Gerichtsposse um falschen Renoir Ein Bild von einem Bild

Verschwundenes Bild auf dem Handy der Sachverständigen: "Der Fall ist klar"
Foto: dapdDie Frau, auf die es am Freitagmorgen in Saal 136 ankommt, heißt Mayme Neher-Fritzen und ist Kunsthistorikerin. Sie führt einen Doktortitel und trägt eine fliederfarbene Jacke zu einem grauen Wollrock. Ihre Beine hat sie elegant übereinandergeschlagen, die Hände in den Schoß gelegt, sie sieht ziemlich gelassen aus und sagt, es geht gegen 11, mit ruhiger Stimme: "Der Fall ist klar."
Rechts von ihr, vielleicht zwei Meter entfernt, empört sich nun wortreich der Mann, der von sich eigentlich nichts preisgeben möchte, aber doch einen öffentlichen Prozess angestrengt hat: Sinisa S., ein stämmiger Typ mit Doppelkinn und Stahlrahmenbrille, hat laut Gericht vor Jahren versucht, in Deutschland eine angebliche Renoir-Zeichnung zu verkaufen. Doch der Notar, an den er sich zu diesem Zweck damals wandte, alarmierte die Staatsanwaltschaft. Das Geschäft war ihm nicht geheuer.
Die Ermittler beschlagnahmten daraufhin das 49,5 mal 33,5 Zentimeter große "Mädchen mit Orange", der Kroate Sinisa S. musste in Untersuchungshaft. Nach einiger Zeit belangten die Behörden ihn wohl wegen Steuerhinterziehung. Irgendwann forderte er sein Eigentum zurück, das Problem war nur: Das Bild war weg. Die Aufregung unter den Beamten muss gewaltig gewesen sein, eine interne Ermittlung lief an, doch es half nichts, die Zeichnung blieb verschwunden.
32 Millionen Euro Schadensersatz
Vielleicht witterte Sinisa S. in diesem Augenblick die Möglichkeit, doch noch ein Geschäft zu machen. Er verklagte nämlich das Land Nordrhein-Westfalen, für den Fehler der Behörde zu haften, und verlangte stattliche 32 Millionen Euro vom Staat. Und wenn man den Ausführungen der Gutachterin Neher-Fritzen vor dem Landgericht Dortmund folgt, war das nicht nur gewagt, sondern auch ausgesprochen dreist, womöglich sogar unverschämt.
Denn die Expertin, die für die 25. Zivilkammer beurteilen soll, ob der verschwundene Renoir echt war, lässt in ihrem souveränen Vortrag nicht den Hauch eines Zweifels: Das Bild ist ein Nachdruck, ein Faksimile. Selbst in gutem Zustand wäre diese Kopie höchstens 80 Euro wert, aber da sie offenbar Stockflecken aufweise, sei sie eigentlich Ramsch. Frau Doktor klingt ein bisschen so, als werde sie gefragt, ob es sich bei einem abgenutzten Bobby-Car nicht doch um einen nagelneuen Ferrari handeln könnte.
Neher-Fritzen, und das versucht der Anwalt von Sinisa S. sogleich für seine Zwecke zu nutzen, hat das betreffende Bild nie gesehen, es ist ja verschwunden. Ihr Gutachten gründet auf mehreren Fotos, die im April 2005 der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Kunsthistoriker Frank Petersmann gemacht hat. S. allerdings bestreitet, dass diese Aufnahmen seinen "Renoir" zeigen.
Doch Petersmann, ebenfalls vor Gericht als Zeuge auftretend, versichert am Vormittag, er habe bei der Staatsanwaltschaft Essen im Beisein von zwei Beamten genau diese Bilder aufgenommen. Er könne sich noch gut daran erinnern, weil ihm an der Pforte der Behörde zunächst seine Digitalkamera abgenommen worden sei und einer der Staatsanwälte sie später habe holen müssen.
"Hatten Sie schon einmal einen Renoir in der Hand?"
Der Anwalt des Klägers S. indes, eine Modellausgabe des vermeintlichen Erfolgsjuristen samt Seitenscheitel, Nickelbrille und Manschettenknöpfen, scheint eine Chance zu wittern. Mit großer Geste sammelt er sich, lässt seine Hände durch die Luft flattern und fragt den Zeugen dann eine Spur zu effektheischend: "Hatten Sie schon einmal einen Renoir in der Hand, einen echten?" Und Petersmann sagt trocken: "Ja, sehr regelmäßig."
Der Anwalt schweigt.
Also versucht es Sinisa S. selbst und feuert gleich mehrere Fragen ab, die letzte lautet: "Wie viele Pixel braucht eine Kamera, um damit ein Kunstwerk zu fotografieren? Wenn Sie es nicht wissen, kann ich es Ihnen gerne sagen." Doch die Vorsitzende Richterin geht dazwischen: Der Zeuge solle nur erklären, ob die Fotos in der Akte das umstrittene Bild zeigten. Alles andere sei Sache der vom Gericht bestellten Sachverständigen.
Und die macht es kurz: Die Qualität der Fotos genüge vollkommen, um den Prägestempel der Marées-Gesellschaft eindeutig zu erkennen, so Neher-Fritzen. "Da bin ich mir ganz sicher." Dieser Verein habe Anfang des 20. Jahrhunderts Werke des französischen Impressionisten Renoir nachgedruckt und in insgesamt 500 Mappen an seine Mitglieder verschickt. Man "wollte den Menschen schöne Dinge präsentieren". Unbeirrt bleibt die Kunsthistorikerin bei ihrer Botschaft: Ein Nachdruck ist ein Nachdruck.
Hin und her
Es geht dann noch ein wenig hin und her. Der Anwalt versucht in Zweifel zu ziehen, dass der gesondert fotografierte Stempelabdruck auf der Rückseite des Bildes tatsächlich zu der Vorderseite gehört, die das Mädchen mit einer Orange zeigt. Immerhin gebe es kein Foto, das den Stempel "im Zusammenhang" mit dem Motiv zeige. Es sei ja auch schlechterdings unmöglich, erwidert ein beisitzender Richter genervt, Vorder- und Rückseite eines Bildes gleichzeitig abzulichten.
"Was für eine Posse", seufzt ein Lokalreporter im Zuschauerraum.
Am Ende siegt die Vernunft. Die Kammer befindet zwar, dass die Staatsanwaltschaft Essen ihre Pflichten verletzte, als sie das Bild verlor. Jedoch stehe dem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz entgegen, dass "es sich bei dem Bild nach den überzeugenden Feststellungen einer (…) Kunstsachverständigen (…) um einen wertlosen Faksimiledruck handele".
Die Kosten des Verfahrens trägt demnächst, so er keine Rechtsmittel einlegen sollte, alleine der Kläger. Und weil sich diese nach dem Streitwert des Verfahrens bemessen, könnten hier bis zu 300.000 Euro fällig werden, nur für das Gericht. Die Anwälte beider Parteien kämen dann noch einmal extra.