
Terror-Trio aus Thüringen: Waffen für das Leben im Untergrund
Geplante Untergrund-Aktionen Neonazi soll schon 1998 Waffen für Terror-Trio besorgt haben
Hamburg - Bei der Einschätzung des thüringischen Neonazi-Trios hat nach Informationen des SPIEGEL offenbar auch die Justiz schwere Fehler gemacht. So war die Staatsanwaltschaft Gera 1998 nach einer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den untergetauchten Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nur um "ein loses Geflecht von Einzeltätern" handle, die "Straftaten weder für noch im Namen bestimmter Gruppierungen oder gar einer eigens gegründeten Gruppierung" begingen.
Die Ermittlungsbehörde sah keinen Anlass, ein Verfahren wegen "Bildung einer terroristischen Vereinigung" einzuleiten. Am 4. März 1999 übermittelte das Bundeskriminalamt diese Einschätzung auch an die Bundesanwaltschaft, die sich der Bewertung aus Gera anschloss und ebenfalls keinen Anlass sah, die Ermittlungen wegen Terrorverdachts an sich zu ziehen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, Thomas Oppermann, sieht darin ein eklatantes Versagen. "Der Staat hat den Rechtsextremismus fundamental unterschätzt", so Oppermann. "Mit einer solchen Haltung kann man nicht erkennen, was man sieht."
Dabei hatten die Sicherheitsbehörden nach Informationen des SPIEGEL bereits 1998 konkrete Hinweise darauf, dass sich das thüringische Trio im Untergrund bewaffnen wollte. So schickte der Brandenburger Verfassungsschutz im September 1998 mehrere Meldungen nach Sachsen, Thüringen und an das Bundesamt für Verfassungsschutz, wonach der V-Mann "Piatto" berichtet habe, dass ein sächsischer Neonazi gerade dabei sei, Waffen für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu beschaffen. Mit den Waffen habe das Trio "weitere Überfälle" begehen wollen; zudem hätte man erwogen, sich mit "geliehenen" Pässen abzusetzen.
3800 Euro bar in der Tasche, Urlaub auf Fehmarn
Unterdessen werden neue Ermittlungsdetails bekannt: So ist es den Fahndern gelungen, eine zweite DVD des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) in Teilen lesbar zu machen, die in den Trümmern von Zwickau gefunden worden und mit "Fortsetzung" betitelt war. Der Datenträger enthält aber offenbar keine neuen Bekenntnisse, sondern lediglich Mitschnitte von TV-Sendungen, die über die Mordserie an neun Einwanderern berichtet hatten.
Bei dem Beschuldigten André E., der am vergangenen Donnerstag festgenommen wurde, fanden die Ermittler 3800 Euro. Außerdem gehen Polizei und Staatsanwaltschaft Hinweisen nach, wonach die drei Neonazis regelmäßig Sommerurlaub gemacht hätten - etwa auf der Ostseeinsel Fehmarn.
Zudem gibt es einen Hinweis, wonach Beate Zschäpe sehr wahrscheinlich an einer Demonstration des "Freien Netzes" unter dem Motto "Die Revolution ist machbar, Herr Nachbar" am 3. Oktober 2008 im sächsischen Geithain teilgenommen habe. Am Tag der Deutschen Einheit marschierten etwa 200 Neonazis durch die Stadt bei Leipzig. Hinter einem der Transparente lief eine junge Frau mit Kopftuch und Sonnenbrille, die laut "Bild am Sonntag" Zschäpe sein soll.
Die Szene dokumentierte ein Leipziger Pressefotograf, der an diesem Tag für eine Regionalzeitung im Einsatz war und bei dem zwei Tage nach der Demonstration eingebrochen wurde, wie die "Bild am Sonntag" berichtet. Die Datenträger mit den Fotos von der Nazi-Demo wurden demnach gestohlen, doch der Fotograf hatte das Bild, das Zschäpe zeigen soll, bereits verschickt.
Sollte die Frau auf dem Foto tatsächlich Beate Zschäpe sein, wäre dies ein weiterer Beleg dafür, wie unbehelligt sich das Trio in aller Öffentlichkeit bewegt hat.
Laut "Bild am Sonntag" sind die Ermittler im Fall der Zwickauer Terrorzelle außerdem über den Verbleib von gut 38 Kilogramm Sprengstoff TNT beunruhigt, der 1991 aus einem Bundeswehr-Munitionsdepot nahe dem thüringischen Großeutersdorf gestohlen wurde. Die Fahnder hätten mittlerweile herausgefunden, dass die Rohrbomben, die 1998 in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage gefunden wurden, mit dem TNT aus dem Bundeswehrdepot gebaut wurden. Die Ermittler befürchteten jetzt, dass auch der Rest des Sprengstoffs in den Händen von Neonazis sein könnte. Derzeit überprüfe die Bundesanwaltschaft, ob der Nagelbomben-Anschlag des Terror-Trios im Juni 2004 in Köln ebenfalls mit diesem Sprengstoff verübt wurde.
Friedrich gegen "Abschalten von V-Leuten"
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat vor dem Scheitern eines neuen NPD-Verbotsverfahrens gewarnt. "Das wäre eine Katastrophe. Die NPD würde triumphieren. Das will ich nicht", sagte Friedrich der "Welt am Sonntag". Ein erster Verbotsantrag war 2003 vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen worden, weil zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes in der rechtsextremistischen Partei waren.
Friedrich betonte den Wert von Informanten in der rechten Szene. "Ich bin sehr vorsichtig, was das Abschalten von V-Leuten angeht", sagte er. "Wir haben Leute bei der NPD, die gleichzeitig V-Leute in der Neonazi-Szene sind. Wenn wir alle Informanten aus der NPD abziehen, verlieren wir den Einblick in die Neonazi-Szene." Der Minister betonte: "Wir brauchen einen Einblick in diese Szene, sonst wären wir auf dem rechten Auge blind."
Friedrich verwies darauf, dass es nach bisherigen Erkenntnissen keine direkte Verbindung zwischen der Zwickauer Neonazi-Zelle und der NPD gibt. "In der Neonazi-Szene gibt es etliche, die Mitglied der NPD sind oder ihr nahestehen. Aber eine direkte Verflechtung zwischen der NSU und der NPD ist mir bisher nicht bekannt", sagte er.