Verfahrensführer die Auswertung übernehme.

Die Liste hatte erst am Donnerstag für Zündstoff im Ausschuss gesorgt. Unerwartet war eine aktualisierte Fassung der Aufstellung aufgetaucht - und zwar in den Dokumenten, die das Innenministerium und der Generalbundesanwalt zur Vorbereitung für die Gegenüberstellung zusammengestellt hatten.

Das Fazit der Gegenüberstellung, die letztendlich keine Erkenntnis brachte, fasste Eva Högl zusammen: Dieses "Schwarze-Peter-Spiel" begleite das Gremium seit einem Jahr. Keiner wolle die Verantwortung übernehmen, keiner Fehler einräumen. "Sie hätten heute die Gelegenheit dazu gehabt", wandte sie sich an die zwei Zeugen. Denn dass beide Fehler gemacht hätten, sei "sonnenklar".

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