Münz-Diebstahl aus dem Bode-Museum Goldstaub auf der Kleidung

Ein Mitglied des Remmo-Clans ist wegen des Diebstahls einer 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum angeklagt. Seine Verteidiger erklären, der 23-Jährige könne schwer Nein sagen.
Aus Berlin berichtet Wiebke Ramm
Vor Gericht: Die Angeklagten mit ihren Anwälten (Archivbild)

Vor Gericht: Die Angeklagten mit ihren Anwälten (Archivbild)

Foto: Olaf Wagner/ imago/Olaf Wagner

Wissam Remmo ist eingenickt. Seine Arme hat er auf die Tischplatte, seinen Kopf auf die Arme gelegt. Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Dorothee Prüfer kann ihn nicht sehen. Denn direkt neben Remmo steht am Donnerstag im beengten Saal 817 des Landgerichts Berlin sein Verteidiger Michael Martens. Mit zunehmend heiserer Stimme erklärt Martens den drei Berufsrichtern und zwei Schöffen gerade, warum es sich bei den meisten Indizien gegen seinen Mandanten um bloße "Schein-Indizien" handele. 

Goldspuren an der Kleidung, Glassplitter an einem Handschuh, DNA an einem Seil in Tatortnähe, ein Vermummter mit O-Beinen auf einem Überwachungsvideo – all das reiche nicht, um Wissam Remmo wegen Mittäterschaft am Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum zu verurteilen. Denn die Aussagekraft dieser Indizien sei, so Martens, überaus begrenzt.

Auf der Spur nach Spuren

Ein Gutachter habe die Goldpartikel an Kleidungsstücken aus Wissam Remmos Wohnung zwar als sehr reines Gold bezeichnet, aber laut Verteidigung keinen Reinheitsgehalt von 99,999 Prozent festgestellt, wie es die verschwundene Münze aufweist. Der Goldstaub könne daher auch aus anderen Quellen stammen. Gold als Geldanlage sei heutzutage schließlich überaus beliebt.

Stammt der Goldstaub an der Kleidung des Angeklagten Wissam Remmo von der gestohlenen "Big Maple Leaf"?

Stammt der Goldstaub an der Kleidung des Angeklagten Wissam Remmo von der gestohlenen "Big Maple Leaf"?

Foto: Marcel Mettelsiefen / dpa

Auch Wissam Remmos DNA an einem Seil, mit dem die Goldmünze fortgeschafft wurde, sage weder etwas darüber, wann er das Seil möglicherweise "irgendwann einmal" angefasst habe, noch wann, wie und durch wen es in die Nähe des Bode-Museums gelangt sei. Und selbst wenn die Glassplitter an einem Handschuh aus Wissam Remmos Wohnung zur Sicherheitsscheibe vor einem Fenster passten, durch das die Diebe ins Museum stiegen, beweise auch das nicht seine Täterschaft. Am Handschuh gibt es keine DNA von ihm. Und schon Tage vor der Tat hatte sich jemand an der Scheibe zu schaffen gemacht. Die Scheibe splitterte, aber hielt. Vielleicht stammten die Splitter am Handschuh ja aus dieser Nacht, in der aber niemand ins Museum eingedrungen ist.

"Das sagt aber überhaupt nichts"

Über die Qualität des Gutachtens zu Aufnahmen von Überwachungskameras eines nahen S-Bahnhofes hatte der Verteidiger des mitangeklagten Cousins, Wayci Remmo, bereits am Montag Ausführungen gemacht. Martens ergänzt sie nun mit weiteren Zweifeln an der Seriosität des Vorgehens des Gutachters. Er kommt zu dem Ergebnis: Der Gutachter sage lediglich, er könne nicht ausschließen, dass eine der Personen auf dem Video aus der Tatnacht Wissam Remmo sei. "Das ist kein Beweis, nur eine Zuordnung. Das sagt aber überhaupt nichts."

Nur für den Fall, dass Wissam Remmo "wider Erwarten" nicht vom Vorwurf des Diebstahls im besonders schweren Fall freigesprochen werde, beantragt die Verteidigung lediglich eine Verurteilung wegen Beihilfe nach Jugendstrafrecht und eine Bewährungsstrafe. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Mittäterschaft eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren nach Erwachsenenstrafrecht gefordert.

Wissam Remmo war zur Tatzeit 20 Jahre alt. Er gilt demnach als Heranwachsender, der je nach Reifegrad nach Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht verurteilt werden kann. Sein weiterer Verteidiger, Stefan König, führt aus, warum sein Mandant entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft als Jugendlicher zu behandeln sei. Er verweist auf einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe und auf einen Sozialarbeiter. Diese hatten Wissam Remmo als gehemmt, wenig eigenständig und als jungen Mann geschildert, der langsamer lernt als andere. Er sei leicht beeinflussbar und könne sich schwer abgrenzen. Nein zu sagen, falle ihm schwer. Es gebe bei Wissam Remmo noch Entwicklungspotenzial.

Schwere depressive Verstimmung

König sagt auch, dass Wissam Remmo seit Dezember 2019 in psychiatrischer Behandlung sei. Ein Psychiater, den das Gericht auf Antrag der Verteidigung nun noch als sachverständigen Zeugen hören soll, habe eine schwere depressive Verstimmung diagnostiziert. Er habe auch festgestellt, dass Wissam Remmo erhebliche Defizite im Bereich des Problemlösens, des Organisierens und Planens aufweise. Zudem sehe der Psychiater eine erhebliche Haftempfindlichkeit, weswegen eine Freiheitsstrafe keinerlei positiven Effekt auf den Angeklagten hätte, "ganz im Gegenteil".

Die Ausführung eines "so ausgeklügelten Plans" wie dem Diebstahl der Goldmünze hätte einem Menschen wie Wissam Remmo "zweifellos überfordert", sagt Verteidiger König. Wenn das Gericht ihn dennoch verurteilen wolle, käme nicht Mittäterschaft, sondern "allenfalls“ Beihilfe in Betracht. Wissam Remmo sei, wenn überhaupt, "ein Mitläufer", "ein Nicht-Neinsager".

Verteidiger Martens fasst das Ergebnis der Beweisaufnahme schließlich aus Sicht der Verteidigung zusammen. "Wo ist die Münze? Wie haben die Diebe es gemacht? Und wer ist es eigentlich gewesen?" Er sagt: "Wir wissen es nicht. Wir wissen letztlich nicht, was im Museum passiert ist."

Deswegen könne das Gericht nicht qua Ausschlussverfahren auf die Angeklagten als Täter schließen. Die Indizien seien keine Steine, die sich zu einem Mosaik zusammenfügten, sagt Martens. Sie seien eher eine Art Rorschachtest, ein Papier mit Farbklecksen, das die Staatsanwaltschaft zusammenfaltet, wieder auseinanderklappt und dann fragt: "Sehen Sie den Vogel?"

Anmerkung: Wir haben im Vorspann das Alter des Angeklagten korrigiert.

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