Geldwäsche-Spezialeinheit Die unerträgliche Langsamkeit des Zolls

Zollbeamter (Archivfoto)
Foto: imago/ HartenfelserDer Geschäftsmann aus dem Norden Deutschlands schuldet dem Staat viel Geld. Fast 400.000 Euro bekommt das Finanzamt noch von ihm, doch angeblich kann Martin R.* diese Summe nicht aufbringen. Allerdings geht an einem Sommertag 2017 auf seinem Privatkonto plötzlich eine halbe Million Euro ein - die Bank schickt umgehend eine sogenannte Geldwäsche-Verdachtsmeldung an den Zoll. Jetzt wäre die Gelegenheit, das Geld zu pfänden. Doch der Zoll schweigt.
Die Sparkasse meldet sich erneut und bittet die Zöllner dringend um Klärung, was mit dem Geld geschehen soll. Die Bank weiß inzwischen, dass R. es weiter transferieren will. Doch es geschieht immer noch nichts. Mehr als drei Wochen später, als das Geld längst weg ist, meldet eine Zöllnerin den Fall dem Landeskriminalamt (LKA), das umgehend Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft informiert. Vergeblich. Der Staat hatte seine Chance - und hat sie verstreichen lassen.
In einem vertraulichen Papier, das dem SPIEGEL und dem Bayerischen Rundfunk vorliegt, empören sich die Ermittler des LKA hinterher nicht nur über die unerträgliche Langsamkeit des Zolls. Auch der Bericht der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) im Zoll, den sie in diesem eiligen Fall nach Wochen endlich erhalten hätten, sei voller Schreibfehler, unvollständiger Sätze und inhaltlicher Ungereimtheiten gewesen. In Schulnoten ausgedrückt sagt das LKA über den Zoll: sechs, setzen!
"Zeitliche Verzögerung"
Der Fall aus dem Norden ist Teil einer mehr als umfangreichen Sammlung, die Landeskriminalämter überall in der Republik in den vergangenen Monaten erstellt haben. Das Bild ist eindeutig: Die FIU des Zolls, die der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im vergangenen Sommer nicht nur gegen die Bedenken vieler Fachleute eingerichtet, sondern auch als das Nonplusultra der Geldwäschebekämpfung dargestellt hatte, ist zu einem gewaltigen Sicherheitsrisiko geworden. Manche Beamte sprechen sogar von einem "Fiasko".
Als besonders beunruhigend muss dabei erscheinen, dass der Zoll auch in Fällen, in denen es um die Finanzierung von Terrororganisationen gehen könnte, wohl eklatante Fehler gemacht hat. So meldete die FIU nach Recherchen des SPIEGEL und des Bayerischen Rundfunks erst Anfang Juli zwei Verdachtsfälle mit Terrorbezug an das LKA Berlin, obwohl diese bereits ein Jahr zuvor beim Zoll eingegangen waren. Ein Fall galt sogar als besonders eilig. Das LKA Berlin bestätigte den Vorgang auf Anfrage. Es lägen zudem weitere Verdachtsmeldungen wegen Terrorfinanzierung vor, die der Zoll "mit zeitlicher Verzögerung" übersandt habe, so ein Berliner Behördensprecher.
Auch die Landeskriminalämter Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen teilten mit, die FIU habe ihnen Verdachtsmeldungen verzögert übermittelt. Aus Hannover verlautete, darunter seien auch Fälle gewesen, in denen es um Terrorismusfinanzierung gegangen sei. "Eine schnellere Bearbeitung seitens der FIU wäre wünschenswert gewesen." Das LKA Sachsen-Anhalt wiederum bekam 2018 nach eigenen Angaben zwölf eilige Fälle von der FIU vorgelegt - neun davon allerdings erst, nachdem die Frist zur Bearbeitung schon verstrichen war.
"Es kann nicht sein, dass wegen des internen Chaos beim Zoll wichtige Fälle unbearbeitet liegen bleiben", kritisiert die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus. "Das ist eine tickende Zeitbombe. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns das um die Ohren fliegt." Auch ein seit vielen Jahren mit Wirtschaftskriminalität befasster Staatsanwalt sagt: "Ich möchte nicht in der Haut der Kollegen vom Zoll stecken, wenn sie die entscheidende Transaktion an ein Terrorkommando übersehen oder zu spät bearbeitet haben."
Auf Anfrage teilt die FIU mit, es sei sichergestellt, dass jeder Sachverhalt bewertet werde, um Eilbedürftiges und Fälle möglicher Terrorismusfinanzierung prioritär und unverzüglich zu bearbeiten. Anlaufschwierigkeiten, die die Bearbeitung zunächst beeinträchtigt hätten, "liegen nun hinter der FIU".
