NSU-Prozess Neustart nach der Watschn

NSU-Prozess: Neustart nach der Watschn
Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERSDer Saal zu klein, das Akkreditierungsverfahren unkorrekt, die Pressearbeit dilettantisch, die Arbeitsbedingungen für die Medien unzumutbar, das Verhalten gegenüber den Verteidigern der Angeklagten fragwürdig.
Und überdies: das Gericht unsensibel, starr, jeder Kritik und konstruktiven Lösungsvorschlägen unzugänglich. Die Münchner Justiz scheint jetzt, nachdem sie den Beginn des NSU-Prozesses auf den 6. Mai hat verschieben müssen, sturmreif geschossen.
Es sind tatsächlich Pannen passiert, die an einem Gerichtsstandort wie der bayerischen Landeshauptstadt nicht geschehen dürfen. Gewiss: Die türkischen Medien haben die Akkreditierungsmodalitäten, wie sie am 4. März vom 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts mitgeteilt wurden, nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen. Oder es war ihnen die Dringlichkeit einer rechtzeitigen Anmeldung zum Prozess nicht bewusst, nachdem tags darauf mitgeteilt wurde, die Frist laufe erst am 14. März ab. Sie waren daher bei der Vergabe fester Sitzplätze im Gerichtssaal nicht berücksichtigt worden.
Das Interesse türkischer Medien hätte dem Gericht klar sein müssen
Dass aber gerade ausländische Medien über die rassistisch motivierten Anschläge in Deutschland würden berichten wollen und berichten müssen, hätte dem Gericht schon klar sein können. Schließlich war die Mehrzahl der zehn Opfer, die von Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" ermordet wurden, türkischer Abstammung. Warum wurde nicht von vornherein ein bestimmter Anteil an Presseplätzen für ausländische Medien reserviert? So kamen zwar "Mainpost" und "Radio Arabella" und ähnliche eher regional bedeutsame Medien zu festen Plätzen, nicht aber "Hürriyet", die größte türkische Zeitung in Deutschland. (Die Liste der im ersten Verfahren akkreditierten Medien finden Sie hier.)
Nachdem am vergangenen Freitag das Bundesverfassungsgericht dem Münchner Senat aufgab, eine "angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter ausländischer Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben", hatte man, wie man so sagt, den Salat.
Warum hat man nicht gewürfelt?
Entweder hätte man "ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen" für ausländische Medien eröffnen oder nach dem Losverfahren Plätze vergeben müssen. Oder "die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln" gestalten. Zwischen den Zeilen des Papiers las sich das so, dass der Senat daran hätte sehr wohl selbst denken können. In München nennt man so etwas "abwatschen".
Am Montagmittag war es dann so weit. Der Senat setzte nicht nur einen neuen Termin für den Prozessbeginn fest, sondern kündigte auch ein neues Akkreditierungsverfahren an.
Warum hat man nicht einfach fünf Klappstühle aufgestellt? Warum hat man nicht gewürfelt, wer noch einen zusätzlich reservierten Platz bekommt?
Die Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens ist eine heikle Sache. Die Situation in München ist inzwischen so verfahren, dass, welche Regelung auch immer der Senat getroffen hätte: Sie wird als falsch kritisiert.
So macht sich bei vielen Beobachtern und Beteiligten Unzufriedenheit breit. "Die Angehörigen haben ihre Leben rund um den nun verschobenen Termin organisiert und sich emotional auf den Auftakt vorbereitet", teilte das Bündnis gegen Naziterror und Rassismus mit. Für die Opfer stelle die Verschiebung eine starke Belastung dar.
Bundesanwaltschaft spricht von einer "vernünftigen" Entscheidung
Die Verteidigung zeigte sich überrascht von der Terminsverschiebung; man habe allenfalls eine Verschiebung um einen Tag für möglich gehalten, sagte Wolfgang Heer, einer der Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe.
Zugleich teilte Heer mit, die Verteidigung halte die Entscheidung des Gerichts für folgerichtig. Wenn nicht alle Pressevertreter gleichzeitig die Chance hätten, sich zu akkreditieren - und zwar weltweit -, sei das Verfahren nicht ordnungsgemäß. Dies war aus der Äußerung des OLG München gegenüber dem Bundesverfassungsgericht hervorgegangen.
Bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hält man die Entscheidung aus München für "vernünftig". Bereits die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, es bleibe dem Senatsvorsitzenden "unbenommen", die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten, sei einem Hinweis gleichgekommen, am besten einen Neuanfang zu machen.
Die Auswirkungen der Opferrechtsreform
Nun hat das Gericht die Qual der Wahl. Größer lässt sich der Gerichtssaal nicht machen. Den Mindestanforderungen an die Kapazität genügt er. 50 für die Presse reservierte Plätze reichen für die Öffentlichkeit nach Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes aus. Selbst der neue Saal des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat nur zehn Plätze mehr.
Über eine Übertragung des Prozessgeschehens in einen Nebensaal streiten sich die Geister. Es gibt die Auffassung, man könne dies praktizieren, ohne schon zu Beginn des Monster-Prozesses einen Revisionsgrund zu schaffen. Doch aus der Reihe der Opfer ist zu hören, nicht jeder wäre mit einer solchen Übertragung einverstanden; man wisse dann nicht mehr, was in jenem Raum stattfinde.
Die Frage ist, ob sich die Gerichte angesichts der Opferrechtsreformen der vergangenen Jahre nicht insgesamt neu sortieren müssen. Nebenkläger drängen in immer größerer Zahl in die Gerichtssäle. Jeder bringt einen oder zwei Anwälte mit.
In München ist der gesamte Raum, der im Gerichtssaal normalerweise dem Publikum zur Verfügung steht, mit Opfern und deren Rechtsbeiständen gefüllt. Wie soll ein Vorsitzender alles im Blick behalten? Irgendwann, das lässt sich absehen, sind Verfahren, in denen es um zahlreiche Opfer geht, für ein Gericht kaum noch zu handhaben. Und im Zweifel wird der Raum für die Öffentlichkeit enger, dafür ist München nun das beste Beispiel.