Goldmünzen-Prozess Keine Zeugen, keine Spuren
Wayci Remmo blickt so gleichmütig, wie er es all die Verhandlungstage zuvor auch getan hat. Nur die Stirn hat der 25-Jährige ein wenig in Falten gelegt, wenn er mit ernstem Blick zu seinen beiden Verteidigern hochschaut, die an diesem Montag vor Gericht neben ihm stehen und seinen Freispruch beantragen.
Wayci Remmo, sein Bruder Ahmed, sein Cousin Wissam und ein Freund, Denis W., sind vor einer Jugendkammer des Landgerichts Berlin wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall angeklagt. In der Nacht zum 27. März 2017 sollen die drei Mitglieder des Remmo-Clans mithilfe von Denis W. die 100 Kilogramm schwere Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen haben. Ein Millionen-Coup. Die Münze soll damals einen Goldwert von 3,75 Millionen Euro gehabt haben. Die Beute ist bis heute verschwunden. Ermittler vermuten, dass die Münze zerstückelt und verkauft wurde (lesen Sie hier mehr darüber).
Die Täter kamen über die Gleise
Die Anwälte Kai Kempgens und Toralf Nöding sind die ersten Verteidiger, die in dem Prozess um die verschwundene Goldmünze ihre Schlussvorträge halten. Vor einer Woche hatte Staatsanwalt Thomas Schulz-Spirohn die Verurteilung aller vier Angeklagten beantragt. "Eiskalt" und "rücksichtslos" seien sie vorgegangen, zitiert Kempgens aus dessen Plädoyer. Fünf Jahre Freiheitsstrafe hatte Schulz-Spirohn für Wayci Remmo beantragt. "Aber wieso eigentlich?", fragt der Verteidiger.
Es gibt keine Zeugen, keine eindeutigen Spuren. "Es ist ein Indizienprozess", sagt Kempgens. Und aus Sicht der Verteidigung reichten die wenigen Indizien, die der Staatsanwalt gegen ihren Mandanten angeführt hat, nicht für eine Verurteilung. Das wichtigste Indiz sind Videos von Überwachungskameras eines S-Bahnhofs in der Nähe des Museums. Über die Gleise sind die Diebe in jener Nacht ins Museum gelangt, über die Gleise sind sie mit der Münze auch wieder verschwunden.
Auf den Videos sind drei vermummte Personen zu erkennen. Aus Sicht des Staatsanwalts sind es Wayci, Wissam und Ahmed Remmo. Schulz-Spirohn bezieht sich im Fall Wayci Remmo auf das Gutachten von Professor Dirk Labudde, das Verteidiger Kempgens nun fast genüsslich auseinandernimmt.
"Die Sache mit dem Bart"
Da sei zunächst "die Sache mit dem Bart". Labudde wies darauf hin, dass eine Person auf einem der Videos den Bart sehr ähnlich trage, wie es auch Wayci Remmo tat: scharf konturiert und mit einer Lücke zwischen Oberlippenbart und Wangenbehaarung. Daraus lasse sich höchstens eine aktuelle Bartmode ableiten, sagt Kempgens, aber keine Täterschaft seines Mandanten. Wayci Remmo streicht sich über den Bart, den er an diesem Tag nun nicht mehr scharf konturiert und ohne Lücke trägt.
Ähnlich wertlos sei Labuddes zweite Feststellung, dass Wayci Remmo beim Gehen eine "markante Hüftbewegung" mache und auf zwei der Videos je eine Person zu sehen sei, die ebenfalls einen auffälligen Hüftschwung zeige. Auch das reiche nicht für eine Verurteilung, sagt Kempgens.
Kempgens widmet sich schließlich dem wichtigsten Punkt im Gutachten. Labudde hatte mit seinem Team eine neue Digitaltechnik angewandt, sie hatten eine Art digitales Skelett jedes Angeklagten angefertigt und diese in Standbilder aus den Überwachungsvideos eingefügt. Labudde kam zu dem Ergebnis, dass eine Person aus dem Video der Tatnacht Wayci Remmo zugeordnet werden könne. Doch eine Zuordnung sei etwas völlig anderes als eine Identifizierung, betont die Verteidigung.
"Völliger Quatsch"
Die Methode zeige nur, welches digitale Skelett "am ehesten" passe. Dass das Video aus der Tatnacht tatsächlich Wayci Remmo und keine unbekannte Person zeigt, lasse sich anhand des Gutachtens hingegen nicht feststellen. "Dafür ist die Methode völliger Quatsch", sagt Kempgens. Labudde selbst hatte anhand eigener Versuche angeführt, dass seine Methode auch dann einen Treffer liefert, wenn keine der untersuchten Personen die tatsächlich gesuchte Person ist. Die Verteidigung legt nahe: Um einen solchen falschen Treffer könne es sich auch im Falle Wayci Remmo handeln.
"Und sonst?", fragt Kempgens Kollege Toralf Nöding im Anschluss und liefert gleich selbst die Antwort: "Nichts."
Es gebe keine DNA-Spuren, keine Goldspuren, keine verräterischen Telefonmitschnitte, "keine weiteren belastenden Beweismittel". Einmal, vier Wochen nach der Tat, habe es von dem Handy von Wayci Remmo einen Versuch gegeben, Denis W. anzurufen. Für eine Verurteilung reiche das bei Weitem nicht. Und die Aussage der mittlerweile ehemaligen Freundin des Mitangeklagten Ahmed Remmo dürfe nicht verwertet werden. Sie soll Wayci Remmo auf dem Video aus der Tatnacht erkannt haben. "Völlig inhaltsleer" nennt Nöding die Aussage. Denn sie habe weder gesagt, welche der drei Vermummten auf dem Video Wayci Remmo sein soll, noch woran sie ihn erkannt haben will. Da die Verteidigung von ihrer richterlichen Vernehmung keine Kenntnis hatte, darf das Gericht ihre Aussage ohnehin nicht verwenden.
"Was bleibt?", fragt Nöding also und blickt zu den Richtern. "Aus unserer Sicht bleibt nichts. Und deswegen ist Wayci Remmo freizusprechen."
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, der Staatsanwalt habe für Wayci Remmo eine Jugendstrafe beantragt. Wir haben den Fehler korrigiert.