Informationsaustausch nur per Fax
Das Chaos ist hausgemacht, politisch herbeigeführt. Die FIU war mit ihrer Aufgabe vom ersten Moment an überfordert. Finanzminister Schäuble hatte zwar versprochen, der Zoll könne die Arbeit besser und schlagkräftiger erledigen als das Bundeskriminalamt, bei dem die Spezialeinheit vorher angesiedelt war. Doch das erwies sich als ebenso dreiste wie falsche Behauptung.
Binnen kürzester Zeit stauten sich beim Zoll in Köln Zehntausende Hinweise auf verdächtige Transaktionen, die vor allem Banken gegeben hatten. Die Geldinstitute sind dazu verpflichtet, auffällige Kontobewegungen zu melden. Der Zoll sprach damals von "unvorhergesehenen Dysfunktionalitäten" in der Bearbeitung der Meldungen, dabei hatten Fachleute schon im Vorfeld vor genau diesen Problemen gewarnt. Kripo-Gewerkschafter Sebastian Fiedler etwa hatte "massive Verschlechterungen in der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" prognostiziert - und lag damit richtig.
Neben der desaströsen personellen Ausstattung erwies sich zunächst die IT des Zolls als Problem. Die Banken mussten ihre Verdachtsmeldungen per Fax übermitteln. Und auch wenn sich die Verbindung zwischen Banken und FIU inzwischen modernisiert hat, kommuniziert die FIU etwa mit den Strafverfolgern in Nordrhein-Westfalen noch immer per Fax. Hunderte Seiten Zollmeldungen rattern den Staatsanwälten jeden Tag ins Büro, eine Schnittstelle zwischen den IT-Systemen von Zoll und Justiz gibt es nicht: Strafverfolgung im 21. Jahrhundert in einem der reichsten Länder der Welt.
Hinzu kommen weitere Geburtsfehler der FIU. Und die wiegen noch schwerer. Anders als die Vorgängereinheit im BKA haben die Zöllner als Filterstelle zu fungieren, das heißt, sie sollen nur die wertigen Verdachtsmeldungen an Polizei und Staatsanwaltschaften weiterleiten - alles andere müssen sie aussortieren.
"Die FIU ist blind und taub"
Doch nicht nur, dass die Mitarbeiter der FIU kaum über kriminalistische Expertise verfügen. Sie haben auch bis heute keinen Zugang zu den wichtigen Datenbanken der Landeskriminalämter, in denen etwa Gefährder oder Mafiosi gespeichert werden. Wie sollen sie also wissen, welchen Hintergrund der Sender oder Empfänger einer verdächtigen Summe hat? Auf welcher Grundlage sortieren sie die Meldungen der Banken in gute und schlechte?
"Die FIU ist blind und taub", sagt ein leitender Geldwäsche-Ermittler. "Das ist schon schlimm. Was es noch schlimmer macht: Sie glaubt leider, sie könne sehen und hören, und trifft daher weitreichende Entscheidungen." Auch Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei sagt, es sei der "zentrale Fehler", dass die FIU "zu wenig Daten" habe, "mit denen sie auswerten, bewerten und analysieren kann, eine unzureichende IT, einen viel zu behäbigen Workflow" und zu wenig Fachpersonal.
Bereits im Frühjahr hatte das Thüringer Landeskriminalamt (LKA) in einer Stellungnahme für den Bundestag die Arbeit der FIU in ungewöhnlicher Schärfe als mangelhaft bezeichnet. Der fehlende Zugang zu Polizeidatenbanken hindere die Zöllner daran, "eilbedürftige Sachverhalte" zu erkennen, etwa Vorgänge "mit einem möglichen terroristischen Zusammenhang". Insgesamt sei aus dem FIU-Rückstau in der Bearbeitung von Verdachtsanzeigen "ein erhebliches Risiko für die innere Sicherheit" erwachsen, befand das LKA. Das war die größtmögliche Schelte, die eine Sicherheitsbehörde öffentlich einer anderen erteilen konnte.
Standardhinweise mit Textbausteinen
Seitdem versucht der Zoll verzweifelt, sowohl die FIU in die Spur zu bringen als auch die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zurückzuerlangen. Als Befreiungsschlag sollte dabei dienen, dass man Personal aufstockte, den bisherigen Leiter der FIU abberief und einen neuen Chef benannte. Doch ehe der seine Stelle überhaupt antreten konnte, lud das Finanzministerium zum Pressetermin: Es habe Anlaufschwierigkeiten gegeben, hieß es da, doch die habe man inzwischen beseitigt. Alle Altfälle seien erledigt worden. Nun könne die FIU durchstarten.
Doch die vermeintlich guten Nachrichten aus dem Finanzressort von Olaf Scholz (SPD) überzeugen nicht. "Ein Arzt in der Notaufnahme, der nach einem Jahr alle Patienten mit Totenschein entlässt, ohne sie behandelt zu haben, würde das wohl kaum als Erfolg feiern", empört sich der linke Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi. "Der Finanzminister tut das aber."
Auch Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ist skeptisch. "Die sogenannten Altfälle, die nichts anderes waren als über Monate liegen gelassene Verdachtsmeldungen, wurden einfach mit Textbausteinen versehen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet." Jetzt lägen sie dort zum großen Teil unbearbeitet, weil kein LKA diese Menge in der Kürze der Zeit bewältigen könne.
"Die FIU hat den schwarzen Peter weitergegeben und verkauft das nun als Erfolg", sagt Fiedler. Außerdem verschweige sie, dass sich längst eine neue Halde von 20.000 bis 30.000 Meldungen aufgetürmt habe. Überhaupt liege das größte Problem darin, dass das Bundesfinanzministerium und der Zoll es weiterhin mit der Wahrheit nicht so genau nähmen und die echten Probleme verdeckten, so Fiedler.
Deutschland, Oase der Geldwäscher
Wenn man bei frustrierten Ermittlern Einblick nimmt in Dutzende Vorgänge, die sie etwa an einem Montag im Juli von der FIU erhalten, bestätigt sich diese Darstellung. Tatsächlich leitet der Zoll offenbar mit einigen Monaten Verspätung die Verdachtsmeldungen der Banken einfach an die Strafverfolger weiter - ohne dass irgendeine Form der Analyse erkennbar wäre, wie sie die FIU doch eigentlich leisten soll: Das zweiseitige Anschreiben ist fast immer gleich, es folgt die veraltete Meldung der Bank und damit hat es sich dann. Den Rest sollen offenbar Polizei und Staatsanwaltschaften erledigen.
Dabei wären handlungsfähige Behörden im Kampf gegen schmutziges Geld dringend nötig, gilt die Bundesrepublik doch als Oase für Geldwäscher. Der Strafrechtler Kai Bussmann kam in einer Studie für die Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass jährlich etwa hundert Milliarden Euro, die aus Verbrechen stammen, in der Bundesrepublik angelegt werden. Für bis zu 20 Milliarden Euro kauften Kriminelle oder ihre Handlanger jedes Jahr Immobilien in Deutschland, so Bussmann. Banken, aber unter anderem auch Anwälte, Notare oder Makler sind verpflichtet, auffällige Geschäfte zu melden.
In 2016 erhielt die Polizei insgesamt knapp 41.000 entsprechende Hinweise - fast alle stammten von Banken. Denn Immobilienmakler, Juweliere oder Autohändler melden verdächtige Käufe so gut wie nie. Dabei sind sie massiv von dem Problem betroffen: Ein Grund dafür, dass sehr viel kriminelles Geld nach Deutschland fließt, ist die Möglichkeit, hierzulande enorme Bargeldgeschäfte tätigen zu können. In zahlreichen anderen Ländern der Europäischen Union geht das nicht mehr.
"Deutschland bleibt Gangster's Paradise", sagt der Abgeordnete de Masi. Es brauche neben leistungsfähigen Geldwäschebekämpfern endlich auch die Möglichkeit, Vermögen krimineller Clans abzuschöpfen. "Sie sollten wie in Italien gezwungen werden, die Herkunft ihres Geldes zu offenbaren", so de Masi. Auch benötige Deutschland Transparenz bei den wahren Eigentümern von Briefkastenfirmen und ein EU-weit verknüpftes Immobilienregister.
Der Geschäftsmann aus Norddeutschland, dessen Fall der Zoll verpennt hat, schuldet dem Staat übrigens weiterhin Hunderttausende Euro. Seinen Lebenswandel scheinen die enormen Verpflichtungen nicht zu beeinträchtigen. Es soll ihm dort, wo viele deutsche Millionäre die Seeluft genießen, sehr gut gehen.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert
Zusammengefasst: An der Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls gibt es massive Kritik. Ermittler und andere Beamte sprechen von einem Fiasko, die FIU sei "blind und taub". Als wichtiges Instrument im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismus gedacht, ist die früher beim Bundeskriminalamt angesiedelte Einheit seit ihrer Einrichtung beim Zoll ein großes Sicherheitsrisiko geworden. Verdachtsfälle nach Hinweisen von Banken bleiben zu lange unbearbeitet, Ausstattung mit Personal und IT ist unzureichend, Zugang zu wichtigen Datenbanken der Landeskriminalämter (LKA) gibt es nicht. Oft werden Polizei und Staatsanwaltschaften zu spät informiert - und wenn, können Ermittler mit den Informationen wenig anfangen.
Video: Schwarzgeld-Jäger - Großkontrolle des Zolls (SPIEGEL TV 2010)